Die Vergabe des Read Russia Preises 2018
Die Stände des Buchmessegastlandes Georgien und des Goethe-Instituts in Georgien
Wladimir Kaminer plaudert zum Thema Kreuzfahrten aus dem Nähkästchen |
Am Mittwochmorgen fuhr ich ganz gespannt und ein wenig aufgeregt von zu Hause los, um zum ersten Mal in meinem Leben die Frankfurter Buchmesse zu besuchen. Inmitten all der Journalisten und Pressevertreter mit dem Shuttle-Bus vom Parkhaus zur Messe zu fahren, kam mir irgendwie unwirklich vor. Gegen 11 Uhr betrat ich dann durch den Eingang Ost die Messe und war direkt von einer Menschenmenge und einem lauten Stimmengewirr umgeben. Ich hatte mir vorgenommen, zuerst einmal einfach in Ruhe über das Messegelände zu schlendern und alles auf mich wirken zu lassen. Im Nachhinein betrachtet war das womöglich ein Fehler, denn es gab so viel zu sehen, zu entdecken, auszuprobieren und zu erkunden, dass ich schlicht und einfach überfordert war.
Anschließend wandte ich mich auf die andere Seite des Ganges, da ich mich in der Halle mit den Internationalen Verlagen befand und auf dieser Seite das Gastland Georgien seinen Stand hatte. Hier wurde unter anderem über die Arbeit des Goethe-Instituts in Georgien berichtet und einige georgische Autorinnen und Autoren stellten ihre Werke vor. Unter anderem Nino Haritischwili, Gvanta Jobava sowie Anna Kordsaia-Samadschwili eröffneten den Zuhörern die Möglichkeit, ihr Heimatland literarisch kennenzulernen.
Nach einer ausgedehnten Mittagspause in der ich mir die Agora, den großen freien Platz in der Mitte des Geländes anschaute und am Stand der Bundesregierung an einem Europa-Quiz teilgenommen hatte, war es auch schon Zeit für das erste Verlagsgespräch. Gegen 15:30 Uhr begleitete ich Anna-Lena, die Geschäftsführerin des LZG, zum Gespräch mit dem avant-Verlag, welcher Comics und Graphic Novels publiziert. Danach ging ich zurück zu dem Stand an dem vorher schon Heinz Strunk zu Gast gewesen war, da dort nun Wladimir Kaminer zu einem Gespräch eingeladen war. Ich hatte einige Rezensionen seines neuesten Werkes Die Kreuzfahrer gelesen und war daher sehr gespannt auf seinen Auftritt. In seinem Roman berichtet Kaminer von verschiedensten Erlebnissen und Entdeckungen, die er während einer Kreuzfahrt gemacht hat. Außerdem kam er auf die Probleme einer Lesung auf einem Schiff zu sprechen, da man dort als Autor pausenlos den Fragen und Anmerkungen seiner Zuhörer ausgesetzt sei und die Lesung quasi kein Ende finden würde. Einen interessanten Trend konnte der Moderator aufdecken, als er darauf hinwies, dass neben Kaminers Werk auch Juli Zehs Neujahr sowie Inger-Maria Mahlkes Archipel, das in diesem Jahr mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, auf den Kanarischen Inseln spielen.
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Luxemburgische Jungautoren sprechen über ihr Schaffen
Autoren des Größenwahn Verlags zum Thema Migration
Anna Kordsaia-Samadaschwili berichtet über ihr neuestes Buch Schuschaniks Kinder
Anna Katharina Fröhlich stellt ihren Roman Rückkehr nach Samthar auf »Dem blauen Sofa« vor |
Dieses Jahr ging es für mich zum ersten Mal auf die Frankfurter Buchmesse. Nach unserer Ankunft auf der Messe ging ich zunächst zur Halle 4.1. Dort hatte ich mir aus persönlichem Interesse einige Gespräche und Lesungen zum Thema »Migration« ausgesucht, die ich besuchen wollte. Da ich noch etwas Zeit hatte, bevor meine erste Veranstaltung anfing, hörte ich einem Gespräch am Stand von Arte zu. Es unterhielten sich ein georgischer Autor und ein georgischer Regisseur über Kunst und Kultur aus Georgien und wie sich diese beiden Bereiche des gesellschaftlichen Lebens verändert haben. Der kurze Auszug aus dem Gespräch war sehr interessant und – obwohl die Veranstaltung auf Englisch stattfand – sehr gut zu verstehen.
Nach kurzer Zeit begab ich mich zum Stand von »Luxemburg – Ministère de la Culture«, da dort das erste Gespräch stattfinden sollte, dem ich zuhören wollte. Drei luxemburgische Jungautoren stellten ihre Werke vor. Interessant dabei war, dass, obwohl alle drei Autoren perfekt französisch, deutsch und letzeburgisch sprechen, jeder eine andere Sprache zum Schreiben nutzt. Am meisten begeisterte mich Samuel Hamen, der seine Kurzgeschichten auf Deutsch, seinen ersten Roman jedoch auf Letzeburgisch geschrieben hatte.
Nach einer kleinen Pause ging ich zum Stand »Literatur in Hessen«, an dem der Hessische Literaturrat ein sehr abwechslungsreiches Programm präsentierte. Im folgenden Gespräch stellten sich diverse Autoren des Größenwahn Verlages vor. Das Besondere hierbei war, dass die Autoren in ihren Werken über unterschiedliche Formen von Migration und dem Leben damit erzählten. Die meisten von ihnen sahen es als ihre Aufgabe an, ein Stück ihrer Lebensgeschichte zu teilen und zu zeigen, dass Migration nichts Schlechtes ist, sondern als eine Chance zum Austausch und zur Diskussion angesehen werden sollte. Von dieser sehr inspirierenden Vorstellung ging ich weiter zur Halle 5, in welcher die „Georgian Publishers and Booksellers Association« einen Stand hatte. Dort wollte ich einen ganz besonderen Gast kennenlernen: Anna Kordsaia-Samadaschwilli. Ich hatte im Laufe meines Praktikums sehr viel von dieser Frau gehört und aufgrund der bevorstehenden LZG-Veranstaltung, die ich leider nicht besuchen kann, wollte ich die Chance ergreifen und ihren Erzählungen zuhören. Wie auch schon bei dem ersten Gespräch an diesem Tag war ich etwas zu früh und hörte deshalb der Leiterin des »Georgian National Book Center« zu, die über das Übersetzen von Büchern sprach. Es ging um die Schwierigkeiten beim Übersetzen von fremdsprachigen Büchern ins Georgische und auch um die Übersetzung georgischer Bücher in andere Sprachen. Leider fand ich dieses Thema nicht wirklich interessant und war deshalb sehr froh, als endlich Anna Kordsaia-Samadaschwilli auf die Bühne kam. Das Thema des Gesprächs war die ursprüngliche Legende von Königin Shushanik. Sie sprach von der großen Bedeutung dieser Legende für Georgien und erklärte, dass diese Legende sogar in den Schulen besprochen werde. Gegen Ende des Gespräches wurde auf Anna Kordsaia-Samadaschwilis Roman Schuschaniks Kinder hingewiesen, der aber mit der Legende kaum Gemeinsamkeiten hat. Das Gespräch war mein persönliches Highlight des Tages. Die Autorin war sehr sympathisch und es hat großen Spaß gemacht, ihrer Erzählung zu folgen. Umso trauriger war ich danach, dass ich nicht zur Lesung mit ihr in Gießen kommen kann.
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Die sympathische Autorin Barbara Bisicky-Ehrlich und ich
Thomas Klupp stellt seinen neuen Roman Wie ich fälschte, log und Gutes tat vor
Reiner Engelmann erzählt vom Leben des SS-Offiziers Oskar Gröning
Ein echtes Highlight: Der schwedische Erfolgsautor Jonas Jonasson und sein neues Buch Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten |
Nachdem ich am ersten Tag etwas ruhiger an die Buchmesse herangegangen war, hatte ich mir für den zweiten Tag vorgenommen, mehr zu sehen und zu hören. Mein erster Halt war der Stand des Größenwahn Verlags in Halle 3. Dort las Barbara Bisicky-Ehrlich aus ihrem Buch SagÊ», dass es dir gut geht. Sie hatte ich am Tag zuvor beim Hessischen Literaturrat gesehen und fand ihre Geschichte interessant. In ihrem Buch schreibt sie über ihre persönliche Familiengeschichte und das Leben als dritte Generation nach dem Holocaust. Sie verarbeitet das Leben mit (dem Trauma) ihrer Großmutter und ihrer heutigen Lebenssituation als Jüdin. Nach der Lesung nahm sie sich sogar die Zeit, mit mir zu sprechen und einige meiner Fragen zu beantworten. So erfuhr ich etwas über ihre »Literaturreise« und wie sich der Prozess von der Idee, ein Buch zu schreiben, bis hin zum fertigen Werk entwickelte. Fasziniert von dieser überaus charismatischen Person steht ihr Buch ganz oben auf meiner Leseliste.
Danach ging es weiter zur nächsten Lesung. Der serbische Autor Goran Vojnovic stellte seinen Roman Unter dem Feigenbaum vor. Darin geht es um einen jungen Mann zur Zeit des Balkankrieges und die Suche nach Identität in einem fremden Land. Es wurde viel aus dem Roman gelesen, sodass sich die Zuhörer ein sehr gutes Bild vom Stil des Autors und der fesselnden Atmosphäre des Werkes machen konnten. Als nächstes schlenderte ich durch Halle 3.1 und schaute mir die einzelnen Stände genauer an. Hier fiel mir zum ersten Mal auf, dass es sogar Kochshows auf der Messe gibt. Ein wenig peinlich berührt von meiner eigenen Blindheit, schaute ich einem Koch beim Anrichten eines Desserts zu und nahm einige kulinarische Inspirationen mit.
Um 15 Uhr traf ich zufällig meinen Praktikanten-Kollegen Daniel im Litcam Kulturstadion, der ebenfalls die nächste Veranstaltung mithören wollte. Reiner Engelmann sprach über Oskar Gröning, ehemaliger SS-Offizier und Buchhalter in Auschwitz, über den er ein Buch geschrieben hat. Wir erfuhren, dass Engelmann persönlich mit Gröning gesprochen hatte und so erzählte er über Grönings Leben, wie dieser zur SS gegangen war und was seine Aufgaben in Auschwitz waren. Ich war sehr berührt von den Erzählungen und schockiert über die Grausamkeit, die erneut in Bezug auf das NS-Regime zu Tage kam. Engelmann versuchte klarzustellen, dass es wichtig ist, nicht nur über Opfer des Holocaust zu sprechen, sondern auch über die Täter und ihre Beweggründe. Das Ende des Gespräches konnte ich nicht mehr anhören, so gerne ich es wollte, da ich noch zu meiner letzten Lesung an diesem Tag aufbrechen musste.
Zum Abschluss des Tages hatte ich mir etwas ganz Besonderes ausgesucht: Jonas Jonasson. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung ging es um seinen neuen Roman Der Hundertjährige, der zurückkam, um die Welt zu retten. Seinen ersten Roman hatte ich bereits gelesen und war so glücklich gewesen, dass ich endlich auch den Autor kennenlernen durfte. In einer vollkommen entspannten Atmosphäre erzählte Jonasson von seiner Arbeitsweise, seinem neuesten Werk und amüsierte alle Zuhörer mit witzigen Anekdoten. Am Ende las er sogar aus der schwedischen Version und der Moderator übersetzte alles auf Deutsch und bedankte sich für das zahlreiche Kommen.
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Der Kameruner Enoh Meyomesse stellt sein Tagebuch eines afrikanischen Illegalen vor
»Emotionen und Politik – ein unzertrennliches Paar?«. Diese Frage wird am stand Weltempfang diskutiert
Maryam Madjidi stellt ihr neues Buch vor |
Alles war so riesig – zum Glück hatte ich mich einen Tag vorher schon an die gigantischen Hallen und die weiten Wege gewöhnen können. Es war mein zweiter Buchmessetag, sodass ich mich – für meine Verhältnisse – ziemlich gut zurechtfand. Aber die Beschilderung war super, mit der kam sogar ich »Orientierungslegasthenikerin« klar. Trotzdem war ich ein bisschen spät dran, um zu meiner ersten Veranstaltung des heutigen Tages zu gelangen: Enoh Meyomesse, der kamerunische Aktivist und Präsidentschaftskandidat stellte sein neues Buch vor, das Tagebuch eines afrikanischen Illegalen. Diese Veranstaltung war auch mein persönliches Highlight des Tages. Leider habe ich Meyomesses Lesung im LZG 2016 verpasst, sodass ich ihn heute das erste Mal persönlich auf der Bühne sah. Um genau zu sein, hatte ich den Namen zwar schon einmal irgendwann gehört, aber wirklich etwas über ihn wusste ich nicht; mich faszinieren Schicksale von Menschen aus anderen Ländern, besonders auch Afrika, sodass ich mich zu der Veranstaltung hingetrieben fühlte.
Direkt danach ging es dann für mich weiter zur Veranstaltung »Emotionen und Politik – ein unzertrennliches Paar?«, bei der sich ein englischer, ein spanischer und ein italienischer Philosoph zusammenfanden, um über moderne Politik und Populismus zu sprechen. »Leben wir gerade im Zeitalter der Angst?«, lautete eine Frage der deutschen Moderatorin Bascha Mika. Eine schwierige allgemeine, aber irgendwie auch persönliche Frage, wie ich finde. Auch diese Veranstaltung gefiel mir sehr gut und ich war ganz aufgeregt, als ich mich weiter zum »Blauen Sofa« trollte und mich später mit der LZG-Geschäftsführerin Anna-Lena traf, weil ich sie zum persönlichen Gespräch beim C.H. Beck-Verlag begleiten durfte. Ich fand es spannend, hier einmal hinter die Kulissen zu schauen und die neuen Bücher des Verlags vorgestellt zu bekommen.
Anschließend wollte ich mir eine Reihe weiterer Veranstaltungen anschauen, zum Beispiel eine Diskussion über die »Postcolonial Legacy« (das postkoloniale Vermächtnis). Leider stieß ich hier auf eine unüberwindbare Sprachbarriere: Es wurde Französisch gesprochen, was ich nie gelernt hatte, und einen Übersetzer gab es leider nicht. Ich fand mich später bei Arte wieder, einer der wenigen Fernsehsender, den ich mag, und schaute mir die Buchvorstellung Eine Kindheit zwischen Teheran und Paris an. Ich ließ den Tag gemütlich ausklingen und war glücklich über die vielen Erkenntnisse, die ich heute für mich persönlich mitnehmen konnte, aber auch erschöpft von den vielen Eindrücken. So viel Wissen auf einmal! |
Geballte georgische Frauenpower in der Diskussionsreihe »Bittere Bonbons«
Karl-Heinz Ott im Gespräch über sich und seinen Roman Und jeden Morgen das Meer
Am Arte-Stand geht es um die Frage, wie Literatur und Virtual Reality zusammenpassen
Alexa Hennig von Lange präsentiert ihr Jugendbuch Kampfsterne |
Während meines zweiten Messetages auf der Frankfurter Buchmesse wurde ich von literarischen, politischen und künstlerischen Eindrücken überströmt. Der Morgen begann mit einer Gesprächsrunde im Rahmen der »Bittere Bonbons«-Reihe mit zwei jungen Schriftstellerinnen aus dem diesjährigen Buchmessegastland Georgien: Nana Ekvtimishvili und Iunona Guruli – geballte Frauenpower der georgischen Literatur. Nana Ekvtimishvili, die ebenso als Filmemacherin (Die langen hellen Tage und Meine glückliche Familie) bekannt ist, behandelt in ihrem Roman Das Birnenfeld Themen der georgischen Gesellschaft. In ihrem teilweise autobiographischen Werk beschreibt sie einen Ort des Grauens – das Birnenfeld neben ihrem ehemaligen Wohnhaus. Es geht um schwer erziehbare und verlassene Kinder aus dem Kinderheim gegenüber, um deren Alltag und den Missbrauch, den sie erfahren. Ebenso darum, wie die Kinder damit umgehen. Die Autorin zielt mit ihrem Werk darauf ab, den sozialen Kontext dieser Kinder und ihre Sexualität und Individualität zu zeigen. Sie wollte selbst ergründen, wie es möglich ist, dass diese Kinder, die von niemandem Beachtung, dafür aber Gewalt und Missbrauch erfahren, als Erwachsene doch innere Stärke beweisen, (Nächsten-)Liebe spüren und in der Lage sind, moralische Entscheidungen zu treffen. Ebenso wichtig sei es ihr, diesen Kindern und Erwachsenen, welche teilweise noch heute auf der Straße betteln, Gehör zu verschaffen. Iunona Guruli lebt seit nunmehr 20 Jahren in Deutschland und arbeitet als Übersetzerin. Im Gespräch beschreibt sie, wie es war, ihr eigenes Werk Wenn es nur Licht gäbe, bevor es dunkel wird aus dem Georgischen zu übersetzen: Auf Deutsch sei es ihr möglich, so die Autorin, mehr Abstand zu ihren größtenteils autobiographischen Erzählungen und Erlebnissen zu gewinnen, wobei dann aus einer vierseitigen Erzählung eine 16-seitige wurde. Die Fremdsprache diene somit als Filter und ermögliche es ihr, einfacher über Vergewaltigungen, Missbrauch, Drogen und die Gewalt in der georgischen Macho-Gesellschaft zu schreiben. Vor dem Gesetz sei die Gleichberechtigung vollzogen, doch Gewalt an Frauen sei bittere Realität, der Alltag der patriarchalisch-georgischen Gesellschaft. Mit ihren Erzählungen wolle sie aufmerksam machen und eine Einmischung der Gesellschaft erreichen.
Die zweite Veranstaltung, die ich mir an diesem Tag ansah, war ein Interview mit Karl-Heinz Ott zu seinem Roman Und jeden Morgen das Meer auf »Dem blauen Sofa«. Ott ist ein gutes Gegenbeispiel für das Konzept von Identität, das oft als homogenes Konstrukt gedacht wird: Er ist Autor, Musikwissenschaftler, Essayist und Übersetzer, um nur einige Beispiele seiner Tätigkeiten zu nennen. Für ihn stelle diese Vielseitigkeit der Aufgaben jedoch keinen Widerspruch dar, da er alle unter das Kriterium der Atmosphäre summiere: »Sprache soll atmosphärisch was vermitteln«, was der Musik zum Beispiel durch Töne gelinge. Sein Roman beschreibt die Geschichte eines plötzlichen sozialen Abstiegs, eines Abstiegs ins Bodenlose. Und doch kann dieser Abstieg durch die weite politische Lesart seines Werks positiv, nämlich als eine mögliche Zukunftsperspektive, verstanden werden.
Auch das Arte-Gespräch in Kooperation mit dem Goethe-Institut über Literatur und Virtual Reality (VR), das ich im Anschluss besuchte, fand ich sehr spannend und aktuell. Regisseur Mika Johnson und Medienwissenschaftler Markus Wintersberger diskutierten unter der Leitung von Moderatorin Friederike van Stephandt über die Frage des Stellenwertes von VR in der Kultur. Für den Moment sei die VR noch mehr im kommerziellen Sektor, beispielsweise bei 360-Grad-Videospielen, zu verorten. Doch ihre kulturelle Relevanz für die Zukunft sei sicher. Die Kulturinstitutionen müssen, so die Diskutanten, die VR auf ein neues Level bringen, um eigene Erzählungen zwischen Raum und Zeit zu ermöglichen. Eine weitere Frage galt der Imaginationskraft und inwiefern diese durch VR gefährdet sei. Beide Herren sehen zwar ein Gefahrenpotenzial, sind sich jedoch einig darin, dass die Chancen und Möglichkeiten dieser Technologie überwiegen. Dem Künstler sei mit VR die Möglichkeit gegeben, seine Vorstellungen und Gedanken genauer abzubilden und mit seinem Publikum zu teilen. Die Lesung und das anschließende Gespräch auf der ARD-Bühne von Alexa Hennig von Lange aus ihrem Roman Kampfsterne mit Moderator Carsten Ott war sehr kurzweilig. Die Autorin gab preis, wie sie sich ans Schreiben neuer Romane mache, nämlich dann, wenn sie eine Stimme im Ohr habe, die beginnt, ihr ihre Geschichte zu erzählen. Bei Kampfsterne sei dies die 40-jährige Mutter Rita gewesen. Zudem erklärte sie, warum sie so gern Kinder- und Jugendliteratur schreibt: Sie kehre selbst gerne gedanklich in ihre eigene Jugendzeit zurück, welche geprägt gewesen sei von Unschuld, Staunen, Schmerz und dem Abschied der Kindheit. Die Jugend sei geprägt von der Frage danach, wer man – insbesondere ohne seine Eltern – ist. Es gehe Hennig von Lange bei ihrem Text darum zu zeigen, wie man »aus der Unschuld in die Welt hineingeboren wird«, wie sich die Suche nach dem richtigen Leben, nach Verständnis und Geborgenheit gestaltet. Die Frage danach, ob man ihr Werk als Popliteratur bezeichnen könne, bejahte sie zaghaft. Popliteratur sei es in dem Sinne, dass es Oberfläche abbildet und subjektive Sichten darstellt, jedoch sei dies nicht das einzige, was ihren Roman ausmache.
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Ein amüsanter Start in den Messetag mit Nico Semsrott und seinem Kalender des Scheiterns
Juli Zeh am Spiegel-Stand über ihr neuestes Buch Neujahr und die Verbindung von Literatur und Politik
Gendern?! wurde auf der ARD-Bühne zur Diskussionsgrundlage
Rechtspsychologin Julia Shaw präsentiert ihr Buch Böse - Die Psychologie unserer Abgründe |
Für meinen dritten und letzten Messetag hatte ich mir besonders viele Veranstaltungen vorgemerkt. Ich wollte von den interessanten und anregenden Beiträgen noch so viele wie irgend möglich besuchen. Den Tag also entsprechend straff durchgetaktet fuhr ich neugierig nach Frankfurt und es kam genau so, wie es sprichwörtlich heißt: »Es kommt immer anders als man denkt«. Einige der im vorhinein geplanten Veranstaltungen habe ich besucht, andere wiederum nicht, da ich auf dem Weg dorthin über Veranstaltungen »gestolpert« bin, die mich direkt angesprochen haben.
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Ein heiteres Gespräch mit Adolf Muschg über seinen Roman Heimkehr nach Fukushima
Stephan Thome mit seinem Roman Gott der Barbaren
»Wege aus der Flucht« – eine spannende, berührende und inspirierende Veranstaltung
Frank Thelen über die digitale Zukunft
Fantasy-Autor Kai Meyer im Gespräch mit Bernhard Hennen
Einmal den Kindheitshelden treffen: Kai Meyer und ich |
Der dritte Tag der Buchmesse brach an und mein erstes Ziel war »Das Blaue Sofa«; hier wurde man auf jeden Fall gut unterhalten, und ich wollte mir die Buchvorstellung Heimkehr nach Fukushima von Adolf Muschg ansehen. Wie sollen wir Menschen mit dem Erbe eines solchen Unglücks wie der Atomkatastrophe von Fukushima umgehen? Diese und viele weitere Fragen und Anregungen bietet das Buch. Doch zum Glück war die Stimmung nicht die ganze Zeit so dunkel, ernst und schwer. So sprach die Moderatorin zum Beispiel eine »kuriose Sexszene« im Buch an: Die junge Japanerin Mitsuko werfe sich dem älteren Architekten Paul Neuhaus ungestüm an den Hals – stellt sich nur die Frage: wo Sex haben, wenn man sich nicht mit dem nackten Hintern auf den Boden legen könne? Das Publikum lachte bei dieser Vorstellung. »Was ist Ihnen bei dieser Szene durch den Kopf gegangen?«, fragte Moderatorin Nina Brunner. Doch Muschg gab sich mysteriös. Er antwortete bloß ans Publikum gewandt: »Liebe Gäste, es gibt insgesamt DREI Sexszenen!«. Wieder lachte das Publikum.
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