Frankfurter Buchmesse 2018 

Tag 1: 10.10.2018

Erster Tag der Frankfurter Buchmesse 2018 – eine vielfache Betrachtung

Das LZG besuchte auch in diesem Jahr wieder die Frankfurter Buchmesse. Eindrücke, Erfahrungen und noch mehr "Lesenswertes" finden Sie in den folgenden Berichten. Viel Vergnügen beim Lesen!




Mein Buchmessetag – von Daniel Willrich

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Vergabe des Read Russia Preises 2018
 

 

Die Stände des Buchmessegastlandes Georgien und des Goethe-Instituts in Georgien

 

 

 

Wladimir Kaminer plaudert zum Thema Kreuzfahrten aus dem Nähkästchen

Am Mittwochmorgen fuhr ich ganz gespannt und ein wenig aufgeregt von zu Hause los, um zum ersten Mal in meinem Leben die Frankfurter Buchmesse zu besuchen. Inmitten all der Journalisten und Pressevertreter mit dem Shuttle-Bus vom Parkhaus zur Messe zu fahren, kam mir irgendwie unwirklich vor. Gegen 11 Uhr betrat ich dann durch den Eingang Ost die Messe und war direkt von einer Menschenmenge und einem lauten Stimmengewirr umgeben. Ich hatte mir vorgenommen, zuerst einmal einfach in Ruhe über das Messegelände zu schlendern und alles auf mich wirken zu lassen. Im Nachhinein betrachtet war das womöglich ein Fehler, denn es gab so viel zu sehen, zu entdecken, auszuprobieren und zu erkunden, dass ich schlicht und einfach überfordert war.


Um 12 Uhr entschied ich mich einfach am nächstbesten Stand stehenzubleiben, um mir einerseits das Dargebotene anzusehen und andererseits, um ein wenig zur Ruhe zu kommen. Glücklicherweise hatte ich mir bereits die App zur Buchmesse heruntergeladen und konnte mir so zumindest einen kleinen Überblick über die vielen Termine und Angebote verschaffen. Ich nutzte die Zeit bis 12:30 Uhr, um mir einen Plan auszuarbeiten und etwas strukturierter durch den Tag zu kommen. Da ich mich in der Halle mit den Ständen der Internationalen Verlage und Verlagsgruppen befand, ging ich zum Stand eines russischen Verlages. Um 12:30 Uhr fand dann die Vergabe des Read Russia Preises 2018 statt, welche ich mir gerne anschauen wollte.


Ganna-Maria Braungardt erhielt den Preis für ihre Übersetzung von Iwan S. Turgenews Väter und Söhne und ich erinnerte mich daran, während meines Studiums ein Referat darüber gehalten zu haben. Leider konnte ich nicht allem, was während der Verleihung gesagt wurde, folgen, aber ich war trotzdem durchaus stolz auf mich, überhaupt einige Gesprächsinhalte verstanden zu haben. 

 

Anschließend wandte ich mich auf die andere Seite des Ganges, da ich mich in der Halle mit den Internationalen Verlagen befand und auf dieser Seite das Gastland Georgien seinen Stand hatte. Hier wurde unter anderem über die Arbeit des Goethe-Instituts in Georgien berichtet und einige georgische Autorinnen und Autoren stellten ihre Werke vor. Unter anderem Nino Haritischwili, Gvanta Jobava sowie Anna Kordsaia-Samadschwili eröffneten den Zuhörern die Möglichkeit, ihr Heimatland literarisch kennenzulernen.
Obwohl es schwerfiel, musste ich mich bald losreißen, da ich mir eine Veranstaltung mit Heinz Strunk ausgesucht hatte, die am anderen Ende des Messegeländes stattfand. Durch meinen ausgiebigen morgendlichen Rundgang kannte ich mich inzwischen jedoch recht gut aus und so schaffte ich es, um kurz nach 13 Uhr an meinem Zielort anzukommen. Heinz Strunk erzählte ausführlich und unterhaltsam von seinen Büchern, aber auch von seiner Arbeit für Film und Fernsehen. 

 

Nach einer ausgedehnten Mittagspause in der ich mir die Agora, den großen freien Platz in der Mitte des Geländes anschaute und am Stand der Bundesregierung an einem Europa-Quiz teilgenommen hatte, war es auch schon Zeit für das erste Verlagsgespräch. Gegen 15:30 Uhr begleitete ich Anna-Lena, die Geschäftsführerin des LZG, zum Gespräch mit dem avant-Verlag, welcher Comics und Graphic Novels publiziert. Danach ging ich zurück zu dem Stand an dem vorher schon Heinz Strunk zu Gast gewesen war, da dort nun Wladimir Kaminer zu einem Gespräch eingeladen war. 

Ich hatte einige Rezensionen seines neuesten Werkes Die Kreuzfahrer gelesen und war daher sehr gespannt auf seinen Auftritt. In seinem Roman berichtet Kaminer von verschiedensten Erlebnissen und Entdeckungen, die er während einer Kreuzfahrt gemacht hat. Außerdem kam er auf die Probleme einer Lesung auf einem Schiff zu sprechen, da man dort als Autor pausenlos den Fragen und Anmerkungen seiner Zuhörer ausgesetzt sei und die Lesung quasi kein Ende finden würde. Einen interessanten Trend konnte der Moderator aufdecken, als er darauf hinwies, dass neben Kaminers Werk auch Juli Zehs Neujahr sowie Inger-Maria Mahlkes Archipel, das in diesem Jahr mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, auf den Kanarischen Inseln spielen.


Etwas geschafft von den vielen Eindrücken und Gesprächen machte ich mich dann langsam auf den Rückweg, jedoch nicht ohne mir am Thalia-Stand noch ein persönliches Lesezeichen zu gestalten. Mein ursprüngliches Ziel, mich vom Programm der Buchmesse überraschen zu lassen und mehr oder weniger spontan Lesungen und Interviews zu verfolgen, war zwar aufgegangen, dennoch entschied ich mich mir für die folgenden Tage dazu, vorab einen Plan auszuarbeiten. 


Mein Buchmessetag – von Ekatherina Doulia

 

 

 

 

 

 

 

Luxemburgische Jungautoren sprechen über ihr Schaffen

 

Autoren des Größenwahn Verlags zum Thema Migration

 

Anna Kordsaia-Samadaschwili berichtet über ihr neuestes Buch Schuschaniks Kinder

 

 

 

Anna Katharina Fröhlich stellt ihren Roman Rückkehr nach Samthar auf »Dem blauen Sofa« vor

Dieses Jahr ging es für mich zum ersten Mal auf die Frankfurter Buchmesse. Nach unserer Ankunft auf der Messe ging ich zunächst zur Halle 4.1. Dort hatte ich mir aus persönlichem Interesse einige Gespräche und Lesungen zum Thema »Migration« ausgesucht, die ich besuchen wollte. Da ich noch etwas Zeit hatte, bevor meine erste Veranstaltung anfing, hörte ich einem Gespräch am Stand von Arte zu. Es unterhielten sich ein georgischer Autor und ein georgischer Regisseur über Kunst und Kultur aus Georgien und wie sich diese beiden Bereiche des gesellschaftlichen Lebens verändert haben. Der kurze Auszug aus dem Gespräch war sehr interessant und – obwohl die Veranstaltung auf Englisch stattfand – sehr gut zu verstehen.

 

Nach kurzer Zeit begab ich mich zum Stand von »Luxemburg – Ministère de la Culture«, da dort das erste Gespräch stattfinden sollte, dem ich zuhören wollte. Drei luxemburgische Jungautoren stellten ihre Werke vor. Interessant dabei war, dass, obwohl alle drei Autoren perfekt französisch, deutsch und letzeburgisch sprechen, jeder eine andere Sprache zum Schreiben nutzt. Am meisten begeisterte mich Samuel Hamen, der seine Kurzgeschichten auf Deutsch, seinen ersten Roman jedoch auf Letzeburgisch geschrieben hatte.

 

Nach einer kleinen Pause ging ich zum Stand »Literatur in Hessen«, an dem der Hessische Literaturrat ein sehr abwechslungsreiches Programm präsentierte. Im folgenden Gespräch stellten sich diverse Autoren des Größenwahn Verlages vor. Das Besondere hierbei war, dass die Autoren in ihren Werken über unterschiedliche Formen von Migration und dem Leben damit erzählten. Die meisten von ihnen sahen es als ihre Aufgabe an, ein Stück ihrer Lebensgeschichte zu teilen und zu zeigen, dass Migration nichts Schlechtes ist, sondern als eine Chance zum Austausch und zur Diskussion angesehen werden sollte.

Von dieser sehr inspirierenden Vorstellung ging ich weiter zur Halle 5, in welcher die „Georgian Publishers and Booksellers Association« einen Stand hatte. Dort wollte ich einen ganz besonderen Gast kennenlernen: Anna Kordsaia-Samadaschwilli. Ich hatte im Laufe meines Praktikums sehr viel von dieser Frau gehört und aufgrund der bevorstehenden LZG-Veranstaltung, die ich leider nicht besuchen kann, wollte ich die Chance ergreifen und ihren Erzählungen zuhören. Wie auch schon bei dem ersten Gespräch an diesem Tag war ich etwas zu früh und hörte deshalb der Leiterin des »Georgian National Book Center« zu, die über das Übersetzen von Büchern sprach. Es ging um die Schwierigkeiten beim Übersetzen von fremdsprachigen Büchern ins Georgische und auch um die Übersetzung georgischer Bücher in andere Sprachen. Leider fand ich dieses Thema nicht wirklich interessant und war deshalb sehr froh, als endlich Anna Kordsaia-Samadaschwilli auf die Bühne kam. Das Thema des Gesprächs war die ursprüngliche Legende von Königin Shushanik. Sie sprach von der großen Bedeutung dieser Legende für Georgien und erklärte, dass diese Legende sogar in den Schulen besprochen werde. Gegen Ende des Gespräches wurde auf Anna Kordsaia-Samadaschwilis Roman Schuschaniks Kinder hingewiesen, der aber mit der Legende kaum Gemeinsamkeiten hat. Das Gespräch war mein persönliches Highlight des Tages. Die Autorin war sehr sympathisch und es hat großen Spaß gemacht, ihrer Erzählung zu folgen. Umso trauriger war ich danach, dass ich nicht zur Lesung mit ihr in Gießen kommen kann.
Zum Abschluss des Tages und weil ich noch etwas Zeit hatte, bin ich zur Halle 3 gelaufen und schaute mich auf der oberen Ebene um. Da fiel mir auf, dass es nicht nur Verlage auf der Messe gab. Auch Zeitungen, kleinere Gruppen und sogar das Fernsehen hatten kleinere und größere Stände. Am Ende der Halle angekommen, fing gerade eine neue Vorstellung auf »Dem blauen Sofa« an, die ich mir nicht entgehen lassen wollte. Anna Katharina Fröhlich stellte ihr neues Werk Rückkehr nach Samthar vor. Um ehrlich zu sein, kannte ich weder die Autorin noch ihr Buch. Dennoch blieb ich stehen und hörte zu – und prompt war mein Interesse für das Buch geweckt.


Mein Resümee für den ersten Tag: Auf der Frankfurter Buchmesse hat man die Möglichkeit, über seinen literarischen Schatten zu springen. Ich lernte neue Autoren und ihre Werke kennen und wurde inspiriert, neue Genres für mich zu entdecken.




Tag 2: 11.10.2018

Zweiter Tag der Frankfurter Buchmesse 2018  eine vielfache Betrachtung

Auch am zweiten Tag gab es für uns ein umfangreiches Programm und vielseitige Veranstaltungen auf dem Messegelände zu entdecken. 




Mein Buchmessetag – von Ekatherina Doulia

Die sympathische Autorin Barbara Bisicky-Ehrlich und ich

 

 

Thomas Klupp stellt seinen neuen Roman Wie ich fälschte, log und Gutes tat vor

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Reiner Engelmann erzählt vom Leben des SS-Offiziers Oskar Gröning

 

Ein echtes Highlight: Der schwedische Erfolgsautor Jonas Jonasson und sein neues Buch Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten

Nachdem ich am ersten Tag etwas ruhiger an die Buchmesse herangegangen war, hatte ich mir für den zweiten Tag vorgenommen, mehr zu sehen und zu hören. Mein erster Halt war der Stand des Größenwahn Verlags in Halle 3. Dort las Barbara Bisicky-Ehrlich aus ihrem Buch SagÊ», dass es dir gut geht. Sie hatte ich am Tag zuvor beim Hessischen Literaturrat gesehen und fand ihre Geschichte interessant. In ihrem Buch schreibt sie über ihre persönliche Familiengeschichte und das Leben als dritte Generation nach dem Holocaust. Sie verarbeitet das Leben mit (dem Trauma) ihrer Großmutter und ihrer heutigen Lebenssituation als Jüdin. Nach der Lesung nahm sie sich sogar die Zeit, mit mir zu sprechen und einige meiner Fragen zu beantworten. So erfuhr ich etwas über ihre »Literaturreise« und wie sich der Prozess von der Idee, ein Buch zu schreiben, bis hin zum fertigen Werk entwickelte. Fasziniert von dieser überaus charismatischen Person steht ihr Buch ganz oben auf meiner Leseliste.


Nach diesem grandiosen Einstieg in den Tag ging ich zum nächsten Gespräch. Thomas Klupp sprach über seinen zweiten Roman Wie ich fälschte, log und Gutes tat. Der Titel hatte mich angelockt und so hörte ich Klupp zu, wie er zunächst seine lange Schreibpause erklärte: Nach seinem ersten Roman folgten drei Kinder und eine Dissertation, weshalb er kaum Zeit zum Schreiben hatte. Nachdem seine Dissertation abgeschlossen war, setzte er sich aber an seinen neuen Roman. Eine große Schwierigkeit beim Schreiben war für Klupp sein jugendlicher Protagonist, wie er den Zuschauern verriet. Die Zeit mit Klupp verging wie im Flug und nachdem er einen Auszug vorgelesen hatte, war das Gespräch auch schon vorbei.
Aufgrund einer etwas längeren Pause ging ich wieder am »Blauen Sofa« vorbei und schaute mir für kurze Zeit eine Buchvorstellung an. Jörg Schröder stellte seine Autobiographie Siegfried vor und erzählte zahlreiche Anekdoten aus seinem Leben. Im Anschluss an das Gespräch machte ich eine kurze Verschnaufpause. 

 

Danach ging es weiter zur nächsten Lesung. Der serbische Autor Goran Vojnovic stellte seinen Roman Unter dem Feigenbaum vor. Darin geht es um einen jungen Mann zur Zeit des Balkankrieges und die Suche nach Identität in einem fremden Land. Es wurde viel aus dem Roman gelesen, sodass sich die Zuhörer ein sehr gutes Bild vom Stil des Autors und der fesselnden Atmosphäre des Werkes machen konnten. Als nächstes schlenderte ich durch Halle 3.1 und schaute mir die einzelnen Stände genauer an. Hier fiel mir zum ersten Mal auf, dass es sogar Kochshows auf der Messe gibt. Ein wenig peinlich berührt von meiner eigenen Blindheit, schaute ich einem Koch beim Anrichten eines Desserts zu und nahm einige kulinarische Inspirationen mit. 

 

Um 15 Uhr traf ich zufällig meinen Praktikanten-Kollegen Daniel im Litcam Kulturstadion, der ebenfalls die nächste Veranstaltung mithören wollte. Reiner Engelmann sprach über Oskar Gröning, ehemaliger SS-Offizier und Buchhalter in Auschwitz, über den er ein Buch geschrieben hat. Wir erfuhren, dass Engelmann persönlich mit Gröning gesprochen hatte und so erzählte er über Grönings Leben, wie dieser zur SS gegangen war und was seine Aufgaben in Auschwitz waren. Ich war sehr berührt von den Erzählungen und schockiert über die Grausamkeit, die erneut in Bezug auf das NS-Regime zu Tage kam. Engelmann versuchte klarzustellen, dass es wichtig ist, nicht nur über Opfer des Holocaust zu sprechen, sondern auch über die Täter und ihre Beweggründe. Das Ende des Gespräches konnte ich nicht mehr anhören, so gerne ich es wollte, da ich noch zu meiner letzten Lesung an diesem Tag aufbrechen musste.

 

Zum Abschluss des Tages hatte ich mir etwas ganz Besonderes ausgesucht: Jonas Jonasson. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung ging es um seinen neuen Roman Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten. Seinen ersten Roman hatte ich bereits gelesen und war so glücklich gewesen, dass ich endlich auch den Autor kennenlernen durfte. In einer vollkommen entspannten Atmosphäre erzählte Jonasson von seiner Arbeitsweise, seinem neuesten Werk und amüsierte alle Zuhörer mit witzigen Anekdoten. Am Ende las er sogar aus der schwedischen Version und der Moderator übersetzte alles auf Deutsch und bedankte sich für das zahlreiche Kommen.


Überwältigt und erschöpft von diesem Tag setzte ich mich in den Zug und war froh, diese Erfahrung gemacht zu haben. Auch an diesem Tag hatte ich tolle Autoren und sympathische Menschen kennengelernt. Ich war viel gelaufen und hatte Inspirationen für meine nächsten Lektüren bekommen. Für meinen letzten Tag nahm ich mir jedoch vor, die Buchmesse entspannt ausklingen zu lassen und mich mehr mit den einzelnen Verlagsständen zu beschäftigen. 


Mein Buchmessetag – von Sabrina Stünkel

Der Kameruner Enoh Meyomesse stellt sein Tagebuch eines afrikanischen Illegalen vor

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

»Emotionen und Politik – ein unzertrennliches Paar?«. Diese Frage wird am stand Weltempfang diskutiert

 

Maryam Madjidi stellt ihr neues Buch vor

Alles war so riesig – zum Glück hatte ich mich einen Tag vorher schon an die gigantischen Hallen und die weiten Wege gewöhnen können. Es war mein zweiter Buchmessetag, sodass ich mich – für meine Verhältnisse – ziemlich gut zurechtfand. Aber die Beschilderung war super, mit der kam sogar ich »Orientierungslegasthenikerin« klar. Trotzdem war ich ein bisschen spät dran, um zu meiner ersten Veranstaltung des heutigen Tages zu gelangen: Enoh Meyomesse, der kamerunische Aktivist und Präsidentschaftskandidat stellte sein neues Buch vor, das Tagebuch eines afrikanischen Illegalen. Diese Veranstaltung war auch mein persönliches Highlight des Tages. Leider habe ich Meyomesses Lesung im LZG 2016 verpasst, sodass ich ihn heute das erste Mal persönlich auf der Bühne sah. Um genau zu sein, hatte ich den Namen zwar schon einmal irgendwann gehört, aber wirklich etwas über ihn wusste ich nicht; mich faszinieren Schicksale von Menschen aus anderen Ländern, besonders auch Afrika, sodass ich mich zu der Veranstaltung hingetrieben fühlte.
Ich konnte gleich sehen, dass Meyomesse ein herzensguter und demütiger, aber zugleich auch leiderfahrener Mensch ist. Obwohl, wie die Moderatorin Franziska Sperr (Vizepräsidentin und Beauftragte für Writers-in-Exile des deutschen PEN-Zentrums) betonte, er sehr gut Deutsch sprechen solle, entschied sich Meyomesse, die Fragen lieber auf Englisch zu beantworten. Er las auf Französisch aus seinem Buch vor, Sperr wiederholte die Lesepassagen dann nochmals auf Deutsch. Für mich war es leider schwer zu folgen, ich bekam nur am Rande mit, was gelesen wurde – es war einfach zu voll, zu viele Menschen um mich herum, zu laut, zu eng, ich noch zu aufgewühlt von der hektischen Ankunft und der Veranstaltungssuche. Aber, zumindest so viel verstand ich: Meyomesses Buch handelt von afrikanischen Illegalen, die sich ein Leben in der Wüste kreiert haben, sich dort eine eigene Zivilisation und Gesellschaft erschaffen haben. Erst nach und nach überkam mich Ruhe – obwohl das definitiv schwer ist zwischen so vielen Menschen, die ständig in Bewegung sind. Und dann begann schon die Fragerunde: Was er zum Beispiel gerne in Kamerun verändert sehe oder wie er zum hessischen Darmstadt, wo er als Elsbeth-Wolffheim-Stipendiat gelebt hat, stände, interessierte die Moderatorin. Die Stimmung war schon da sehr emotional – Meyomesse trug durch seine ruhige, demütige Art sofort etwas Emotionales mit ins Gespräch –, aber besonders ergreifend wurde es zum Schluss, als er sich bei uns Deutschen bedankte: Dafür, dass wir nicht nachgegeben hätten, als er wegen seiner politischen Aktivität in Kamerun im Gefängnis gesessen habe. Ich war gerührt. Ich persönlich hatte nichts dafür getan und ich fragte mich, wer von den Anwesenden um mich herum das von sich behaupten konnte – wahrscheinlich auch nicht viele, oder? Trotzdem – oder gerade deshalb – erreichte Meyomesse mich mit seinem Dank, weil ich es immer wieder inspirierend finde, solch starke Menschen zu treffen.

 

Direkt danach ging es dann für mich weiter zur Veranstaltung »Emotionen und Politik – ein unzertrennliches Paar?«, bei der sich ein englischer, ein spanischer und ein italienischer Philosoph zusammenfanden, um über moderne Politik und Populismus zu sprechen. »Leben wir gerade im Zeitalter der Angst?«, lautete eine Frage der deutschen Moderatorin Bascha Mika. Eine schwierige allgemeine, aber irgendwie auch persönliche Frage, wie ich finde. Auch diese Veranstaltung gefiel mir sehr gut und ich war ganz aufgeregt, als ich mich weiter zum »Blauen Sofa« trollte und mich später mit der LZG-Geschäftsführerin Anna-Lena traf, weil ich sie zum persönlichen Gespräch beim C.H. Beck-Verlag begleiten durfte. Ich fand es spannend, hier einmal hinter die Kulissen zu schauen und die neuen Bücher des Verlags vorgestellt zu bekommen. 

 

Anschließend wollte ich mir eine Reihe weiterer Veranstaltungen anschauen, zum Beispiel eine Diskussion über die »Postcolonial Legacy« (das postkoloniale Vermächtnis). Leider stieß ich hier auf eine unüberwindbare Sprachbarriere: Es wurde Französisch gesprochen, was ich nie gelernt hatte, und einen Übersetzer gab es leider nicht. Ich fand mich später bei Arte wieder, einer der wenigen Fernsehsender, den ich mag, und schaute mir die Buchvorstellung Eine Kindheit zwischen Teheran und Paris an. Ich ließ den Tag gemütlich ausklingen und war glücklich über die vielen Erkenntnisse, die ich heute für mich persönlich mitnehmen konnte, aber auch erschöpft von den vielen Eindrücken. So viel Wissen auf einmal!


Mein Buchmessetag – von Amandine Olbort

Geballte georgische Frauenpower in der Diskussionsreihe »Bittere Bonbons«

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Karl-Heinz Ott im Gespräch über sich und seinen Roman Und jeden Morgen das Meer

 

 

Am Arte-Stand geht es um die Frage, wie Literatur und Virtual Reality zusammenpassen

 

 

 

 

 

Alexa Hennig von Lange präsentiert ihr Jugendbuch Kampfsterne

Während meines zweiten Messetages auf der Frankfurter Buchmesse wurde ich von literarischen, politischen und künstlerischen Eindrücken überströmt. Der Morgen begann mit einer Gesprächsrunde im Rahmen der »Bittere Bonbons«-Reihe mit zwei jungen Schriftstellerinnen aus dem diesjährigen Buchmessegastland Georgien: Nana Ekvtimishvili und Iunona Guruli – geballte Frauenpower der georgischen Literatur. Nana Ekvtimishvili, die ebenso als Filmemacherin (Die langen hellen Tage und Meine glückliche Familie) bekannt ist, behandelt in ihrem Roman Das Birnenfeld Themen der georgischen Gesellschaft. In ihrem teilweise autobiographischen Werk beschreibt sie einen Ort des Grauens – das Birnenfeld neben ihrem ehemaligen Wohnhaus. Es geht um schwer erziehbare und verlassene Kinder aus dem Kinderheim gegenüber, um deren Alltag und den Missbrauch, den sie erfahren. Ebenso darum, wie die Kinder damit umgehen. Die Autorin zielt mit ihrem Werk darauf ab, den sozialen Kontext dieser Kinder und ihre Sexualität und Individualität zu zeigen. Sie wollte selbst ergründen, wie es möglich ist, dass diese Kinder, die von niemandem Beachtung, dafür aber Gewalt und Missbrauch erfahren, als Erwachsene doch innere Stärke beweisen, (Nächsten-)Liebe spüren und in der Lage sind, moralische Entscheidungen zu treffen. Ebenso wichtig sei es ihr, diesen Kindern und Erwachsenen, welche teilweise noch heute auf der Straße betteln, Gehör zu verschaffen. Iunona Guruli lebt seit nunmehr 20 Jahren in Deutschland und arbeitet als Übersetzerin. Im Gespräch beschreibt sie, wie es war, ihr eigenes Werk Wenn es nur Licht gäbe, bevor es dunkel wird aus dem Georgischen zu übersetzen: Auf Deutsch sei es ihr möglich, so die Autorin, mehr Abstand zu ihren größtenteils autobiographischen Erzählungen und Erlebnissen zu gewinnen, wobei dann aus einer vierseitigen Erzählung eine 16-seitige wurde. Die Fremdsprache diene somit als Filter und ermögliche es ihr, einfacher über Vergewaltigungen, Missbrauch, Drogen und die Gewalt in der georgischen Macho-Gesellschaft zu schreiben. Vor dem Gesetz sei die Gleichberechtigung vollzogen, doch Gewalt an Frauen sei bittere Realität, der Alltag der patriarchalisch-georgischen Gesellschaft. Mit ihren Erzählungen wolle sie aufmerksam machen und eine Einmischung der Gesellschaft erreichen.

 

Die zweite Veranstaltung, die ich mir an diesem Tag ansah, war ein Interview mit Karl-Heinz Ott zu seinem Roman Und jeden Morgen das Meer auf »Dem blauen Sofa«. Ott ist ein gutes Gegenbeispiel für das Konzept von Identität, das oft als homogenes Konstrukt gedacht wird: Er ist Autor, Musikwissenschaftler, Essayist und Übersetzer, um nur einige Beispiele seiner Tätigkeiten zu nennen. Für ihn stelle diese Vielseitigkeit der Aufgaben jedoch keinen Widerspruch dar, da er alle unter das Kriterium der Atmosphäre summiere: »Sprache soll atmosphärisch was vermitteln«, was der Musik zum Beispiel durch Töne gelinge. Sein Roman beschreibt die Geschichte eines plötzlichen sozialen Abstiegs, eines Abstiegs ins Bodenlose. Und doch kann dieser Abstieg durch die weite politische Lesart seines Werks positiv, nämlich als eine mögliche Zukunftsperspektive, verstanden werden.

 

Auch das Arte-Gespräch in Kooperation mit dem Goethe-Institut über Literatur und Virtual Reality (VR), das ich im Anschluss besuchte, fand ich sehr spannend und aktuell. Regisseur Mika Johnson und Medienwissenschaftler Markus Wintersberger diskutierten unter der Leitung von Moderatorin Friederike van Stephandt über die Frage des Stellenwertes von VR in der Kultur. Für den Moment sei die VR noch mehr im kommerziellen Sektor, beispielsweise bei 360-Grad-Videospielen, zu verorten. Doch ihre kulturelle Relevanz für die Zukunft sei sicher. Die Kulturinstitutionen müssen, so die Diskutanten, die VR auf ein neues Level bringen, um eigene Erzählungen zwischen Raum und Zeit zu ermöglichen. Eine weitere Frage galt der Imaginationskraft und inwiefern diese durch VR gefährdet sei. Beide Herren sehen zwar ein Gefahrenpotenzial, sind sich jedoch einig darin, dass die Chancen und Möglichkeiten dieser Technologie überwiegen. Dem Künstler sei mit VR die Möglichkeit gegeben, seine Vorstellungen und Gedanken genauer abzubilden und mit seinem Publikum zu teilen.

Die Lesung und das anschließende Gespräch auf der ARD-Bühne von Alexa Hennig von Lange aus ihrem Roman Kampfsterne mit Moderator Carsten Ott war sehr kurzweilig. Die Autorin gab preis, wie sie sich ans Schreiben neuer Romane mache, nämlich dann, wenn sie eine Stimme im Ohr habe, die beginnt, ihr ihre Geschichte zu erzählen. Bei Kampfsterne sei dies die 40-jährige Mutter Rita gewesen. Zudem erklärte sie, warum sie so gern Kinder- und Jugendliteratur schreibt: Sie kehre selbst gerne gedanklich in ihre eigene Jugendzeit zurück, welche geprägt gewesen sei von Unschuld, Staunen, Schmerz und dem Abschied der Kindheit. Die Jugend sei geprägt von der Frage danach, wer man – insbesondere ohne seine Eltern – ist. Es gehe Hennig von Lange bei ihrem Text darum zu zeigen, wie man »aus der Unschuld in die Welt hineingeboren wird«, wie sich die Suche nach dem richtigen Leben, nach Verständnis und Geborgenheit gestaltet. Die Frage danach, ob man ihr Werk als Popliteratur bezeichnen könne, bejahte sie zaghaft. Popliteratur sei es in dem Sinne, dass es Oberfläche abbildet und subjektive Sichten darstellt, jedoch sei dies nicht das einzige, was ihren Roman ausmache.


Insgesamt war der Tag sehr ereignisreich. Ich durfte vielen Autoren und Kulturschaffenden zuhören und die Erkenntnisse, die ich dadurch gewonnen habe, werden mich noch lange beschäftigen.




Tag 3: 12.10.2018

Dritter Tag der Frankfurter Buchmesse 2018 – eine vielfache Betrachtung

Am letzten LZG-Buchmessetag werden die Hallen voller: Erlebnisse und Eindrücke von Tag 3 der Frankfurter Buchmesse.




Mein Buchmessetag – von Amandine Olbort

Ein amüsanter Start in den Messetag mit Nico Semsrott und seinem Kalender des Scheiterns

 

 

Juli Zeh am Spiegel-Stand über ihr neuestes Buch Neujahr und die Verbindung von Literatur und Politik

 

 

 

 

Gendern?! wurde auf der ARD-Bühne zur Diskussionsgrundlage

 

 

 

 

Rechtspsychologin Julia Shaw präsentiert ihr Buch Böse - Die Psychologie unserer Abgründe

Für meinen dritten und letzten Messetag hatte ich mir besonders viele Veranstaltungen vorgemerkt. Ich wollte von den interessanten und anregenden Beiträgen noch so viele wie irgend möglich besuchen. Den Tag also entsprechend straff durchgetaktet fuhr ich neugierig nach Frankfurt und es kam genau so, wie es sprichwörtlich heißt: »Es kommt immer anders als man denkt«. Einige der im vorhinein geplanten Veranstaltungen habe ich besucht, andere wiederum nicht, da ich auf dem Weg dorthin über Veranstaltungen »gestolpert« bin, die mich direkt angesprochen haben.


Viel gelacht habe ich an diesem Morgen bei Nico Semsrott. Dieser stellte im Frankfurt Pavilion seinen Kalender des Scheiterns vor. »Wenn dir das Leben eine Zitrone gibt… Halt’s Maul«, so Semsrott. Seine überzogen ironische Art war sehr amüsant, auflockernd und konsequent: Er würde sich gerne zur Europawahl aufstellen lassen, damit er in der ersten Reihe beim Scheitern Europas dabei sein kann. Im Allgemeinen brauche es einen ehrlicheren Umgang mit dem Scheitern, denn Scheitern würden wir alle. Das, was wir als Freiheit bezeichnen, sei lediglich unsere Möglichkeit zu wählen, wie wir scheitern.


Auf das Gespräch von Juli Zeh über ihren neuesten Roman Neujahr am Spiegel-Stand hatte ich mich besonders gefreut, weil sie mich bereits 2004 mit ihrem Roman Spieltrieb begeistert hatte. Sie erzählte, dass ihr die Orte, an denen sie Geschichten spielen lässt, sehr wichtig seien und diese immer Orte darstellten, an denen Zeh bereits gewohnt hat. Denn eine Recherchefahrt würde ihr nicht reichen, um die Orte und deren Geschichte »richtig« zu erzählen. Auf die Frage von Moderator Volker Weidermann, ob sie Politik und Literatur als komplett von einander getrennt auffasse, antwortete sie Folgendes: Der perfekte Weg in eine Schreibkrise wäre für sie, zusätzlich zu der zu erzählenden Geschichte einzelne politische Botschaften zu platzieren. Sie brauche einen Schutzraum, in dem sie sich von Erwartungsprozessen loslösen könne. Das Schreiben sei ein intuitiver Prozess, an dessen Ende sicher eine politische Perspektive zu entdecken sein könne, obwohl sie nicht von Beginn an intendiert war. Im Gespräch spricht Zeh sich für die Demokratie aus und ermutigt ihre Zuhörer: Die Parteien seien durchlässiger und transparenter als je zuvor und die Mitwirkungsmöglichkeiten innerhalb von Parteien gigantisch. Für die aktuelle politische Lage wünsche sie sich einen optimistischeren Blick in die Zukunft.


Ein weiteres Veranstaltungs-Highlight waren die Streiterinnen auf der ARD-Bühne. Die Autorinnen Hannah Lühmann und Anne Wizorek stellten ihr im Duden-Verlag veröffentlichtes Werk Gendern?! und ihre jeweiligen Positionen zu dem Thema vor. Hannah Lühmann ist Kulturredakteurin bei Die Welt und vertritt die Ansicht, dass eine Sprachanpassung lediglich eine symbolische Handlung sei, die nicht zum Erfolg der Debatte beitrage. Anne Wizorek ist Beraterin für digitale Medien und ist der Meinung, dass das Nicht-Gendern auf einer Verinnerlichung des vorherrschenden Sexismus beruhe. Einig sind sich die beiden darin, dass Sprache das Bewusstsein bestimmt, doch der Ansatz an das Thema Gendern ist jeweils ein anderer. Wichtig sei es im Rahmen dieser Debatte zu verstehen, dass die Sprachanpassungen lediglich Vorschläge und keine in Stein gemeißelten, neuen Sprachregeln darstellten. Es gehe darum, den Gedanken der Gleichberechtigung bereits auf der Ebene der Kommunikation zu etablieren: Denn Sprache bestimme das Bewusstsein und es sei wichtig dieses Alltagswerkzeug kritisch zu hinterfragen.


Schließlich sah ich mir noch die Buchpräsentation Böse – Die Psychologie unserer Abgründe von Julia Shaw an. Die 31-jährige Rechtspsychologin berät Bundeswehr, Militär und Polizei. In ihrem ersten Werk Das trügerische Gedächtnis thematisiert sie ihre Aufgabe bei der Polizei: Sie habe viel zum Gedächtnis geforscht und zum Thema »falsche Erinnerung«. Es komme vor, dass Opfer Personen als Täter identifizieren, die mit der Tat gar nichts zu tun hatten. Genau das sei für sie die Kreation des Bösen, was sie zum Schreiben ihres neuen Werks bewegt hat. Außerdem entlarvt sie Narrative der Entmenschlichung als Ursprung des Bösen, als Beispiel nennt sie die Bezeichnung von Flüchtlingen als Kakerlaken.


Mein Fazit von meinem Messebesuch ist, dass man dort immer etwas entdecken kann, sei es geplant oder nicht. Neues und mehr zu erfahren über Literatur, ihre Funktionen und Potenziale, Politik und Kunst und ihr Zusammenhängen und darüber zu berichten, hat mir sehr gut gefallen. Sehr spannend finde ich den Aspekt, wie die unterschiedlichsten Akteure des Kulturbetriebs auf ihre eigene Weise Themen aufarbeiten und in Interviews live besprechen. Insgesamt hat mir der Besuch auf der Messe viele Einblicke ermöglicht und neue Perspektiven eröffnet. 


Mein Buchmessetag – von Sabrina Stünkel

Ein heiteres Gespräch mit Adolf Muschg über seinen Roman Heimkehr nach Fukushima

 

 

Stephan Thome mit seinem Roman Gott der Barbaren

 

 

 

 

 

»Wege aus der Flucht« – eine spannende, berührende und inspirierende Veranstaltung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Frank Thelen über die digitale Zukunft

 

Fantasy-Autor Kai Meyer im Gespräch mit Bernhard Hennen

 

Einmal den Kindheitshelden treffen: Kai Meyer und ich

Der dritte Tag der Buchmesse brach an und mein erstes Ziel war »Das Blaue Sofa«; hier wurde man auf jeden Fall gut unterhalten, und ich wollte mir die Buchvorstellung Heimkehr nach Fukushima von Adolf Muschg ansehen. Wie sollen wir Menschen mit dem Erbe eines solchen Unglücks wie der Atomkatastrophe von Fukushima umgehen? Diese und viele weitere Fragen und Anregungen bietet das Buch. Doch zum Glück war die Stimmung nicht die ganze Zeit so dunkel, ernst und schwer. So sprach die Moderatorin zum Beispiel eine »kuriose Sexszene« im Buch an: Die junge Japanerin Mitsuko werfe sich dem älteren Architekten Paul Neuhaus ungestüm an den Hals – stellt sich nur die Frage: wo Sex haben, wenn man sich nicht mit dem nackten Hintern auf den Boden legen könne? Das Publikum lachte bei dieser Vorstellung. »Was ist Ihnen bei dieser Szene durch den Kopf gegangen?«, fragte Moderatorin Nina Brunner. Doch Muschg gab sich mysteriös. Er antwortete bloß ans Publikum gewandt: »Liebe Gäste, es gibt insgesamt DREI Sexszenen!«. Wieder lachte das Publikum.


Direkt danach folgte Stephan Thome, der aus dem hessischen Biedenkopf stammende Autor, der mittlerweile in Taiwan lebt, mit seinem Roman Gott der Barbaren. Als Geschichtsstudentin war ich natürlich sehr gespannt. Der für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman handelt von China im 19. Jahrhundert und dem Taiping-Aufstand. Es geht um Themen wie Fremdheit, Christentum, Opiumhandel und Widerstand. Obwohl das historische Buch von einer fernen Kultur handelt, sind die Parallelen zu unserer Gesellschaft nicht fern. So schrieb Mark Siemons von der FAZ beispielsweise: »Stephan Thome hat aus dem unglaublichen Stoff einen Roman gemacht, bei dem auf jeder seiner siebenhundert Seiten die Frage mitschwingt, wie man sich in den verwirrenden Umbruchszeiten heute orientieren kann.« Und man könne ganz leicht einsteigen, ohne überhaupt etwas über China zu wissen, versprach die Moderatorin.


Danach wurde es wieder sehr emotional für mich. Ich ging zu der Veranstaltung »Wege aus der Flucht«, die sowohl eine Buchvorstellung als auch eine Diskussion darüber war, warum Menschen fliehen und was ein Land wie Deutschland – aber auch jeder einzelne von uns – tun kann, um diesen Menschen eine Chance auf ein glückliches und friedvolles Leben zu geben. Beispielsweise wäre es schon einmal eine richtig tolle Hilfe, wenn man sich nur wenige Stunden pro Woche nehmen würde, um angekommenen Geflüchteten ein bisschen zu helfen – zum Beispiel beim Lernen der Sprache oder bei administrativen Angelegenheiten –, die Integration gehe dann viel schneller voran. Diskutiert haben Melissa Fleming, Pressesprecherin des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen Genf, Christian Hanelt, Nahostexperte der Bertelsmann Stiftung, sowie Antoine Jerji, ein geflüchteter Syrer und gutes Beispiel dafür, dass Integration gelingen kann. Er erzählte seine Geschichte und berichtete davon, wie er dreimal versucht hatte, aus Syrien zu fliehen, und es erst beim dritten Mal gelang, wie teuer die Flucht war, obwohl es nur in einem Gummiboot nach Griechenland ging. Vom Weg weiter in den Norden dann, nach Kroatien, nach Österreich. Zwischendurch das Ziel entwickelt, nach Deutschland zu fliehen. Die Mahnungen, nur unterwegs, also auf dem Boot, in Bus oder Bahn zu schlafen, weil es bei der Ankunft zu gefährlich wäre. Der Rechtsstreit darum, seine Familie nachholen zu dürfen. Die Schwierigkeit, einen Job zu finden, obwohl er ein erfahrener Mediengestalter ist. Melissa Fleming berichtete ebenfalls von einer Geschichte, die ihr zugetragen wurde: Von einer jungen Frau, deren Boot auf dem Mittelmeer gesunken war, zusammen mit so vielen anderen Flüchtlingen. Ihr Verlobter fand für sie einen Kinderrettungsring, in den sie hineinschlüpfen konnte. Vier Tage lang trieb sie auf dem Wasser und musste zusehen, wie um sie herum alle ertranken – auch ihr Verlobter. Als sie gerettet wurde, hatte sie zwei fremde Babys bei sich. Bevor die Menschen um sie herum ertranken, hatten sie ihre Babys an sie gegeben – mit dem letzten Funken Hoffnung auf Rettung sollte die Frau das junge Leben schützen. Eine tragische Geschichte, die mich zu Tränen rührte und gewiss noch lange beschäftigen wird. Und auch Antoine Jerji kämpfte später mit den Tränen, als auch er eine Geschichte erzählen wollte – aber verstummte.
Nach der Veranstaltung fragte mich ein älterer Herr, ob ich engagiert sei. Ich sagte nein. Warum ich mir Notizen gemacht habe, wollte er wissen. »Ich schreibe das auf«, erklärte ich. »Und dann?« – »Veröffentliche ich es. Ich arbeite für einen Kulturverein.« »Das wird sicherlich toll«, prognostizierte er und ich hoffe, ich habe seine Ansprüche erfüllt.


Danach schaute ich mir noch eine Veranstaltung zu Übersetzungsarbeit an und einen Vortrag über die digitale Zukunft. Eine Vorstellung dessen, was alles kommen wird oder schon da ist. Virtual Reality, Speech Control wie Alexa, e-Transport etc. Ziemlich gruselig, was Frank Thelen, »Freigeist Capital«-Gründer uns Zuhörern da erzählt hat. Aber der erfolgreiche Tech- und Startup-Investor hat auch recht damit, wenn er sagt: »Wir müssen uns daran beteiligen – denn es wird definitiv kommen.« Wie genau man das meistern kann, lässt sich zum Beispiel in seiner Autobiographie finden: Wer sich dafür interessiert, wie Thelen aus dem Ruin zum erfolgreichen Geschäftsführer geworden ist, für den ist das Buch Frank Thelen - Die Autobiographie genau das Richtige.


Von der Zukunft wechselte ich dann in die Phantasie: Ich ging zu einer Lesung mit Kai Meyer und Bernhard Hennen. Besonders Kai Meyer wollte ich sehen, denn er war DER Autor meiner Kindheit. Die Wolkenvolk-Trilogie, Die fließende Königin, Frostfeuer, Herrin der Lüge und besonders Das Buch von Eden – alles habe ich als junges Mädchen von ihm verschlungen. Es war eine schöne Lesung mit anschließendem Gespräch. Meyer las aus Der Pakt der Bücher und auch Hennen gefiel mir sehr gut – besonders seine ruhige, etwas pathetische Art zu sprechen, bei der ich gleich merkte, dass er ein sehr guter Erzähler ist – wie aus einem Buch, so wie man sich Brom, den Geschichtenerzähler, aus Eragon vorstellt. Aber mein Held war natürlich Kai Meyer, der ganz offen und direkt aus dem Nähkästchen plauderte: dass er oftmals von Experten genervt und ein ziemlich verpeilter Mensch sei, aber seine Bücher vorm Schreiben genau durchplane. Bei Hennen sei es das genaue Gegenteil. Besonders schön zu beobachten war, wie der Verleger der beiden in der Mitte saß und wortlos alles mit einem Kopfnicken oder -schütteln kommentierte. Als Hennen beispielsweise mit einem verschmitzten Grinsen sagte, der Abgabetermin eines Verlags sei mehr eine »Richtlinie«, protestierte der Verleger mit vehementem Kopfschütteln. Das Publikum lachte ausgelassen und ich fühlte mich bestens unterhalten. Und weil mir Meyer so menschlich vorkam, traute ich mich nach der Veranstaltung sogar, zu ihm hinzugehen und ihn um ein Foto zu bitten. Doch viel Zeit zum Reden blieb leider nicht, denn er musste zu seiner Signierstunde und ich wollte weiter zu Deniz Yücel und seinem Vortrag über die Freiheit des Wortes. Leider kam ich viel zu spät, der Frankfurter Pavillon war pickepackevoll und ich kam nicht mehr hinein. So beschloss ich schweren Herzens, den Tag mit Meyer ausklingen zu lassen, und fuhr – wie am Tag zuvor – erschöpft, aber glücklich nach Hause.



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