Erzählungen
Berlin Verlage 2010
208 Seiten
18.90 Euro
ISBN 978-3827009074
von Karina Fenner | Download
"Die Angst kratzt an unserer Wahrnehmung, und wir verschließen die Augen. Diese Erzählungen lassen uns wieder blinzeln" – das verspricht der Klappentext zu einem auffällig orange-blau-kontrastierten, recht schmalen Buch. Gloria heißt eben dieses und stammt aus der Feder der 1977 in München geborenen Daniela Dröscher. Was entfaltet sich darin, das die Klappentext-Versprechung einhalten könnte? Es sind elf Kurzgeschichten, die ihre Protagonisten in unterschiedliche Länder aufbrechen lassen und den Leser gleich mit auf die Reise nehmen. Wer sich nun allerdings auf malerische und märchenhafte Ausflüge in andere Welten à la 1001 Nacht freut, der wird enttäuscht werden. Denn die Welt, in der die Geschichten situiert sind, ist die tatsächliche; Raum und Zeit sind realistisch und dementsprechend ungekünstelt die Erfahrungen der einzelnen Figuren. Immer ist es ein Versuch, in der fernen Fremde Fuß zu fassen oder schlichtweg das eigene Sein zu verstehen. Die Geschichten sind sehr dicht geschrieben und scheinen verkapselt, doch allen ist der Versuch eines aufweckenden Moments gemein. Zudem zieht sich eine mitunter bedrückende Stimmung wie ein roter Faden durch die Geschichten. Von Drogenmissbrauch, Anonymität, Einsamkeit hin zur offensichtlichen Gewalt und immer gegenwärtiger Unsicherheit ringen die Figuren mit den unterschiedlichsten inneren Geistern, die es in verschiedensten Umgebungen zu bekämpfen gilt. So ist es beispielsweise eine junge deutsche Studentin, die in der titelgebenden Geschichte Gloria in einem Londoner Stadtteil mit durch Rassismus ausgelöster Angst kämpft. Durch die Erzählung aus der Ich-Perspektive wird direkt vermittelt, wie schmal der Grat zwischen Angst und Paranoia in ihren Gedanken ist. In der Erzeugung dieser Stimmung leistet Dröscher große narrative Arbeit. Durch die Komprimierung der Geschichten und die Zeichnung der Figuren erschafft sie viele kleine Welten in einer umfassenden Welt in dieser tatsächlichen Welt. Hirngespinste des verängstigten Menschen, der urbane Kampf ums Überleben und die Überforderung mit lebensalltäglichen Situationen – damit werden viele der Figuren konfrontiert, bisweilen höchst skurril und komisch. So beispielsweise auch die Protagonisten der Kurzgeschichte Ventimiglia di Sicilia. Ein Paar hält sich mit Zigaretten am Leben, gibt das Rauchen auf und kann sich fortan nur noch durch überspitzte Regeln im Alltag, beziehungsweise im fluchtartigen Urlaub, über Wasser halten.
Für den Leser bieten die Figuren – sind sie auch mitunter recht überspitzt gemalt – enormes Identifikationspotential. Das funktioniert ohne zu große Bedrückung durch die Mischung sozio-politischer Sujets, die die westliche Gesellschaft sowie den in ihr lebenden Menschen beschreiben, und der von Dröscher inszenierten Poesie des Alltags. Es glückt durch die Variation der Erzählperspektive, die mitverantwortlich ist für die sehr komplexe und so charakteristische Figurenzeichnung sowie durch einen Hauch von subtilem Humor, der angemessen ist und entkrampft.
Und all dies dürfte den Leser durchaus auch blinzeln lassen.
(von Karina Fenner)
Zur Autorin
Die 1977 in München geborene Autorin hat Germanistik, Philosophie und Anglistik in Trier und London studiert und im Fach Medienwissenschaft in Potsdam promoviert. Bereits 2005 wurde sie mit diversen Preisen für ihre essayistische Arbeit ausgezeichnet (u.a. mit dem Essay-Preis der Jungen Akademie Berlin). Mit ihrem Romandebüt Die Lichter der George Psalmanazar hat sie 2009 auf sich aufmerksam gemacht. Es folgten diverse Theaterstücke, journalistische Veröffentlichungen und schließlich ihr jüngstes Werk Gloria.