Frankfurter Buchmesse 2021 

(c) Frankfurter Buchmesse
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Das LZG besuchte auch 2021 wieder die Frankfurter Buchmesse, dieses Mal sowohl digital als auch endlich wieder in Präsenz. Unter dem Motto »Re:Connect« erwartete das Team viele Programm-Highlights: spannende Talks und Diskussionen, namhafte Branchengrößen, aktuelle Trends und das geballte Wissen der Branche. Unsere Eindrücke und Erfahrungen von unserer digitalen Teilnahme und natürlich vom Präsenztag am Messefreitag   finden Sie in den folgenden Berichten. Viel Vergnügen beim Lesen!

 

 




Die Eröffnungsveranstaltung vom 19.10.2021 (Vorbericht) – von Christine Frickel

 

 

 

 

 

 

 

Karin Schmidt-Friedrichs eröffnet mit dem Hammerschlag die diesjährige Frankfurter Buchmesse

 

 

 

 

 

 

 

Moderatiorin Mona Ameziane mit Karin Schmidt-Friderichs und Buchmessen-Chef Jürgen Boos

Die digitale Seite der Frankfurter Buchmesse 2021: auch von Zuhause aus kann es schön werden! - Die Eröffnungsveranstaltung (Vorbericht)

 

Der Tee ist gekocht, die perfekte Sitzposition eingenommen und der Laptop geladen: Die digitale Variante der Frankfurter Buchmesse 2021 kann kommen!

Noch vor dem eigentlichen Startschuss bin ich für das LZG live hinter dem Bildschirm bei der Eröffnungsveranstaltung der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt dabei. Der Countdown läuft und obwohl ich mittlerweile nach eineinhalb Jahren zur Videokonferenz-Generation gehöre, steigert sich meine Aufregung. Heute vollkommen typische Fragen sausen durch meinen Kopf, wie: Ist das Ladekabel in Reichweite? Hab ich den Ton richtig an? Kann man da vielleicht zurückspulen? Alles nicht so einfach, aber es hat etwas Positives: da die Eröffnungsveranstaltung präsent nur für geladene Gäste ist, komme ich mir beinahe wie ein VIP-Gast vor. Ein kleines Mäuschen, das beim großen Event der Literatur- und Medienbranche mit dabei sein darf. So, die Veranstaltung beginnt!

Die Redner sehen genauso begeistert und vor Aufregung nervös aus, wie ich mich fühle: endlich wieder über Bücher reden, sie sehen und vor Ort dann auch live und in Farbe betrachten dürfen! Juergen Boos (Direktor der Frankfurter Buchmesse) und Karin Schmidt-Friderichs (Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels) geben einen kurzen Rückblick in die vergangene Zeit der Pandemie und ihre Auswirkungen auf die Buch-Welt. Erstaunlicherweise haben wir Bücherwürmer die Phase gut wegstecken und ausgleichen können!

Alles unter dem Motto »Re:connect – Welcome back to Frankfurt«. Die Aussage ist klar, wir wollen wieder zurück zur Normalität. Doch der Fakt, dass ich sowohl heute als auch morgen an der Bücherwelt wieder nur durch einen Bildschirm teilnehmen werde, dämmt meine Euphorie. Aber die hybride Form ist ein Kompromiss, mit dem wir als Einstieg und dem Wunsch nach »back to normal« leben können. Denn ist nicht jeder Anfang einer großen Erfolgsstory schwer? Das Happy End dafür umso schöner.

Mit präsenten Gästen wie Prof. Monika Grütters (Staatsministerin für Kultur und Medien) und Vivek Shraya (Künstlerin und Schriftstellerin), aber auch digital zugeschalteten Autorinnen wie Margaret Atwood und Josephine Bacon gestaltet sich die feierliche Eröffnung der Buchmesse recht abwechslungsreich und interessant. Dabei geben die Auftritte der Staatsgäste aus dem Gastland Kanada der ganzen Angelegenheit einen besonderen – regelrecht ehrvollen – Tatsch. Die Gänsehaut auf meinen Armen ist nicht zu leugnen, als Kanadas Generalgouverneurin Mary May Simon in ihrer indigenen Landessprache der Inuk ihre Rede beginnt und daran erinnert, sich mit den Geschichten der indigenen Völker auseinanderzusetzen.

Schade aber sympathisch ist der misslungene Video-Auftritt der Schriftstellerin Josephine Bacon. Die nicht funktionieren-wollende digitale Verbindung erinnert uns Zuschauer*innen nur noch einmal mehr daran, dass nicht alles wieder plötzlich wie vorher sein kann und wir auch jetzt noch mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Trotzdem eine schöne Idee, die Dichterin – auch wenn nur auf Distanz aus Frankreich – dazuschalten zu wollen! Als Gegenstück der Präsentation stand dafür der digitale Auftritt von Autorin Margaret Atwoods: als mittlerweile nicht mehr Newbie der digitalen Welt ist ein Kompliment an die Bildqualität und den Ton auszusprechen. Unsere heutige Gesellschaft lebt nun mal mittlerweile in einer Welt, die auf solche – vielleicht auch als Kleinigkeiten abgetanen – Dinge Wert legt und deshalb freuen wir uns umso mehr, wenn es auch so wunderbar klappt!




Das LZG ist auch in diesem Jahr "auf" der Frankfurter Buchmesse für Sie dabei.
Das LZG ist auch in diesem Jahr "auf" der Frankfurter Buchmesse für Sie dabei.

Tag 1: 20.10.2021 (digitale Teilnahme des LZG)

Erster Tag der Frankfurter Buchmesse 2021

Bereits am ersten Tag gab es für uns ein umfangreiches digitales Programm und vielseitige Veranstaltungen zu entdecken. 
Hier nun ein paar Eindrücke...




Mein digitaler Buchmessetag: auch von Zuhause aus kann es schön werden! – von Christine Frickel

 

 

Bärbel Schäfer im Gespräch mit Krimi-Autor Michel Bergmann

 

 


Andrea Liebers liest aus ihrem im April 2021 erschienenen Kinder- und Jugendbuch 

Man hört den Trubel, man sieht hinten ein paar Leute wuseln und ich würde meinen, die bevorstehende Veranstaltung um 12 Uhr ist passend zum baldigen Halloween-Grusel. Meine dichterischen Fähigkeiten halten sich in Grenzen, aber dafür haben wir ja auch unsere kreativen und geistreichen Autor*innen, wie Michel Bergmann.

Im Auftrag des Sterns und der Penguin-Randomhouse-Verlagsgruppe steht uns im »30-Minuten-WG«-Format Newbie-Krimi-Autor Michel Bergmann Rede und Antwort, wenn es um die Frage geht: Warum schreiben Sie Krimis, Herr Bergmann? Der eigentlich für einen anderen Buch-Typus bekannte Schriftsteller erzählt uns, wie faszinierend er doch die andere Regelwelt des Kriminalromans empfindet und dass die Anziehung, sich selbst an solch einem Werk auszuprobieren, ihn schier zu sehr gereizt hat. Als Produkt dessen: eine neue Krimireihe, die ihren Auftakt mit dem Titel Ein Rabbi und ein Kommissar – Du sollst nicht morden beim Heyne Verlag feiert. Doch was genau macht Bergmanns Faszination am Genre Krimi aus? Die Lösung gibt er uns, anders als in seinem Krimiroman, sofort und ohne das zitternde Warten voller Anspannung. Es ist die Eigenschaft der Nebensächlichkeit des Alltags. Das, was in einem Roman zum Hauptgegenstand wird und zur dargestellten Geschichte gehört, fällt in einem Krimi kaum noch auf, wird beinahe unnötig und trivial. Doch an dieser Stelle wird es interessant: was nebensächlich erscheint, wird von den lösungssuchenden Leser*innen dennoch wie ein Indiz zur Klärung des Falls aufgesogen. Kleine Details werden wichtig und die Wirkung des Alltags als Nebensächlichkeit gibt dem Ganzen eine neue Perspektive. Da möchte man beinahe selbst zum Krimiautor werden. Nur das Brutale, ja darauf könnte ich gut verzichten.

Weiter geht es mit der Lesung aus Andrea Liebers Kinder- und Jugendbuch Die magische Prüfung um 14 Uhr. Ein absoluter Tapetenwechsel, der mir auf dem Sofa gerade recht kommt. Wie schön es doch ist, ohne das Gedrängel von einer Veranstaltung zur nächsten zu switchen, denn: we stay positive (selbstverständlich Stimmungsbild-mäßig gesehen, nicht auf Corona bezogen)! Andrea Liebers berichtet uns von einer Zeit, in der eine Buchmesse wie diese niemals hätte stattfinden können. Kein Licht, keine Handys, einfach keine Technologie. Digitales Dazuschalten? Fehlanzeige! Umso mehr fasziniert die Welt der Zauberer, die für uns genauso unfassbar erscheint, wie es damals 2019 noch das Leben in einer Pandemie gewesen ist. Die Verkettung von Realität und Fiktion eröffnet den Leser*innen und Zuhörer*innen eine Möglichkeit, die wir alle ab und zu brauchen: Alltag aus, Kopfkino an. Eine Flucht in eine Welt der kindlich-jugendlichen Vorstellung und absoluter Fiktion mit – hoffentlich – positivem Ausgang. Gemeinsam mit dem Waisenjungen Jakub lernen wir die Welt der Zauberlehrlinge und Magiermeister kennen, die, genau wie im realen Leben, Prüfungen gegenübertreten müssen. Interessant ist dabei, dass die fiktive Welt, in die Liebers uns mitnimmt, gar nicht mal so ausgedacht ist. Die Geschichte hat nämlich einen tatsächlich historischen Ursprung in Worms, was die Frage aller Fragen aufwirft: Wie realistisch ist vielleicht doch das Unvorstellbare?


Die Frankfurter Buchmesse digital erleben – von Josephine Ellermeyer

 

Die kolumbianische Autorin Pilar Quintana wurde für ihren Roman Hündin mit dem 

LiBeraturpreis ausgezeichnet. 

 

Regt zum Nachdenken über die deutsche Erinnerungskultur an: Per Leo zu Gast auf dem »Blauen Sofa«

Nachdem ich am Montag, 18.10.21, bereits zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse 2021 die Verleihung des diesjährigen Buchpreises an Anjte Rávik Strubel verfolgt habe, nahm ich am heutigen Mittwoch digital an einigen Veranstaltungen teil.  

Mein digitaler Messetag begann, nachdem ich es mir mit einem Tee vor meinem Laptop gemütlich gemacht habe, mit einem Gespräch mit der diesjährigen Gewinnerin des LiBeraturpreises. Die kolumbianische Autorin Pilar Quintana wurde für ihren Roman Hündin ausgezeichnet. Der LiBeraturpreis, wie ich im Vorhinein über den mir unbekannten Preis las, ist ein Literaturpreis, der ausschließlich an weibliche Autorinnen aus Lateinamerika, Asien, Afrika oder der Arabischen Welt vergeben wird. Im Gespräch über ihren Roman thematisierte sie die Rolle von Frauen in Kolumbien sowie den Umstand einer gewollten Kinderlosigkeit.   
Weiter ging es mit einem Interview mit Antje Rávik Strubel auf dem »Blauen Sofa«. Die Gewinnerin des diesjährigen Deutschen Buchpreises sprach über Inhalte ihres Romans Blaue Frau. Dieser hat den Umgang mit erlebter sexualisierter Gewalt zum Thema. Zudem ziehen sich Übergriffe strukturell durch den gesamten Text. Die blaue Frau, die als Figur in ihrem Text auftaucht, gebe eine »poetische Gerechtigkeit«, so die Autorin. Außerdem ist ihr die literarische Wirkungsmacht ihres Romans wichtig, der nicht als eine Art Kampfschrift gelesen werden soll. Mit ihrem Roman will sie zum Nachdenken anregen und Leser*innen die Möglichkeit geben, ihr in der Geschichte beim Nachdenken zu folgen.         
Anschließend schaute ich mir das Gespräch mit dem Schriftsteller Per Leo auf dem »Blauen Sofa« an. Dieser sprach über sein neues Buch Tränen ohne Trauer. Nach der Erinnerungskultur, was die deutsche Erinnerungskultur und die Aufarbeitung des Nationalsozialismus thematisiert. Mit dem Moderator diskutierte er über sein Verständnis von Erinnerungskultur und den Topos der Singularität des Holocaust. In diesem Zuge warnte er vor Erinnerungskultur ohne eine fundierte Wissensgrundlage über die Historie.

Vor allem im Hinblick auf die Fahrt zur Buchmesse am kommenden Freitag tat ich mich am Ende dieses digitalen Buchmessetages schwer, da ich den Diskurs, der bezüglich eines rechten Verlages aufkam, welcher nahe einer großen Bühne ausstellt, über den Tag hinweg verfolgt hatte. Für mich war die Buchmesse bisher immer ein vermeintlich perfekter Ort, an dem die Literatur Menschen vereint. Mitzuverfolgen, dass dies nicht so ist, machte mich nachdenklich über meinen Messebesuch. Ich nahm mir vor, mit einem geschärften Bewusstsein dafür am Freitag nach Frankfurt zu fahren und über die Buchmesse zu laufen.




Tag 2: 21.10.2021 (digitale Teilnahme des LZG)

Zweiter Tag der hybriden Frankfurter Buchmesse

Auch den zweiten Buchmessetag erlebten wir digital vor den Bildschirmen daheim. 
Wir berichten für Sie über einige unserer Highlights... 


Die Buchmesse hybrid: Inklusive Tweed, Livestream und Instagram-Feed - von Mareike Uhlmann

 

 

 

Jasmin Schreiber stellt ihr neues Buch Der Mauersegler vor.

 

 


Gespräch mit Antje Rávic Strubel, der  Gewinnerin des diesjährigen Deutschen Buchpreises. Das LZG gratuliert herzlich!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Lesenswert: Sasha Marianna Salzmanns neuer Roman erzählt von vier Frauen zwischen der Sowjetunion und Deutschland.

Am Morgen wache ich beschwingt auf – denn heute ist Buchmesse-Tag! Zwar nicht live vor Ort, aber dank Livestreams, Podcasts und Social-Media kann man auch daheim vor dem Laptop das Gefühl haben, ein Teil des Ganzen zu sein. Ich bin gespannt, wie das Ganze so wird:

 

9:45 Uhr: Ein Blick aus dem Fenster bestätigt mir, was meine Ohren bereits wahrgenommen haben: Der Ahornbaum vor dem Haus schwankt bedrohlich, Sturmtief »Ignatz« spielt mit seinem Wipfel. Ein Blick auf meinen Veranstaltungskalender für heute: Peter Wohlleben spricht über sein Buch Der lange Atem der Bäume. Na das passt ja.

11 Uhr: Einen interessanten Bericht des Beamten der Landesforstverwaltung, eine Liebeserklärung an Bäume und eine Tasse Kaffee später: Die Preisträgerin des aspekte-Literaturpreis Ariane Koch ist zu Gast auf dem »Blauen Sofa« und spricht über ihr literarisches Debüt Die Aufdrängung. Dabei geht es um eine Frau, die einem großen Haus wohnt und einen Fremden bei sich aufnimmt, womit eine Selbstbeobachtung beginnt. Themen wie Wohnen, Heimat, Gastfreundschaft und Aufdrängung kommen zur Sprache. Wenn jetzt jemand Fremdes bei mir klingelt, würde ich ihn vermutlich nicht zu mir einladen…

11:30 Uhr: Nahtlos geht es weiter auf dem »Blauen Sofa«. Jasmin Schreiber präsentiert Der Mauersegler, ihren zweiten Roman nach dem SPIEGEL-Bestseller Marianengraben. »Viele Bücher enden da, wo ich anfange«, deklariert die Autorin, auf ihre düsteren Themen Tod, Sterben, Schuld und Trauer angesprochen. Im Falle von Der Mauersegler geht es um Prometheus, dessen bester Freund Jakob stirbt, woran er die Schuld trägt. Bewegender und rührender Stoff.

12:00 Uhr: Wie toll, dass man – nicht wie in Präsenz – ständig den Veranstaltungsort wechseln muss. Ich bleibe einfach vor meinem Laptop sitzen und schalte bei der Bundeszentrale für politische Bildung ein. Hier ist die Preisträgerin des Deutschen Buchpreises, Antje Rávic Strubel, zu Gast, um aus ihrem Roman Blaue Frau zu lesen und über Erinnerungskultur zu sprechen. Macht auf jeden Fall Lust, den Roman zu lesen.

12:25 Uhr: Zeit für Kaffee, Zeit für einen Snack, Zeit für andere Gedanken.

13 Uhr: »Zeit zuzuhören« – So heißt das Videoprojekt des Goethe-Instituts, in dessen Rahmen jeden Tag ein anderer Autor oder eine andere Autorin eingeladen wird. Heute ist es die Autorin Zaia Alexander, deren Leben sich zwischen den beiden Orten Potsdam und Los Angeles abspielt. Ihr Film Vermisst / Missing verarbeitet genau das und schließt mit den tiefsinnigen Worten »What I miss most is missing«. Zaia Alexanders Buch Erdbebenwetter spielt in Los Angeles. Sie schrieb es auf Deutsch und auf Englisch, sodass zwei sprachliche Originale existieren, ganz nach dem Credo: Eine Sprache ist nicht genug. Beeindruckend.

14:15 Uhr: Mittagessenszeit. Während des Gemüseschneidens gibt es Claudia Sammer auf die Ohren, die auf »literadio« ihren Roman Wild Card vorstellt. Wild Card steht hier für ein unvorhersehbares Ereignis mit großer Wirkung, wie auch 9/11. In dem Roman streifen ein junger Mann und eine junge Frau durch die Stadt und erleben das Horror-Szenario, wobei eigene Erinnerungen und Erfahrungen von Sammer eingeflochten sind. Der Strang von Wild Card zieht sich hin bis heute zur Corona-Pandemie. Ah stimmt, deshalb bin ich ja heute daheim...

15 Uhr: Kürbissuppe und Julia Franck. Welten auseinander heißt ihr neuer Roman, den sie auf dem »Blauen Sofa« vorstellt. Darin will sie ihren frühen Erfahrungen und ihrer von Brüchen geprägten Kindheit einen Raum und eine Gestalt geben. Konkret geht es dabei unter anderem um den Wechsel von Ost- nach Westdeutschland und um das eigene Gefühl von Fremdheit.

16 Uhr: Fremdheit ist auch hier ein Thema: Nava Ebrahimi ist mit ihrem Roman Das Paradies meines Nachbarn zu Gast bei der »30-Minuten-WG«. Die Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin 2021 spricht über Migration, Kindersoldaten und darüber, ob es sie stört, immer auf ihre Herkunft angesprochen zu werden.

16:30 Uhr: Der Schreibtisch hat ausgedient – ich liege schon im Bett. Daran mag es womöglich liegen, dass ich so langsam müde werde… aber Sasha Marianna Salzmann weckt mich mit ihrer spritzigen und jugendlichen Art wieder auf! »Was ist schon die Kunst ohne Humor«, äußert sie mit einem Augenzwinkern in Bezug auf ihren Roman Im Menschen muss alles herrlich sein, der die Geschichte und die Beziehung von zwei Müttern und zwei Töchtern erzählt. Den Titel des Buches hat Salzmann bewusst ambivalent gewählt: Er klingt schön und positiv, verkam in der Sowjetunion jedoch als Beleidigung, im Sinne davon, dass der Mensch nicht perfekt ist und aufpassen muss, was er tut.

17 Uhr: Hallo Kaffee, hallo Frau Heidenreich. Hier geht’s lang! Mit Büchern von Frauen durchs Leben ist ihr neues autobiographisches Buch, in dem sie die Stationen ihres Lebens beschreibt und die Bücher, die sie dabei geprägt haben. Im Gespräch geht es um Religion und den Sinn des Lebens, um ihre Vorliebe für Opern, um ihre Pflegeeltern, um grottenschlechte Mathekenntnisse und um Schreibtätigkeiten für Kommilitonen. Ein Satz ist besonders hängen geblieben: »Es gibt nicht Männer- oder Frauenliteratur, es gibt gute und schlechte Literatur«. Gute Literatur habe ich heute auf jeden Fall viel erleben dürfen.

17:45 Uhr: Genug. Ein langer, aber umso impulsreicherer Tag auf der virtuellen Buchmesse geht zu Ende. Ich habe keinen langen Heimweg, Geld für überteuerten Kaffee gespart und meine Kuschelsocken sind schon an. Gar nicht so schlecht, so ein Buchmessen-Tag von zu Hause.




Tag 3: 22.10.2021 (Das LZG vor Ort)

Dritter Tag der Frankfurter Buchmesse - Das LZG live vor Ort 

Auf diesen sehr besonderen Tag freute sich das LZG-Team schon lange, denn am Messefreitag ging es für uns endlich wieder in die Messehallen nach Frankfurt. Von den vielfältigen Erlebnissen und Eindrücken unseres LZG-Präsenztages berichten wir hier...
 


Halbleere Gänge statt dichtem Gedränge: Der Freitag auf der Buchmesse - von Mareike Uhlmann

 

 

 

 

 

 

Cécile Schortmann spricht mit Edgar Selge über sein Buch Hast du uns endlich gefunden.

 

 

 

 

 


Bestseller-Autor Sven Regener auf dem »Blauen Sofa«

 

 

 

 

 

 


Vielseitiges Talent: Comedian Bülent Ceylan schreibt jetzt auch Bücher...

 

 

 


Die vielfach ausgezeichnete Autorin Jenny Erpenbeck über ihren neuen Roman Kairos

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Endlich wieder Kultur tanken! Sich losmachen zu neuen Welten, bei spannenden Diskussionen halt machen, sich treiben lassen, Ausschau nach neuen Impulsen halten und bei Bedarf auch mal die Kehrtwende machen – der Besuch der Frankfurter Buchmesse am Freitag war wie eine kleine Reise, bei der man noch nicht genau weiß, wo sie hingeht, bei der man aber am Ende erschöpft und erfüllt heimkehrt. Es war eine Buchmesse, die sich dieses Jahr so ganz anders präsentierte als die letzten Jahre vor Ort: halbleere Gänge statt dichtem Gedränge, leises Gemurmel statt lautem Geräuschteppich, freie Sitzplätze statt hektischem Rumgehetze… Ich muss gestehen, ich als Besucherin fand’s toll! Und wer auch immer einwendet, die Messe habe dadurch etwas von ihrem charakteristischen Messe-Charme eingebüßt, dem setze ich die Erinnerung an schmerzende Füße, lange Schlangen und dröhnende Kopfschmerzen entgegen.

 

Los ging es gegen 10 Uhr. Nachdem wir uns etwas hatten treiben lassen, nahm ich auf dem »Blauen Sofa« Platz, auf dem um 11 Uhr der deutsche Schauspieler und Schriftsteller Edgar Selge sein literarisches Debüt Hast du uns endlich gefunden vorstellten sollte. In dem Roman beschreibt er seine Kindheit in Ostwestfalen und seine bildungsbürgerliche Familiengeschichte, um »gegen die ungeheuerliche Gleichgültigkeit anzuschreiben, die von einem Leben rührt, wie wir es führen«. Als sehr beeindruckend empfand ich bei dem Gespräch Selges bildhaft-poetische Sprechweise, die mich etwas an einen Poetry-Slam erinnerte.

Weiter ging es auf dem »Blauen Sofa« mit Friedemann Karig und Samira El Quassil, die in ihrem Buch Erzählende Affen: Mythen, Lügen, Utopien – wie Geschichten unser Leben bestimmen das Erzählen von Geschichten als Gattungsmerkmal des Menschen herausstellen. Die aufgestellten Thesen waren sehr interessant, nichtsdestotrotz war ich froh, dem Gespräch am Anfang der Buchmesse und mit Rest-Koffein im Blut zu lauschen, denn einfach zu verfolgen war es aufgrund der theoretischen Hintergründe gewiss nicht. Und dennoch klingt etwas nach; hängen geblieben ist dabei vor allem ein Satz bei mir: »Wir können die Art, wie wir denken, nicht durch die Art, wie wir denken, verändern«.

Danach nahm auf dem »Blauen Sofa« ein Autor Platz, auf den ich mich persönlich sehr gefreut hatte: Sven Regener, dessen Roman Herr Lehmann bei mir daheim im Bücherschrank steht. Wie zu erwarten präsentierte er auch seinen neuen Roman Glitterschnitter auf eine humorvolle und sympathische Art und Weise und verleitete damit sogar Moderatorin Marie Sagenschneider zu den Worten »Das läuft hier alles aus dem Ruder«. Glitterschnitter – ein unterhaltsames und schillerndes Panorama der jugendlichen Subkultur der 80er Jahre in Berlin-Kreuzberg. Ein Ort, an dem Regener die Puppen tanzen lassen kann, weil er sich hier auskennt.

Nun reichte es mir aber erstmal mit dem »Blauen Sofa«. Aufgetankt mit neuen Impulsen und Eindrücken schweifte ich durch die Hallen, ließ die Eindrücke auf mich wirken, blätterte durch dieses und jenes Buch – wobei ich mich stark davon abhalten musste, mir neue Bücher zuzulegen, denn mein »will-ich-noch-lesen«-Stapel ist so schon hoch genug – und schnappte frische Luft auf dem Außenbereich des Messegeländes.

Ausgestattet mit einem Kaffee begab ich mich gegen 14 Uhr dann abermals zum »Blauen Sofa«, um Tsitsi Dangarembga zuzuhören, die für ihr Buch Überleben als erste Autorin der Subsahara mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde. Im Gespräch mit Matthias Hügle redete die simbabwische Autorin und Filmemacherin über die neue Wahrnehmung afrikanischer Stimmen, über Auswirkungen von Unterdrückung und über die Freiheit des Ausdrucks. In ihrem Buch versucht ein Mädchen vom Land als Werbetexterin Karriere zu machen, denkt dabei über ihre Prinzipien nach und entdeckt, dass diese im Widerspruch zu ihrer Karriere stehen. Zentral ist dabei die Frage, inwieweit man sich zum Komplizen von repressiven Strukturen machen muss, um voranzukommen.

Da ich nun sowieso schon hier war, blieb ich auch noch sitzen, als der Komiker Bülent Ceylan auf die Bühne kam, verwundert darüber, dass dieser ein Buch geschrieben hat. Ankommen: Aber wo war ich eigentlich? heißt das Buch, in dem er seinen Werdegang beschreibt und überraschend ehrlich über seine Mobbing-Erfahrungen, seinen Migrationshintergrund und seine Familie spricht. Der ein oder andere Lacher war natürlich vorprogrammiert – nichtsdestotrotz fanden auch emotionale und tiefsinnige Gedanken ihren Platz.

Um 15 Uhr wechselte ich zum Stand der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo der irische Schriftsteller, Journalist und Literaturkritiker Colm Tóibín seinen Roman Der Zauberer vorstellte, in dem er mit viel Empathie das Leben von Thomas Mann als Roman erzählt. Dabei kamen auch Themen wie Depressionen, Suizid und Homosexualität zur Sprache – sicherlich spannend, wenn man sich für die Biographie des bekannten Autors interessiert.

Danach war es mal wieder Zeit für eine Pause, für frische Luft und für gemütliches Bummeln durch die Reihen, bis hin zum Stand von STERN und Penguin Random House. Hier stellte um 16 Uhr Jenny Erpenbeck ihren Roman Kairos vor. Die vielfach ausgezeichnete Autorin beschäftigt sich darin mit der Zeit zwischen 1986 und 1992 und behandelt das Verschwinden einer Liebe parallel zum Verschwinden eines gesamten Landes. Den Roman sieht sie als Museum ihrer eigenen Erinnerung und der Erinnerungen der Freunde an die DDR. Die eigentümliche Liebesgeschichte zwischen dem 50-jährigen Hans und der 19-jährigen Katharina sei erst später im Gedankenprozess dazu gekommen.

So interessant der Roman klang – so langsam reicht es mir mit den ganzen Gesprächen, ich will gerne auch mal eine Lesung hören! Schade, dass es das Lesezelt auf dem Außengelände dieses Jahr nicht gibt. Fieberhaft suche ich in der Buchmesse-App nach Lesungen und stoße dabei auf Selim Özdogan und seine Erzählungen Die Musik auf den Dächern – wunderbar! Die Erzählungen sind wie Wellness für meine Ohren in diesem Moment, einfach zuzuhören und dennoch melancholisch und tiefgründig, poetisch und virtuos. Selim Özdogan schlüpft in verschiedene Erzählerrollen und beschreibt unterschiedliche Situationen mit einem stets schmunzelnden Blick.

Bei der anschließenden Lesung mit Tine Rahel Voelcker zu Frauen der Unterwelt. Queerfeministische Antworten auf Psychatriegewalt, Sexismus und Abelismus merke ich, dass ich nicht mehr aufnahmefähig bin.
Zeit, heimzugehen – im Gepäck nicht nur diverse Broschüren, Flyer und Zeitschriften, sondern auch Denkanstöße, Erinnerungen und Lesehunger.

Und ein Buch...


Die Frankfurter Buchmesse endlich auch vor Ort erleben – von Josephine Ellermeyer

 

 


Macht Lust auf mehr: Die Biographie von Michaela Karl über die amerikanische Tänzerin Isadora Duncan

 

 

 

 

 

 

 

 

Sieben weiblichen Opfern der NS-'Euthanasie'-Morde gibt Tine Rahel Völcker in ihrem neuen Theaterstück Frauen der Unterwelt eine Stimme.
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Heute war das LZG-Team live vor Ort auf der Frankfurter Buchmesse. Schon morgens ging es mit dem Zug nach Frankfurt, um so viel wie möglich von dem Messetag mitnehmen zu können.

Ich besuchte zuerst eine Veranstaltung der »30-Minuten-WG«. Im Büchertalk sprach die Autorin und Historikerin Michaela Karl über ihr neues Buch Lasst uns tanzen und Champagner trinken – trotz alledem! Es handelt sich um eine Biographie der amerikanischen Tänzerin Isadora Duncan (1877-1927), die zu ihrer Lebzeit enorm gegen den Strom schwamm. Zu einer Ikone avanciert, propagierte sie freie Liebe, war politisch aktiv, verachtete Reichtum und bestand stets auf ihre Freiheit. Bereits in dem kurzen Interview mit der Autorin klingt an, dass Isadora Duncan eine zerrissene und sich immer wieder inszenierende Frau war. Bei mir hat es das Interesse geweckt, mehr zu erfahren und das Buch auf meinem Stapel an noch zu lesenden Büchern zu ergänzen.  
Mittags besuchte ich ein Gespräch auf dem »Blauen Sofa« mit der Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchpreises 2021, Tsitsi Dangarembga. Die Autorin behandelt in ihren Büchern den Kontinent Afrika im Allgemeinen sowie Kolonialismus und Unterdrückung. Sie sprach über patriarchale gesellschaftliche Strukturen und das Leben von Frauen in Simbabwe und stellte gleichzeitig fest, dass sich die Gedanken der Menschen anfangen zu öffnen. Mit ihrem neuen Roman Überleben schließt sie die Geschichte einer Trilogie ab. Die Protagonistin ihrer Geschichte sieht sich in Komplizenschaft mit repressiven Strukturen ihrer Umgebung, was sie in Konflikt mit ihren eigenen Prinzipien bringt. Kurz wurde zudem der Konflikt der Meinungsfreiheit auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse von der Autorin angesprochen: Es sei wichtig, den Diskurs anzustoßen, so Tsitsi Dangarembga.  
Und auch in dem nachfolgenden Gespräch mit Bülent Ceylan zu seinem Debüt Ankommen positionierte sich der Comedian gegen den Stand des rechten Verlages in Nähe der großen Bühne. Hinsichtlich der Auseinandersetzung mit diesem Thema war mir persönlich noch einmal wichtig, mir vor Ort ein Bild zu machen. Insgesamt kam es an diesem Tag in verschiedenen Autor*innen-Gesprächen immer wieder zum Thema.       
Gegen Nachmittag besuchte ich noch einmal ein Gespräch der »30-Minuten-WG«. Jenny Erpenbeck sprach über ihren neuen Roman Kairos. Kairos bezeichnet den Zeitpunkt eines glücklichen Augenblicks. In dem Roman geht es um die deutsche Zeitgeschichte und eine tragische ostdeutsche Liebesgeschichte, die von 1986-1992 spielt. Die Autorin beschrieb ihr Buch als ein »Museum zum Wahrnehmen« der damaligen Zeit, in der nicht nur eine Liebe, sondern auch ein Land untergeht.    
Zum Abschluss meines Buchmessetages sah ich mir noch eine Lesung mit der Autorin Tine Rahel Völcker auf der Leseinsel der unabhängigen Verlage an. Sie las aus ihrem Theaterstück Frauen der Unterwelt, die die Geschichte mehrerer Frauen im Zusammenhang mit den 'Euthanasie'-Morden zur Zeit des Nationalsozialismus zum Thema hat. Dabei flossen historische Arztbriefe und Patientinnenakten in die Figurenbiographien mit ein. Allgemein sei weibliche Pathologität ein großes Thema ihres Stücks, erzählte die Autorin.

Mit vielen Eindrücken, einem gefüllten Jutebeutel und dem Kopf voller Bücher, die als nächstes gelesen werden müssen, ging es abends zurück nach Gießen.


Frankfurter Buchmesse 2021: Meine Eindrücke und Highlights des Präsenztags – von Chahrazad Bakhouch

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Absolut empfehlenswert: Dilek Güngör (rechts) war mit Vater und ich für den Deutschen Buchpreis 2021 nominiert.

 

 

 

 

 

 

 

 


Günter Speyer, einer der wohl letzten noch lebenden Zeitzeugen, erzählt von seinen traumatischen Kriegserlebnissen.

 

 

 

 

 

Nach einer langen Phase des literarischen Ausdürstens und dem Wunsch nach Austausch über Literatur, Kultur und Politik haben sich alle im LZG-Team, mich eingeschlossen, sehr gefreut darüber, dass ein so großes Ereignis wie das der Frankfurter Buchmesse wieder stattfindet. Natürlich war ich ganz aufgeregt – in der Vorbereitung wollte ich daher nichts falsch machen. Gedanklich ging ich alle wichtigen Punkte durch: Corona-Negativ-Nachweis?  Check! Eintrittskarte? – Check! Handy geladen?  Check! Zum Glück bekam ich trotz der zuvor angekündigten Unwettermeldungen noch einen passenden Zug. Während meiner Zugfahrt hoffte ich, dass die Wege zu meinen Wunschveranstaltungen nicht zu labyrinthisch sind, und tatsächlich gelang es mir, mich zu orientieren. Mit meinem Presseticket in der Hand haltend, bekam ich fast schon VIP-artige Einblicke in die ersten Veranstaltungen des Tages (ich werde mich in meinem Bericht auf meine persönlichen Highlights beschränken. Ein ganzer Tagesbericht würde den Rahmen sprengen).

 

Ich steuerte als erstes auf die Leseinsel der unabhängigen Verlage zu, da ich mich ganz besonders auf Dilek Güngör freute, die ihren Roman Vater und ich vorstellte. Sie erzählt in einem späteren Interview, dass sie mit der darin thematisierten berührenden Vater-Tochter-Beziehung von einer schleichenden Entfremdung spricht, die das Erwachsenwerden der Protagonistin hervorbringt, von auseinanderdriftenden Gedankengängen und Wünschen und von kulturellen Eigenheiten. Meiner Meinung nach beweist Dilek Güngör mit der Aufnahme ihres Romans auf die Longlist des Deutschen Buchpreises, wie wichtig Migrationskultur für die deutschsprachige Literatur ist. 

Die nächste eindrucksvolle Station war für mich das »Blaue Sofa«, auf dem schon mancherlei Persönlichkeit saß. So auch Sven Regener, der von seinem neuen Roman Glitterschnitter erzählte. Die Arbeit an dem Roman und das Nachdenken über die Details des Werkes katapultierten Regener in seine jungen Jahre: »Als man ins Erwachsenenalter rein sollte, aber die Regeln nicht kannte, oder, wenn man sie kannte, sie vielleicht nicht gut fand«. In Erinnerung blieb mir ganz besonders Regeners Analogie zu Kafka, bei dem es zwar bekannte Regeln gibt, die zu befolgen sind, die allerdings keiner so richtig zu begreifen vermag. Auf die Frage hin, wie der Plot von Glitterschnitter sei, findet Sven Regener selten eine richtige Antwort, er lässt sich leiten und inspirieren von seinen Protagonist*innen. Vordergründig möchte er zeigen: »Hey! Schaut nicht auf das Was, sondern auf das Wieso«. 

Neben den ganzen Interviews und Lesungen, die ich mir an diesem Tag auf der Frankfurter Buchmesse anschaute, stieß ich (ganz zufällig beim Warten auf meine nächste Lesung) auf ein Gespräch zwischen Tabea Rößner (MdB, Bündnis 90 / Die Grünen), Angelika Angermeier (Autorin) und Anette Sievers (pmv-Verlegerin). Als ich den Titel der Veranstaltung »Frauen und ihr Weg zum Schreiben« las, war mein Interesse geweckt. Ganz persönlich sprachen die drei Frauen über ihren holprigen Einstieg ins Schreiben, von Tiefschlägen, Ablehnung und der ungemeinen Wichtigkeit der Selbstermächtigung als Frau. Mir persönlich hat dieses Gespräch sehr viel bedeutet, da es mir vorgeführt hat, dass die selbst auferlegten Dogmen nicht zu selbsterfüllenden Prophezeiungen werden müssen und vor allem, dass man mit anfänglichen Schwierigkeiten in jeder Hinsicht nicht alleine ist.

Zuletzt möchte ich von einer Veranstaltung berichten, die mir persönlich sehr nahe ging: Ich fühlte mich sehr geehrt, einen der wenigen noch verbliebenen Zeitzeugen, nämlich Günter Speyer, hören und sehen zu dürfen, welcher in seinem Erinnerungsbuch Mein Krieg von seinen bedrückendsten und eindringlichsten Erlebnissen des Krieges und der Gefangenschaft sprach so bedrückend und traumatisierend, dass er erst im hohen Alter von 90 Jahren mit dem Schreiben begann. Zum Glück, kann ich sagen, denn aufgeschriebene Geschichten währen ewig als Überbleibsel in den Köpfen der Menschen. Berührt hat mich Günter Speyers Haltung gegenüber seinen Erlebnissen, denn er hegte keinen Groll mehr gegenüber den Abscheulichkeiten des NS-Regimes. »Eine sehr starke Haltung!«, dachte ich, denn es erfordert großen Mut und Stärke, sich mit seinem Trauma auseinanderzusetzen und dennoch vergebend zu sein. Das Schreiben habe ihn befreit, sagte er, und forderte die Generation des 21. Jahrhunderts dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.




Tag 4: 23.10.2021 (digitale Teilnahme des LZG)

Vierter Tag der Frankfurter Buchmesse - heute wieder digital

Mit dem vierten Messetag endet für uns die diesjährige Frankfurter Buchmesse, die unter dem passenden Motto »Re:connect – Welcome back to Frankfurt« stattfand. Auch heute versorgen wir Sie mit weiteren Highlights des Buchevents. Viel Spaß beim Lesen!


Frankfurter Buchmesse digital: Weitere Eindrücke und Highlights – von Chahrazad Bakhouch

 

 

 


Heute wieder digital unterwegs: Eva Menasse macht in ihrem neuen Roman Dunkelblum ein trauriges historisches Ereignis zum Hintergrund eines Kleinstadtporträts im Jahr 1989.

 

 

 

 

 


Samira El Ouassil und Friedemann Karig über die Macht der Geschichten

Der nächste heute wieder digitale  Buchmessentag stand an und ich freute mich, meine bereits ausgesuchten Veranstaltungen im Stream sehen zu können. Erfreut darüber, dass ich mir um Sitzplätze und schlechte Akustik keine Gedanken mehr machen musste, wartete ich gespannt, bis der Countdown runter zur Null das erste Gespräch eröffnete.

 

Den Auftakt machte die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse mit ihrem im Herbst erschienenen Roman Dunkelblum. Sie erzählt im Gespräch von ihrer Romaninspiration: Das Massaker an jüdischen Zwangsarbeitern im burgenländischen Rechnitz 1945. Das rätselhafte Schweigen in Dunkelblum (eine fiktive Kleinstadt in Anlehnung an Rechnitz) um die verschollenen Toten ist auch 1989 einschlägig laut – über die Überbleibsel der Verstorbenen lässt sich nur mutmaßen. Schnell tun sich Fragen nach diesem Schweigen auf: Wer weiß etwas? Wissen überhaupt Menschen davon? Wissen alle dasselbe und wollen es nicht aussprechen?

Doch geht es Eva Menasse nicht um das Verbrechen an sich, wie sie betont. Ihr gehe es darum, Bewusstsein für das Geschehene zu schaffen, sie wolle keinen historischen Roman schreiben, sondern eine paradigmatische Menschheitsgeschichte erzählen. Aus diesem Gespräch habe ich ganz besonders das metaanalytische Nachdenken über die Verwendungsweise von Literatur und den Umgang mit Formatmöglichkeiten, Schreibarten und Intentionen erfahren dürfen.

Direkt im Anschluss ging es weiter mit der Gewinnerin des Deutschen Buchpreises, Antje Rávic Strubel, die sicherlich an diesem Tag (und auch an den Tagen davor) nicht ihr erstes Interview zu ihrem preisgekrönten Roman Blaue Frau gab. Darin geht es um das Trauma einer Vergewaltigung und die Ohnmachtsgefühle, die dabei entstehen. Betont wurde im Livestream, wie es Antje Rávic Strubel schafft, das Unaussprechliche durch die Kraft der Literatur zu versprachlichen. Erleichtert wird diese Artikulation durch die blaue Frau, die als Zwischeninstanz in Ravics Roman fungiert. Strubel betont, dass trotz aller Brisanz und Sensibilität um das Thema der sexualisierten Gewalt, vor allem durch die »Me-too-Bewegung«, keine externen Reize als Leitbilder herhielten.

Aus dem Blickwinkel der sozialkulturellen Evolution heraus hochspannend ist Samira El Ouassils und Friedemann Karigs Erzählende Affen. Mythen, Lügen, Utopien - wie Geschichten unser Leben bestimmen. Zu Beginn des Interviews interpretiert Samira El Ouassil den Watzlawick’schen Ansatz: »Der Mensch kann nicht nicht kommunizieren« , und schlussfolgert dann: »Der Mensch kann nicht nicht erzählen«, denn es seien die Geschichten, die zu Anbeginn der Menschheitsgeschichte am effizientesten, kostengünstigsten und informativsten den Menschen beeinflussten – und so verhalte es sich auch heute. Gute Geschichten verändern Menschenleben, sie können allerdings auch viel zerstören. Diese enorme Wirkungsmacht verfolgen Samira El Ouassil und Friedemann Karig, indem sie diese ambivalente Wirkungsmacht anhand wichtiger Narrative ab der Antike bis zur Gegenwart erforschen. Denn gute Geschichten sind soziologisch wertvoll, sie durchdringen unser öffentlich-politisches Leben und beeinflussen die Wirklichkeitswahrnehmung.

Insbesondere gehe es El Ouassil und Karig darum, neue wirkungsmächtige Narrative der Aufklärung zu erforschen, denn diese würden gebraucht.



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