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Inga Steinmetz | Schneeballens Fall 

Manga
Carlsen 2015
128 Seiten
12.00 Euro
ISBN 978-3-551-76185-9

von Alina Groß | Download

Von der ausgebrannten Seele einer deutschen Comiczeichnerin, die auf ihrem Abenteuer in Südkorea wieder zu sich selbst findet, erzählt Inga Steinmetz in ihrem ersten bei Carlsen erschienenen Manga Schneeballens Fall. Die Geschichte ist in Teilen autobiographisch, denn auch Steinmetz reiste im Zuge eines Stipendiums während ihres Studiums für zwei Monate nach Südkorea. Die Protagonistin mit dem Spitznamen Schneeballen ? den sie ihrer Frisur, die an das gleichnamige „Brandteiggebäck mit haufenweise Puderzucker“ erinnert, verdankt ? liebt das Zeichnen. Ihr Arbeitseifer sorgt allerdings dafür, dass sie alles um sich herum vergisst, bis Gefühle der Antriebslosigkeit und Einsamkeit über sie einbrechen, die sie nicht abschütteln kann. Steinmetz versteht es, die bedrückende Gefühlswelt einer Depression zeichnerisch umzusetzen: Zu Beginn des Mangas sehen wir Schneeballen angestrengt auf ihrem Schreibtischstuhl, mit Schweißtropfen auf der Stirn und zehn Armen; sie rotiert, versucht alles gleichzeitig zu erledigen. Daneben eine Zeichnung von Schneeballen, immer noch auf dem Schreibtischstuhl sitzend, diesmal mit einem großen Loch im Bauch.

Die Bilder sprechen eine klare Sprache: Schneeballen ist erschöpft und fühlt sich innerlich leer. Die Mangazeichnerin vergleicht das aufopfernde Verhalten ihrer Protagonistin mit dem eines Ritters, der auszieht, um die Prinzessin aus den Klauen des Drachens zu retten. Dieser bereitet sich so zeitfüllend auf die Herausforderung vor, dass keine freie Minute übrig bleibt. Doch dann die Enttäuschung: Die Prinzessin ist längst tot, die Mühe umsonst. Die tröstenden Worte des Königs an den am Boden zerstörten Ritter beschreiben, Schneeballens Umgang mit Rückschlägen ebenso wie die Tatsache, dass sie sich Enttäuschungen nicht anmerken lässt, sondern weiter macht wie zuvor.

Steinmetz lässt ihre Protagonistin eine lächelnde Maske tragen, mit welcher diese ihren wahren Gemütszustand vor Freunden, der Familie als auch vor sich selbst verbirgt und so eine fröhliche Fassade aufrechterhält. Doch als die Mitbewohnerin der Zeichnerin in den Urlaub fliegt, wird die stille Wohnung zum einsamen Zufluchtsort, in der sie sich verschanzt und alle Aufgaben aufschiebt. So wird ihr die Einsamkeit bald zum Verhängnis und schließlich bröckelt die Fassade. Der Nachttisch, auf dem sie allabendlich ihre Maske ablegt, ist eines Morgens unerreichbar hoch und macht es ihr unmöglich, ein lächelndes Gesicht aufzusetzen. Schneeballen erkennt, dass sie an ihrer Depression zu ersticken droht. Erlösung verspricht ein für sie einmaliges Angebot, für zwei Monate nach Südkorea zu reisen. Endlich erwacht die Comiczeichnerin aus ihrer Lethargie, ergreift die Chance und stürzt sich ins Unbekannte. Mit Schneeballens erwachender Lebensfreude wird auch das Buch bunter, die Farben kräftiger.

Farbenfroh und mit sehr viel Liebe zum Detail zeichnet Inga die Reisevorbereitung, den Flug und schließlich den Auslandsaufenthalt ihrer Protagonistin: Liebevoll geht sie auf Unterschiede in Kultur, Essen, Mode, Haarfarben und Lebensalltag ein. So skizziert sie den Grundriss einer südkoreanischen Wohnung, zu der ein Vorzimmer zum Schuheausziehen gehört oder gibt eine Schnelleinführung in die koreanische Sprache, die Schneeballen bildlich gesprochen die Zunge verknotet. Als sich das Stipendium dem Ende neigt, wird die Zeichnerin noch einmal mit ihren Ängsten konfrontiert. Der Ausblick, nach Deutschland zurückzukehren, lässt in Schneeballens Bauch ein Angstwollknäuel entstehen. Ein Koreaner, den sie kurz vor der Abreise kennenlernt, erkennt Schneeballens Gemütszustand und rät ihr zu Mut für die Zukunft. Auf dem Rückflug nach Deutschland drückt ihr die Stewardess einen Fallschirm in die Hand mit der Aufforderung, aus dem Flugzeug zu springen. Schneeballens Frage, ob sie die einzige Passagierin sei, die springen müsse, bejaht die Stewardess und ergänzt, dass es Dinge gäbe, die man allein machen müsse. Und so springt Schneeballen: Den Mut zu springen muss sie selbst aufbringen, doch der Fallschirm symbolisiert die helfende Hand koreanischer Freunde, die sie sanft auf dem Boden aufkommen lässt.

Der Manga nähert sich dem bedrückenden Thema der Depression auf humorvolle Art und zeigt in der zeichnerischen Gestaltung, dass es auch in den dunkelsten Momenten eine Welt voll Farbe und Licht gibt. Die Bilder sprühen über vor metaphorischen Anspielungen – der Ratschlag: Lasse dich nicht zu Boden drücken, befreie dich von Erwartungsdruck und Alltagstrott, fange (wieder) an zu leben! Genau das gelingt Schneeballen. Die Koreareise beschreibt wunderbar die Aufregung des Neuen, das Entdecken einer Leidenschaft sowie das Gefühl von Freundschaft und Heimat, sodass man sich sofort selbst zu neuen Abenteuern aufraffen möchte.

Inga Steinmetz, 1983 in der ehemaligen DDR geboren, lebt in Berlin und arbeitet als freischaffende Illustratorin in den Bereichen Charakterdesign, Kinderbuchillustration und Comic/Manga. Sie unterrichtet u.a. Mangazeichenkurse für Kinder und Jugendliche. Ihre erste Veröffentlichung, die Triologie Freche Mädchen – Freche Manga!, basiert auf der gleichnamigen Jugendbuchreihe.


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