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Andreas Altmann | Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend 

Piper 2011
256 Seiten
19.99 Euro
ISBN 978-3492053983

von Lars Meuser | Download

Bigott

Die Feuilletons jubeln, die Menschen kaufen: „Endlich mal einer, der sagt wie’s war!“ Ja, aber… Ohne Frage, auf dem Büchertisch gerät Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend zum Blickfang: Irgendwie popliterarisch kommt Andreas Altmanns autobiographisches Werk über seine Jugend im erzkatholischen Altötting daher, mit Kraftausdrücken, krakeliger Schrift und einem rauchenden Bub vorne drauf. Etwa zeitgleich zur Erstpublikation besucht ein deutscher Papst der Flakhelfergeneration die Bundesrepublik. Die einen jubeln ihm um die Wette zu, die anderen verlassen den Plenarsaal des Bundestages und wandeln auf Dawkins Spuren. Die Zeichen könnten für dieses Buch also nicht besser stehen.

Altmann lässt die Erinnerungen an seine Kindheit in dem Moment einsetzen, als seine Junkie-Untermieterin ein signiertes Exemplar von „Mein Kampf“ zwecks Drogenbeschaffung gegen Bares versetzt. Jenes ist zugleich die letzte Erinnerung Altmanns an seinen toten Vater. Von hier aus entfaltet sich ein Panorama von Erinnerungsbruchstücken, mittels derer er das Aufwachsen im katholischen Wallfahrtsort Altötting in den Nachkriegsjahrzehnten illustriert. Dieses lässt sich schlagwortartig so zusammenfassen: Misshandlungen und Vergewaltigungen durch pädophile Volksschullehrer und Priester, obskure Sex-Orgien hinter den Klostermauern, allerorten ohrenbetäubendes Schweigen angesichts dessen, was ohnehin jeder weiß, Selbstkasteiungen für das Seelenheil, Wallfahrts-Nippes nach dem Bußsakrament, und zu guter Letzt Rosenkränze – immer wieder Rosenkränze. Gemeinsam mit „Mein Kampf“ bilden diese Altmanns Senkblei bei dem Versuch, seine Vergangenheit und damit auch seine Gegenwart und Zukunft auszuloten. Auf gut 250 Seiten entwirft er auf diese Weise ein schemenhaftes Gesellschaftspanorama, das viele Leser womöglich so oder so ähnlich in den Erinnerungen der eigenen Eltern und Großeltern schon einmal gehört haben. Dieser Umstand und die Art und Weise seines Erzählens bereitet beim Lesen oftmals ein flaues Gefühl in der Magengegend bis hin zur Fassungslosigkeit. Hinzu kommt eine Sprache, die weniger um ihre eigene Schönheit, als vielmehr um Pragmatismus bemüht ist, gepaart mit einer gehörigen Portion Giftigkeit und Zynismus. Daraus ergibt sich die absurde Situation, dass Altmann als geschundener Zeitzeuge eine Leserschaft anspricht, die den vermeintlichen katholischen Sumpf der Nachkriegszeit selbst zwar nicht erlebt hat, sich aber in keinem Augenblick zu schade ist, jedwede Erscheinungsform von Katholizismus heute ins Visier zu nehmen.

Angesichts dessen droht hintenüber zu fallen, dass hier zunächst einmal das erschreckende und anrührende Porträt einer Familie gezeichnet wird, die der Patriarch Franz Xaver Altmann mit Gewalt in jeder nur erdenklichen Form zu misshandeln und nachhaltig zu zerstören wusste. Er, der Nazi und Katholik, der Familientyrann und Geschäftsmann, der Kriegsheimkehrer und Versager. Auch ist dieses Buch aber die Geschichte davon, wie Andreas Altmann (und mit Einschränkungen seine Geschwister) diesem Schlund letztendlich entkommen konnte, wenn auch mit tiefen Wunden, an denen er bis heute leidet.

Nun würde manch einer, und nicht zuletzt Altmann selbst, „Das Scheißleben meines Vaters…“ gerne als Streitschrift gegen verlogenen Katholizismus und provinzielle Engstirnigkeit oder als Schlachtenruf der sich vollziehenden Glaubensdämmerung lesen. Zuallererst ist es aber die Erzählung einer zutiefst verletzenden Jugend und der Versuch, diese Wunde endlich zu schließen.

Zum Autor:
Andreas Altmann, Jahrgang 1949, reist viel um die Welt und schreibt seine Erinnerungen entweder für diverse Zeitschriften wie „Geo“ oder für eigene Buchveröffentlichungen nieder. Er wurde unter anderem mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis und dem Seume-Literaturpreis prämiert.


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