Frankfurter Buchmesse 2023 

© Frankfurter Buchmesse
© Frankfurter Buchmesse

And the story goes on: Zum 75. Mal öffnete die Frankfurter Buchmesse in der vergangenen Woche ihre Tore, um spannende Geschichten sowie die Autor*innen dahinter zu feiern. Ehrengast war in diesem Jahr Slowenien, ein touristisch attraktives Land mit einer langen literarischen Tradition. Unter dem diesjährigen Buchmesse-Motto »Waben der Worte« wurden gemeinsame Wurzeln und Werte, aber auch die einzigartige Vielfalt des Landes beleuchtet. 

Wie jedes Jahr versammelten sich vom 16.-22. Oktober zahlreiche Gäste aus unterschiedlichsten Bereichen zu diesem kulturellen und literarischen Großereignis. In dem für seine Architektur preisgekrönten Frankfurt Pavilion auf der Agora konnte das Publikum sich mit Verlagen, in Talk- und Diskussionsrunden sowie bei vielvältigen anderen Veranstaltungsformaten inspirieren lassen. Selbstverständlich war auch das Team des LZG wieder mit großer Freude dabei und erkundete die Messe, wovon wir Ihnen hier einen abwechslungsreichen Einblick bieten möchten. Wir wünschen viel Spaß beim Stöbern! 




© Deutscher Buchpreis
© Deutscher Buchpreis

Montag, 16.10.2023

Verleihung des Deutschen Buchpreises 2023

 




»Echtzeitalter? Echt jetzt! – Die Verleihung des Deutschen Buchpreises 2023« von Dana Lissmann

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Karin Schmidt-Friedrichs gratuliert Tonio Schachinger zum Deutschen Buchpreis 2023

Laptop bereit? Check. Ladekabel parat? Check. Teetasse griffbereit? Immer. Es ist Montagabend, der 16.10., und ich bereite mich darauf vor, die Realität meines Wohnzimmers zu verlassen, um virtuell zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse in den Römer zu reisen: Zur Verleihung des Deutschen Buchpreises 2023! Dieses Mal mit einem besonderen Highlight für das Literarische Zentrum Gießen, denn Tonio Schachinger steht auf der Short List, gehört also zu den Nominierten und wird bei uns nächstes Jahr zu Gast sein.

Entsprechend erwartungsvoll bin ich zu Beginn der Preisverleihung, als Fernsehmoderatorin Cécile Schortmann mit einem Zitat der israelischen Autorin Zeruya Shalev den Abend eröffnet. Dabei macht sie auf die allgemein bedrohliche Weltlage aufmerksam und betrachtet die Literatur darin als Vermittlerin. Als nächstes betritt Ina Hartwig, Kulturdezernentin der Stadt Frankfurt, die Bühne und gratuliert der Buchmesse zum 75-jährigen Jubiläum. Sie und Karin Schmidt-Friderichs, die dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels vorsteht, knüpften an Schortmann an. Abwechselnd betonten sie, wie wichtig Literatur, Sprache und Fantasie sind, um gegen autoritäre Systeme anzureden, Welten zu entdecken, neue Perspektiven einzunehmen und um miteinander ins Gespräch zu kommen. In diesem Sinne, betont Jurysprecherin Katharina Teutsch, hätten auch die Juror*innen die Aufgabe des Buchpreises hinterfragt. Sie macht darauf aufmerksam, dass die Buchnominierungen von Elementen des Tragikomischen durchzogen sind. Dies sei für Teutsch im Nachhinein ein Zeichen, wie sehr die Auswahl von den aktuellen Umbrüchen der Zeit geprägt sei.

Nominiert sind Terézia Mora mit ihrem Werk Muna oder Die Hälfte des Lebens, das von einer toxischen Beziehung handelt, sowie Necati Öziri, in dessen Vatermal der totkrankte Protagonist sich mit einem in die Türkei zurückgekehrten Vater auseinandersetzt. Unter den Nominierten sind außerdem Anne Rabe, die in Die Möglichkeit von Glück die verschiedenen Gewaltstrukturen in der DDR erforscht, sowie eben Tonio Schachinger, dessen Protagonist in Echtzeitalterautoritären Schulstrukturen entflieht und zu einem Top-Gamer wird, und Sylvie Schenk, die sich mit Maman auf familiäres Erinnerungserleben begibt und Ulrike Sterblich, in deren Roman Drifter Realität und Fiktion an der Figur einer Influencerin zerbrechen.

Nachdem sämtliche Werke in Videos vorgestellt und von der Jury kommentiert wurden, ist es endlich so weit: Schmidt-Friderichs betritt erneut die Bühne und verliest, unter Kunstpausen, die Verleihung des Buchpreises – der dieses Jahr an den österreichischen Autor Tonio Schachinger geht! Unter anhaltendem Applaus betritt er die Bühne und beweist mit seinem Redeeinstieg sofort seinen subversiven Humor: Ganz bewusst bricht er die konventionelle Danksagung an die Jury und den Börsenverein auf, da er sie albern findet, ist es doch deren Job, diesen Preis zu verleihen, und erntete dafür Lachen aus dem Publikum. Stattdessen bedankt er sich bei seiner Frau und dem Rowohlt Verlag, bevor er mit seinen Worten bedacht Raum schafft, um die Terrorangriffe in Israel und den westlichen Antisemitismus anzusprechen. Zwar ordnet er den Buchpreis angesichts dieser Ereignisse nüchtern als »nicht das Wichtigste« ein, unterstreicht dadurch allerdings das mitschwingende Thema des Abends: Durch Literatur gegen Gewalt und Missstände anreden. 




© Frankfurter Buchmesse / Alexander Heimann
© Frankfurter Buchmesse / Alexander Heimann

Mittwoch, 18.10.2023

Erster Tag der Frankfurter Buchmesse 2023

Das LZG ist auch in diesem Jahr für Sie vor Ort auf der Frankfurter Buchmesse. Gleich am ersten Tag bot sich uns ein umfangreiches und attraktives Programm mit vielen spannenden Veranstaltungen. Hier finden Sie einige Einblicke.




»Von Schachinger bis Žižek« von Patrick Meinhardt

Die lange Eingangshalle der Frankfurter Buchmesse

 

 

Der Buchpreisträger Tonio Schachinger im Gespräch über seinen Roman Echtzeitalter

 

 

Slavoj Žižek spricht über sein Buch Paradoxien der Mehrlust. Ein Leitfaden für die Nichtverwirrten

 

Der Gedanke, im Rahmen des Praktikums im Literarischen Zentrum Gießen, zur Frankfurter Buchmesse fahren zu dürfen, versetzte mich bereits bei Kenntnisnahme in große Vorfreude. Ich war zuvor nie auf einer Messe dieser Größe und internationalen Bedeutung.

Hoch motiviert und gespannt machte ich mich am Mittwochmorgen mit dem Zug auf nach Frankfurt. Am Messebahnhof angekommen stand ich gleich vor einer Reihe gläserner Türen, die weit und einladend geöffnet waren. Über diesen hing ein Schild, das das Logo der Frankfurter Buchmesse trug. Ich war angekommen.

Ich schlenderte euphorisch hinein und landete in einem ungeahnt langen Gang, der auf dem Boden mit Fahrsteigen ausgestattet war. Diese trugen mich genüsslich in das Innere des Messegeländes. Je näher ich kam, desto mehr Menschen sah ich um mich herum. Als ich mich dann im Trubel wiederfand, entschied ich, rasch ins Forum zu gehen und mich erst einmal zu akklimatisieren. Dort wollte ich nämlich zeitnah Tonio Schachinger, den Buchpreisgewinner dieses Jahres, im Gespräch auf der Literaturbühne der ARD sehen. Zuvor betrat Phillip Oehmke die Bühne, der sein Werk Schönwald(Piper) vorstellte. Seine Schilderung über die Figur der Mutter interessierte mich sehr. Sie war eine Person, die, um die Familie zusammen zu halten und die richtige Sache zu machen, durchaus mal log oder unaufrichtig war. Oehmke ergänzte dazu, dass Wahrheit relativ sei und es, in der Betrachtung von familiären Konstellationen und Problemen, immer auf die Lebenswirklichkeit aller Akteur*innen ankäme. Mitgenommen habe ich, dass man diesen Gedanken einerseits auf gesellschaftliche Strukturen und andererseits auf die Frage, was Aufrichtigkeit im Kern überhaupt bedeutet, übertragen kann.

Der eng getaktete Spielplan der Literaturbühne ließ nicht viel mehr Zeit zum Nachdenken, denn da erblickte ich auch schon Tonio Schachinger. Gespannt auf seine Person, rückte ich in die erste Reihe des Publikums. Bei seinem Auftritt stellte ich fest, dass seine Art zu sprechen, auf mich eindringlich menschlich wirkte und er eine Souveränität und Authentizität ausstrahlt, die mich beeindruckte. Schachinger las einen Auszug aus seinem ausgezeichneten Gesellschaftsroman Echtzeitalter (Rowohlt), in dem es um den Protagonisten Till geht, der die »Kunst des Nicht-Auffallens« beherrscht. Er vermag es, sich bewusst seiner Individualität zu entledigen und stattdessen die »Timberlands« der Konformität überzustreifen, um nicht allein zu sein. »Allein sein ist auffällig«, so Schachinger, und ich musste unwillkürlich in die Retrospektive gehen und an meine Zeit als Jugendlicher denken. Sowas in der Art meinte wohl Schachinger, als er in dem Gespräch die Vermutung äußerte, dass junge Erwachsene sein Werk identifikatorisch lesen würden. Menschen in meinem Alter, also Ü30, lesen ihn vermutlich eher erinnerungswirksam, denken also an Erfahrungen zurück, anstatt an aktuelle Erlebnisse zu denken.

Aber neben dem Auftritt von Tonio Schachinger gab es noch viel mehr zu sehen und zu hören. Also brach ich auf, verließ das Forum nach draußen. Ich warf mich ins Getümmel und schlenderte von Neugier getrieben an unzähligen Verlagsständen, Menschen und Farben vorbei; ich wanderte durch eine Landschaft aus Büchern, lauschte Gedichten von Alexander Kappe, einer Diskussion mit Deniz Yücel, einer Lesung von Marie-Anne Legault, einer weiteren von Sherko Fatah, bis ich dann wieder im Forum ankam, um zu bemerken, dass einer meiner liebsten Denker, Slavoj Žižek, über sein Buch Paradoxien der Mehrlust. Ein Leitfaden für die Nichtverwirrten (S.Fischer) sprach.

Es war verrückt festzustellen, wie schnell doch die Zeit an meinem ersten Messetag vergangen war. Reicher an Bildern und neuen Gedanken verließ ich das Gelände. Mit einem Nachhall meiner neuen Erfahrungen und großer Lust auf meinen nächsten Messetag.




© Frankfurter Buchmesse / Anett Weirauch
© Frankfurter Buchmesse / Anett Weirauch

Donnerstag, 19.10.2023

Zweiter Tag der Frankfurter Buchmesse

Auch der zweite Buchmessetag hielt für uns viele neue Eindrücke und interessante Programmpunkte bereit.
Wir berichten für Sie über einige unserer Highlights... 




»›Ein Schritt – ein Atemzug – ein Buchcover‹ – oder: 50 Jahre Momo und wir können immer noch von ihr lernen.« von Dana Lissmann

 

Arno Strobels Thriller Der Trip am Stand des Fischer Verlags

 

 

50 Jahre Momo – Die Bilderbuchpremiere

Ich trete von einem Bein auf das andere, mein Blick schweift vom Handy, der Deutschen-Bahn-App, zur Anzeigetafel am Bahnhof und zurück auf die leeren Gleise: Es ist Buchmessetag und die Züge fallen aus – die Zeit wird knapp, die Unruhe in mir steigt. Dann endlich kommt die lang ersehnte S-Bahn. Zu meiner Erleichterung sogar recht pünktlich, denn gleich darf ich LZG-Geschäftsführerin Hannah Brahm zu einem Verlagsgespräch beim NordSüd Verlag begleiten. Zuvor erkunden wir die noch erstaunlich leere Halle 3.0, um uns ein Bild der Lage zu machen. Dabei erspähen wir ein uns wohlbekanntes Cover am Messestand des Fischer Verlags: Der Trip, der jüngste Thriller Arno Strobls, mit dem er vor kurzem im Rahmen des Krimifestivals auch bei uns in Gießen war. Dann geht es zum Termin mit NordSüd, und so aufgeregt ich auch bin, so angenehm ist das Gespräch. Ohne zu viel zu verraten: Wir haben ein paar Highlights mitgenommen.

Anschließend zieht es mich zur Bonnier Bühne und einer Veranstaltung, der ich schon länger entgegenfiebere: 50 Jahre Momo – die Bilderbuchpremiere! Es ist mein erstes Event an den Fachbesuchertagen und ich sitze gespannt, um nicht zu sagen angespannt, auf meinem Platz, zwischen vielen weiteren Gästen, als plötzlich ein Hörspielzitat aus Momo erklingt. Eine gemächlich-tiefe Stimme erzählt, wie besonders Momo zuhören kann. Schweigend lauschen wir diesem gelungenen Einstieg, und ich komme innerlich zur Ruhe, als die Podiumsdiskussion beginnt: Anlässlich Momos 50-jährigen Jubiläums bringt der Thienemann-Esslinger-Verlag ein liebevoll gestaltetes Bilderbuch von Momo heraus. Dieses wird in einem Gespräch zwischen Moderator Nicola Bardola, Programmleiterin Katharina Ebinger, Illustratorin Simona Ceccarelli und Autor sowie Textbearbeiter Uwe-Michael Gutzschhahn vorgestellt. In einer einnehmenden Runde erzählen die Künster*innen von ihren persönlichen Lektüreerlebnissen mit Momo, über die Entstehung des Bilderbuchs und die Aktualität von Michael Endes Werk. Schnell kristallisiert sich heraus, dass die Bilderbuchadaption von Momo für alle Beteiligten eine Herzensangelegenheit war. Ebinger erzählt, dass Gutzschhahn den Originaltext so getreu wie möglich umgestaltete. Woraufhin Gutzschhahn erklärt, er habe mit 800 Zeichen pro Illustration gearbeitet und sich bemüht, die Übergänge zwischen den Bildern stilgetreu zu formulieren. Auch Ceccarelli wollte mit ihren Illustrationen die Essenz des Originalwerks einfangen – sowohl dessen Mehrdeutigkeit als auch Momo als Symbol des Zuhörens und der Stille. In dem blau-gelben Farbenspiel ihrer Bilder, die hinter den Künster*innen auf einem Whiteboard eingeblendet werden, kann man sich verlieren, wie Momo, die den Sternen lauscht. Momos Leitmotive, der Umgang mit Zeit als Reichtum und eine schrittweise Zielsetzung, begleiteten die Künstlerin ein Leben lang.

Was mich unerwartet tief trifft ist Gutzschhahns Aussage, dass das Thema der Entschleunigung nach wie vor aktuell ist. Während des Gesprächs kamen beide Künster*innen diesbezüglich wiederholt auf Straßenkehrer Beppos Weisheit »Ein Schritt – ein Atemzug – ein Besenstrich« zu sprechen. Diesen formuliert die Runde zu einem Buchmesserat um, mit dem sie uns schließlich entlässt: »Ein Schritt – ein Atemzug – ein Buchcover«. Getreu diesem Motto brachte ich in dem Trubel meinen ersten Messetages zu Ende.


»Die Macht der Worte: Ein emotional-geladener Auftakt der Frankfurter Buchmesse« von Leana Fiedler

Podiumsgespräch zum Thema »Zwischen Tiktok und Dürrenmatt. Wo steht die schulische Leseförderung?«

 

 

Terezia Mora spricht mit Ijoma Mangold über ihren Roman Muna oder die Hälfte des Lebens

 

Elena Fischer und Debora Schnitzler im Gespräch über Fischers Paradise Garden

Der Donnerstag auf der Frankfurter Buchmesse 2023 brach an und offenbarte mir eine ganz eigene Atmosphäre. Anders als ich es sonst privat und mit Fokus auf die integrierte bunte Cosplay-Convention gewohnt war, öffneten die Messehallen ihre Tore, und es waren die Fachbesucher, die an diesem Tag die Szene beherrschten. Die Stimmung war ruhig und einladend, und es schien, als ob die Messe den Besuchern bewusst Raum zum entspannten Stöbern und Entdecken bot.

Mein Tag begann, nach der Ankunft kurz vor 10 Uhr auf dem Messegelände, mit einem bemerkenswerten Podiumsgespräch zur schulischen Leseförderung, organisiert vom Verband Bildungsmedien e.V. Unter dem Titel »Zwischen Tiktok und Dürrenmatt. Wo steht die schulische Leseförderung?« wurde Lesekompetenz und deren Förderung in einer sich ständig wandelnden Welt erörtert. Die Referent*innen Petra Albers (Kinder- und Jugendbuch Beltz & Gelberg), Manuela Hantschel (Bundesverband Leseförderung e.V.), Anja Janotta (Autorin) sowie Bob Blume (Deutschlehrer) teilten ihre Erkenntnisse darüber, wie Lehrmaterialien und innovative Ansätze dazu beitragen können, junge Menschen für das Lesen zu begeistern und die Grundlage für lebenslanges Interesse zu schaffen. Obwohl bereits durch Texte in einfacher Sprache den Leser*innen das Lesen erleichtert werden soll, während natürlich komplexe Emotionen und Handlungsstränge erhalten bleiben, sei es jedoch primär eine nachvollziehbare Thematik, die noch vor der Form eine Rolle spiele, und durch welche das bereits vorhandene Interesse der Leser*innen weiter vertieft werden könne. Der Fokus in der Schule solle demnach spezifisch auf einem offenen Umgang mit den Interessen der Kinder bei der Buchauswahl liegen. Zudem könne besonders durch eine multimodale sowie fächerübergreifende Leseförderung, durch den Ausbau der Schulbibliotheken und ein umfangreiches Angebot an Fortbildungen für Lehrkräfte ein lesepositives Umfeld gelingen.

Die nächste Station meines Tages auf der Buchmesse war eine fesselnde Diskussion zwischen der preisgekrönten Autorin Terézia Mora und dem deutschen Literaturkritiker Ijoma Mangold. Die beiden sprachen über Moras neuesten Roman Muna oder die Hälfte des Lebens, der sich mit toxischen Beziehungen, Abhängigkeiten und Geschlechterrollen auseinandersetzt. Während Mora primär wegen ihrer »besonderen Sprache und stilistischen Eigensinnigkeit von Witz, Geist und intelligent-lässigem Ton« gelobt wurde, verwies die Autorin vor allem auf den Inhalt ihres Romans und dessen Hauptcharakter Muna. Die Diskussion bot Einblicke in die Inspiration und die tiefgehenden Themen des Buches, welche auf der erlebten Beziehungsgewalt von Frauen in ihrem Umfeld basieren. In dem lebhaften Gespräch, das sich entwickelte, wurde mit Nachdruck die Kraft der Literatur betont, um Tabus zu brechen und schwierige Fragen anzusprechen.

Ähnlich thematisch intensiv war zweifellos das Gespräch zwischen Elena Fischer und Debora Schnitzler, das sich um Fischers Roman Paradise Garden drehte. Denn auch dieser Roman behandelt auf tiefgründige und berührende Weise das traurige Schicksal seiner Protagonistin, der 14-jährigen Billie. Ihre Reisen durch die Handlungslinien des Romans sind geprägt von verstrickten familiären Traumata und den verzweifelten Versuchen, diese zu überwinden. Die Leidenschaft und das Engagement der Autorin sowie die Begeisterung des Publikums verliehen dieser Diskussion eine bemerkenswerte Intensität und vermittelten einen eindrucksvollen Eindruck davon, wie Literatur in der Lage ist, die Komplexität des menschlichen Lebens aufzugreifen und zu reflektieren.

Der erste Messetag für mich endete so mit zahlreichen Eindrücken und Gedanken, die noch auf dem Nachhauseweg meinen Kopf durchwanderten.




© Frankfurter Buchmesse / Peter Hirth
© Frankfurter Buchmesse / Peter Hirth

Freitag, 20.10.23

Dritter Tag der Frankfurter Buchmesse

Auch am Freitag waren wir wieder bei zahlreichen Veranstaltungen in den Frankfurter Hallen. Von den vielfältigen Erlebnissen und Eindrücken berichten wir hier...
 




»Kunst, Lyrik und Verantwortung« von Patrick Meinhardt

Florian Illies über sein Buch Zauber der Stille. Casper David Friedrichs Reise durch die Zeit

 

 

Der Pavillion des Ehrengastes der Frankfurter Buchmesse 2023: Slovenien

 

Die Bilderbücher des Psychiatrie Verlags

An diesem Tag entschied ich mich nach meiner Ankunft, wie an meinem ersten Messetag, zunächst ins Forum zur ARD-Literaturbühne zu gehen.

Dort angekommen lauschte ich einem Gespräch mit Florian Illies. Dieser stellte sein neues Buch Zauber der Stille. Casper David Friedrichs Reise durch die Zeit (S. Fischer) vor. Mit sichtlicher Begeisterung erzählte Illies von Friedrich und führte aus, dass der Künstler zu seinen Lebzeiten (und erst recht Jahrzehnte nach seinem Tod) häufig missverstanden und verkannt sei. Illies gab Einblick in die Beziehung Friedrichs zu Goethe. Goethe mochte ihn nicht leiden, denn er erfreute sich (wenn überhaupt) an der Kunst als eine Art Dienstleistung: Kunst sollte, Goethe zufolge, »Antworten« geben. Friedrich hingegen habe eine genau gegensätzliche Meinung vertreten: Kunst solle den Menschen eher Fragen stellen, als Antworten liefern. Die melancholische und schwermütige Sehnsuchtsmalerei Friedrichs habe Goethe daher »wahnsinnig« gemacht. Illies sagte über die Kunst, dass der »Zauber der Kunst« darin besteht, dass sie über die Zeiten hinweg für Berührung sorgt, was mich in dem Moment ergriff.

Neugierig auf den Ehrengast Slowenien steuerte ich endlich den entsprechenden Pavillon an. Dort sollte ein Sammelband slowenischer Gedichte vorgestellt werden. Die Anthologie wird unter dem Namen Mein Nachbar unter der Wolke(Hanser) herausgegeben und beinhaltet Gedichte von 80 slowenischen Dichter*innen. Zu Beginn wurde betont, dass Lyrik in Slowenien von großer Bedeutung sei: Sie sei Teil der nationalen Identität und ein Instrument, das den Menschen den Weg bereite, um ein Selbstbewusstsein gegen die Obrigkeit zu entwickeln. Dass die Darbietungen der Gedichte auf originelle Weise mit dem Kontrabass im Staccato begleitet wurde, sorgte für eine ganz besondere Atmosphäre. Die Klänge wurden sowohl zupfend als auch mit dumpfem Klopfen auf dem Resonanzkörper des Instruments erzeugt. Durch diese musikalische Untermalung der Szenerie wirkte es so, als drängen die Verse der anwesenden Dichter*innen tief in mich hinein, obwohl sie zunächst im slowenischen Original gelesen wurden. Im Anschluss an jedes Gedicht wurde die deutsche Übersetzung vorgetragen – ganz gemäß der Absicht, dass diese Anthologie zur Vermittlung zwischen den Kulturen dienen soll.

Von da an begab ich mich ins Getümmel und steuerte in eine der Hallen mit den Verlagsständen. Wieder war ich überwältigt von der Masse an Angeboten und Möglichkeiten. Während ich durch die Gänge streifte, entschied ich mich ganz intuitiv, einen weiteren Stand in direkten Augenschein zu nehmen. Angezogen von bunten Illustrationen, die auf Kinderbücher schließen ließen, landete ich beim Psychiatrie Verlag. Dessen Kinderbuchsparte wird unter dem balance-Verlag publiziert. In den Werken, die ich dort erblickte, werden Themen wie Autismus, Tod oder Flucht kindgerecht behandelt und mit teils sehr liebevollen Illustrationen untermalt. Ziel sollte sein, diese Themen mit Hilfe der Bücher auch schon Kindern vermitteln zu können, um möglichst früh Bewusstsein zu schaffen.

Der Tag war wieder voll von Eindrücken, Informationen und erweckten Gefühlen. Die Zeit verging wieder einmal so rasch. Daher kam auch der Moment, den Heimweg anzutreten, erneut schneller als erwartet.




© Frankfurter Buchmesse / Peter Hirth
© Frankfurter Buchmesse / Peter Hirth

Samstag, 21.10.2023

Vierter Tag der Frankfurter Buchmesse 

Mit dem vierten Messetag endet für uns die diesjährige Frankfurter Buchmesse, die unter dem Motto »Waben der Worte« stattfand. Die Highlights von unserem letzten Tag des Buchevents finden Sie hier. Viel Spaß beim Lesen!




»Im Auge des Literatur-Sturms« von Leana Fiedler

 

 

 

 

 

Daniel Borgeldt stellt seinen Coming-of-Age-Roman Cheyenne vor

 

Marc-Uwe Kling liest aus Der Spurensucher

 

Otto Waalkes und Bärbel Schäfer

Im Vergleich zu den vorangegangenen Tagen brachte der Samstag auf der Frankfurter Buchmesse eine Veränderung in der Atmosphäre – obwohl der Weg mit dem überfüllten Zug der letzten Tage mich bereits intensiv darauf vorbereitet hatte. Die Messehallen waren bevölkert von drängenden Massen, die eifrig zwischen den Ständen und Veranstaltungen hin und her strömten. Die hohe Lautstärke und die spürbare Energie des Publikums verwandelten die Messe in einen lebendigen, pulsierenden Raum für Literatur und Kultur.

Mein Tag begann mit der faszinierenden Präsentation von einer Anthologie mit vier Kurzgeschichten von der chinesischen Science-Fiction-Autorin Chi Hui, aus welcher Samuel J. Kramer »Das Erbe der Menschheit«vorlas. Chi Hui entführte das Publikum in bildgewaltige Welten und stellte ungewöhnliche Fragen, die tief in die Science-Fiction-Welt führen, etwa: Wie könnte eine Welt aussehen, auf der nur ein Mensch geboren werden würde? Oder eine, in der Männer nur in Blumentöpfen großgezogen werden könnten? Die präsentierten Geschichten waren nicht nur humorvoll, sondern auch mit einer geballten Ladung Gesellschaftskritik in apokalyptischen Ausmaßen versehen. Eine Erzählung handelte von einem Forschungsschiff, das sich durch die Müllströme der Weltmeere kämpfte, um den neuen achten Kontinent »Rubbalia« (Rubbish-Australia, also Müll-Australien) zu erforschen. Zugleich zeichnet sich diese Kurzgeschichte durch großen Witz aus, hinterließ bei mir aber vor allem ein nachhaltiges Staunen und Nachdenken über die Zukunft unserer Umwelt.

Im Anschluss besuchte ich eine Veranstaltung mit Daniel Borgeldt, der seinen neuen Coming-of-Age-Roman Cheyenne vorstellte. Borgeldt überzeugte mit seinem lebensnahen, prägnanten und humorvollen Schreibstil, welcher die bedrückende Lebenswirklichkeit Cheyennes pointiert zum Ausdruck brachte: »Alle verließen das Kino. Nur Opa nicht. Herzinfarkt. [...] Eigentlich hätte alles ganz schön sein können. Wenn es eben nicht so schrecklich gewesen wäre.« Besonders beeindruckend war für mich zudem sein kreatives literarisches Spiel mit dem Medium Film, was gleichzeitig das Interesse des Autors an besonderen Perspektiven unterstrich. Der Roman, in dem wir die Perspektive des Filmnerds Cheyenne einnehmen, vermittelte nicht nur Filminhalte, sondern zeichnete sich auch durch einen durchgetakteten, filmischen Rhythmus aus, der Filmebene und Romanwelt verschwimmen lässt. Borgeldt übersetzte so auf innovative Weise atmosphärische Filmklassiker wie »Kill Bill« oder »Pulp Fiction« in das Buchformat und schafft damit ein beeindruckendes literarisches Kunstwerk, welches mich direkt in seinen Bann zog.

Der Höhepunkt des Tages sollte für mich zweifellos die Lesung von Marc-Uwe Kling aus seinem (noch unfertigen) Krimi-Roman Der Spurensucher werden. Kling erzählte, dass er das Buch in Zusammenarbeit mit seinen Kindern anfertigte, welche als Inspiration dienten, gleichzeitig aber auch mit vehementer Beratung für die Figurenzeichnung der 12-jährigen Protagonist*innen zur Verfügung stünden. Bereits von Beginn war klar: Der viel zu kleine Veranstaltungsplatz war so überfüllt, dass es schwerfiel, Klings für jede Rolle einzigartige, verstellte Stimme zu vernehmen. Dennoch hing das Publikum gespannt an seinen Lippen, versuchte, jede Silbe gebannt aufzunehmen, und brach schließlich in begeistertes Gelächter aus. Die gemeinsame Kreation von Marc-Uwe Kling und seinen Kindern schuf eine einzigartige und fesselnde Krimi-Erfahrung.

Der Tag endete mit zwei entspannten Veranstaltungen von Guido Maria Kretschmer und Otto Waalkes, die ihre neuen Bücher präsentierten. In Gesprächen mit Jenny Elvers und Bärbel Schäfer rundeten sie den Tag ab. Die vorherrschende Hektik des Tages wich mit den letzten, warmen Sonnenstrahlen, und ich verließ die Messe mit einem müden, aber glücklichen Gefühl, das mich auf dem Heimweg begleitete. Die Frankfurter Buchmesse 2023 hatte erneut gezeigt, wie Literatur die Menschen zusammenbringen kann – selbst in den hektischsten Momenten.


Das war die Buchmesse 2023!

Neben vielen spannenden, ernsthaften und vor allem sehr vielversprechenden Eindrücken war unser Buchmessebesuch natürlich auch geprägt von einer Menge Spaß. Wir sind dankbar, dass wir auch dieses Jahr wieder dabei sein durften und freuen uns schon jetzt auf nächstes Jahr! 


Unsere Praktikant*innen Dana Lissmann, Patrick Meinhardt und Leana Fiedler mit Kika-Liebling Bernd das Brot


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