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Dominik Schütte | Was würde der Boss tun? 

Roman
Piper 2011
240 Seiten
14.95 Euro
ISBN 978-3492054133

von Lars Meuser | Download

„Hör auf, mich zu vergöttern und jedes meiner Worte für letztgültig zu erklären!“ Zumindest wird sich das der Boss Bruce Springsteen jedes Mal denken, wenn mal wieder eine Band auf den Plan tritt, die sich in ihrem musikalischen Schaffen – sei es Nintendocore, sei es feministischer Battlerap – explizit auf das Erbe des working class guy aus New Jersey bezieht. Nun gut, Johnny Cash ist nun schon einige Jahre verstorben und danach noch viel zu lange totgelobt worden, da muss eben der nächste dran glauben. Die Musikwelt ist also längst kontaminiert und jetzt hält die wandelnde Jeansweste endlich auch Einzug in die Welt der Literatur.

Dominik Schütte nähert sich mit seinem Debütroman dem Phänomen Springsteen aus der Sicht des Ich-Erzählers und fan boys Tom, der Anfang 30 ist und sich nicht so recht entscheiden kann, ob er den Rest seines Lebens lieber mit Bruce in Vinyl oder seiner Freundin Anna in München verbringen will. Er ist Anfang 30, hat einen gut bezahlten aber unbefriedigenden Job als T-Shirt-Designer und mit Anna die Frau fürs Leben bereits gefunden. Nun geht es darum, zu heiraten und sich niederzulassen. Eigentlich Entscheidungen, die Tom selbst fällen könnte, doch da sein Denken letztlich irgendwie immer um den Boss und dessen Lebensweisheiten kreist (er hat sogar einen Zettelkasten für solche eingerichtet), soll Bruce dabei auch ein Wörtchen mitzureden haben. Nun hat der sich aber auf The River mit zwei extremen Positionen zum Heiraten geäußert, was die Entscheidung für Tom nicht gerade leichter macht. Deshalb fasst der den naiven und genau deswegen irgendwie doch sympathischen Entschluss, nach Jersey zu fliegen, seinen älteren Bruder Charlie zu besuchen und Bruce bei einem Konzert im Madison Square Garden zu fragen, ob er Anna denn nun heiraten soll oder nicht. Das passt wie die Faust aufs Auge, denn schließlich ist es Springsteen Höchstselbst, in dem Tom einen Funken göttlicher Wahrheit aufleuchten zu sehen meint. Auf seiner Pilgerfahrt lernt er dann Mary kennen, die – darauf muss man erst mal kommen, ein kongenialer Schachzug, blablabla… – nicht nur nach einem seiner Songs benannt, sondern auch und im Gegensatz zu Anna, Fan durch und durch ist. Sie nimmt Tom an der Hand und führt ihn musikalisch untermalt durch das New Jersey des karohemdtragenden Halbgottes (Darf man sich vom Boss überhaupt ein Bild machen?) und schließlich in den Backstagebereich des Madison Square Gardens.

Erleben und Erinnern geben sich über die gesamte Romanlänge hinweg die Klinke in die Hand: So erfährt man, dass der Vater von Tom und Charlie starb, als beide noch im Kleinkindalter waren. Zum Ersatzvater wurde für die beiden Brüder recht bald Werner, der als Musikfanat und Kinderschreck einen kleinen Laden für liebevoll angesammelten Ramsch und musikalische Raritäten betreibt. Er war es auch, der Tom im Alter von 11, 12 Jahren auf sein erstes Springsteen-Konzert mitnahm und ihn durch das Überstreifen des „Born In The USA“-T-Shirts in den Kultus um den Boss einführte. Doch spielt auch das Verhältnis der beiden Brüder zu ihrer Mutter eine wichtige Rolle im Verlauf der Erzählung.

Immer wieder werden dabei leitmotivisch Zitate und Lebensweisheiten des Boss‘ in die Erzählung eingewoben und auch die Kapitel sind mit seinen Songtiteln überschrieben. Originell ist das nicht, das hat Stuckrad-Barre mit Oasis schon Ende der 90er veranstaltet und vor ihm sicher schon einige mehr. Das anfängliche Unbehagen, das bei einem Poproman derartiger Couleur immer irgendwie mitschwingt, zerstreut sich beim Lesen aber schon bald. Sicher ist das hier mehr Trivial- denn Hochliteratur, doch wird man das Buch genau deswegen auch ungern wieder aus der Hand legen. Denn Dominik Schütte ist es gelungen, einen unterhaltsamen coming-age-Roman für die Generation der Endzwanziger/Anfangdreißiger zu schreiben, die irgendwo zwischen spätjugendlichem Ungestüm und Fast-schon-richtig-Erwachsensein ihren Weg und letztlich sich selbst finden müssen. Dabei vermeidet er unnötiges Kalauern einerseits und spätadoleszente Pseudo-Dramatik andererseits, sondern hält stets ein gewisses Maß an ironischer Distanz zum Erzählten.

(von Lars Meuser)

Zum Autor:
Dominik Schütte, Jahrgang 1976, hat an der Deutschen Journalistenschule in München studiert. Er hat unter anderem für die taz und die Süddeutsche Zeitung gearbeitet und war von 2007 bis 2010 Redakteur bei NEON. Seit dem Sommer 2010 arbeitet er in der Chefredaktion von GQ. Sein Romandebüt Was würde der Boss tun? ist Anfang 2011 bei Piper erschienen.


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