Donnerstag, 29.11.18 – 19:30 Uhr
Margarete-Bieber-Saal
Ludwigstr. 34
35390 Gießen
Eintritt: 5 € | erm. 3 € | LZG-Mitglieder frei
VVK: Tourist-Info Gießen
Für LZG-Mitglieder über das LZG-Büro
In Kooperation mit dem Kulturamt der Stadt Gießen und der Dezentralen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten des Instituts für Germanistik.
»Menschenrechte haben kein Geschlecht!«, beharrte bereits vor über 100 Jahren Hedwig Dohm. Im Jahr 1873 forderte sie das Stimmrecht für Frauen und setzte sich in ihrem umfangreichen Gesamtwerk ‒ Romane, Novellen, Feuilletons, Essays und Theaterstücke ‒ für die politische, soziale und ökonomische Gleichberechtigung von Männern und Frauen ein. So stand die Veranstaltung am 29.11.2018 im Margarete-Bieber-Saal ganz im Sinne (der Emanzipation und) der Demokratie: Vor 100 Jahren, am 30. November 1918, trat das Reichswahlgesetz in Kraft, welches Frauen erstmals an der Wahl teilhaben ließ. Stattgefunden hat die Veranstaltung in Kooperation mit dem Kulturamt der Stadt Gießen und der Dezentralen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten des Instituts für Germanistik. Das Hedwig-Dohm-Trio, bestehend aus der Historikerin Nikola Müller, der Literaturwissenschaftlerin Isabel Rohner und dem Schauspieler Gerd Buurmann, ließ Dohms Witz und Geist in einer Veranstaltung zwischen Lesung, Vortrag und feministischem Kabarett für das Publikum erlebbar werden. Hedwig Dohm lebte von 1831 bis 1919, war Schriftstellerin, Frauenrechtlerin und zählte nicht zuletzt wegen ihres 1874 erschienen Werks Die wissenschaftliche Emancipation der Frau zu den ersten feministischen Theoretikerinnen. Aus einer großen Familie stammend war sie das älteste von 17 Geschwistern und hatte kaum Schulbildung genossen. So brachte sich Dohm alles autodidaktisch bei. Die Schriften von Hedwig Dohm wurden von Müller und Rohner in einem Projekt, welches 2006 startete, in mittlerweile sechs Bänden herausgegeben und weitere sollen folgen. Aus diesen Bänden inszenierte das Dohm-Trio einige Passagen, um das Publikum dafür zu begeistern.
Die szenische Lesung führte das Publikum mit Abwechslung, Ironie und Fakten durch das Leben Leben Dohms. Beispielsweise stand Dohm mit ihren Forderungen aus ihrem zweiten Essay 1873, der völligen ökonomischen, rechtlichen und sozialen Gleichberechtigung als Menschenrecht, völlig allein. Der damaligen Frauenbewegung waren Dohms Forderungen zu radikal: Nach dem Ende der Revolution 1848 in Deutschland, welche ohne Erfolg blieb, erhielten die Frauen ein Politikverbot. Weder durften Frauen an politischen Versammlungen teilnehmen noch Zeitungen herausgeben oder redigieren; sie durften keinerlei politische Tätigkeit ausüben. Daraufhin flüchteten einige ins Exil und andere fanden sich 1865 unter Luise Otto wieder in einer Frauenbewegung zusammen. Die Forderungen dieser Frauenbewegung beliefen sich auf die bessere Schulbildung für Mädchen und dem Öffnen von mehr Berufen für Frauen, um diesen die Möglichkeit der Selbstversorgung zu sichern. Die Frauen befürchteten erneut aus dem politischen Diskurs verbannt zu werden und kritisierten Hedwig Dohm für ihre radikalen Forderungen stark. Erst Jahrzehnte später erhielt Hedwig Dohm Mitstreiterinnen.
Ein weiterer herausstechender Fakt Hedwig Dohms sind ihre autodidaktischen Fähigkeiten: Bereits mit 14 musste sie die Schule abbrechen und im Haushalt und der Kindererziehung helfen. Nach einem einjährigen Lehrgang für Lehrerinnen heiratete Hedwig Ernst Dohm und gebar fünf Kinder. Mit ihrem Ehemann Ernst gründete sie einen Salon, indem alle ein und aus gingen, die in Politik, Kunst und Journalismus Rang und Namen hatten. Dieser Salon bot Hedwig einen Raum, in welchem sie viele Anregungen erhielt und anfing, ihre fehlende Bildung akribisch nachzuholen. Dies zeigt auch ihr mit Mitte 30 geschriebenes erstes sechshundertseitiges Buch, für welches die Recherchebedingungen miserabel waren. In die Universität durften Frauen erst im 20. Jahrhundert und auch Bibliotheken konnte Dohm für ihre Abhandlung nicht aufsuchen. Trotzdem gelang es ihr, das Werk zu verfassen.
Unter anderem hat sich Dohm auch »oft und gerne gerade über alte Frauen Gedanken gemacht, […] weil die alte Frau natürlich den Antifeminismus der Gesellschaft besonders stark trifft«, so Historikerin Müller. Im antifeministischen Denken des 19. Jahrhunderts hat die alte Frau die Stellung einer vollkommenen Verliererin inne und war absolut funktionslos. Die Funktionen der Frau seien in diesem Denken nämlich die Rolle der Geliebten, der Mutter oder eben der Hausfrau. Doch Dohm setzte sich vehement diametral gegen solches Denken und schrieb zum Beispiel im Jahr 1903 einen Liebesbrief an die alte Frau. Für Hedwig Dohm bedeutete der Feminismus die Befreiung der Menschheit und die Demokratie.
Rohner macht zum Ende der Veranstaltung die Wichtigkeit des Jubiläums deutlich: 2018 ist ein Jahr, in dem ein Meilenstein gefeiert werden müsse, denn 100 Jahre Frauenwahlrecht sei ein wichtiges Jubiläum, welchem Sichtbarkeit verschafft werden müsse. »Wenn bei wichtigen Errungenschaften Frauen darübersteht, dann kann man davon ausgehen das Erinnern nicht institutionalisiert funktioniert, sondern nur wenn sich ganz viele Leute engagieren«, so Rohner. Aus diesem Grund bedankte sich das Hedwig-Dohm-Trio beim LZG für die Sichtbarmachung dieser Errungenschaft und forderte das Publikum auf, diese Errungenschaft auch im kommenden Jahr zu zelebrieren, zu reflektieren, wie die aktuelle Lage aussehe und sich zu fragen, wie es nun weiter gehe und was für die völlige Gleichberechtigung noch geschehen müsse.
(Amandine Olbort)