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Roman Simiæ | Von all den unglaublichen Dingen 

Voland & Quist 2013
176 Seiten
18.90 Euro
ISBN 978-3-863910-33-4

von Magdalena Stefanska | Download

Die jüngste kroatische Prosa ist einem großen Teil der deutschen Leserschaft wahrscheinlich kaum oder gar nicht bekannt. Dass ein Blick in die Literatur des neuen EU-Landes jedoch durchaus lohnenswert sein kann, zeigt Roman Simiæs Erzählband Von all den unglaublichen Dingen.

Über Roman Simiæs Werke kann man in verschiedenen Quellen lesen, dass sie die Stimmung der Generation, die den Krieg und Zerfall Jugoslawiens erlebte, wiedergeben. Das kann man auch nicht bestreiten, wenn man die Erzählungen aus seiner jüngst ins Deutsche übersetzten Sammlung liest. Doch der postkriegerische Alltag Kroatiens und die Bezüge auf die jüngere Geschichte des Landes sind lediglich der Hintergrund von Simiæs Erzählungen. Vor diesen stellt er universale Reflexionen über Kultur und zwischenmenschliche Beziehungen an, die durch genau diesen Kontext beachtlich an Tiefe gewinnen.

 »Im Ohr ein Rauschen, in der Dunkelheit ringsum Zirpen, Lachen, Meeresbrandung, dotzende Bälle, Menschen, Vogelschreie – Ist es die Insel?, werde ich fragen, ist das meine Insel? Wem gehören die Vögel? Und: Rufen sie nach den Griechen oder den Barbaren?«

Die elf Erzählungen sind auf mehreren thematischen Ebenen miteinander verbunden, obschon jede ein separates Ganzes darstellt. Zu den Leitmotiven gehört insbesondere das Thema der Elternschaft. In Erzählungen wie Gegenstände, die sinken, Kinder Kinder oder Also sprach Majakovski werden Impressionen aus den Leben von Vätern skizziert, die in grundverschiedenen Beziehungen zu ihren Kindern stehen und die väterliche Liebe auf ganz unterschiedliche Weise empfinden. Mal ist es ein besorgter Vater, dessen Tochter von ihrem Partner immer und immer wieder verprügelt wird, mal ist es ein stolzer Vater, der das Glück in der unvollkommenen Liebe zu seiner Frau und den zwei unartigen Kindern findet – schließlich sei die Vorstellung von einem perfekten Leben schon arg verträumt und sowieso nicht die seine.

Interessant ist, wie diese Bildnisse der väterlichen Liebe jenen der Mutterschaft gegenübergestellt werden: Die Protagonistinnen der Erzählungen Telefonie und Füttere mich sind mehr oder weniger freiwillig schwangere Frauen. Es fehlt ihnen an mütterlicher Zärtlichkeit und die Probleme, mit denen sie täglich zu ringen haben, zeichnen ein bitteres Bild der Liebe.

Das dritte Motiv in den Erzählungen ist das tägliche Leben in den kroatischen Städten, das beinahe surrealistische Züge trägt. Hoffnungen und Enttäuschungen, die Suche nach dem Sinn und all die Menschen – im Großen und Ganzen eine gelungene, bunte Darstellung der modernen südosteuropäischen Gesellschaft.

Die elf Erzählungen sollte man letztlich als ein kohärentes, logisches Ganzes betrachten. Bilder und Gestalten wiederholen und ergänzen sich, die Geschichten beleuchten verschiedene Themen von unterschiedlichen Seiten. Das ist eine große Stärke dieses Bandes –  nach jeder Erzählung will man sofort die nächste lesen.

Die Sprache Simiæs ist teils bildlich, teils lakonisch. Durch diese gelungene Kombination zieht er den Leser vollständig in die erzählte Welt hinein. Mal benutzt er erlebte Rede, mal wird auktorial erzählt, die Sätze erinnern manchmal an Aphorismen und die tiefen Gedanken werden in kurzen, prägnanten Dialogen ausgedrückt.

Das Buch ist ohne jeden Zweifel lesenswert – allein die Tatsache, dass es ins Deutsche übersetzt wurde und sich nun auf dem deutschen Buchmarkt durchzusetzen versucht, zeugt von seinem Wert. Allen, die den Blick über den Tellerrand gen Südosten richten möchten, sei dieser Erzählungsband als guter Einstieg in die kroatische Gegenwartsliteratur ans Herz gelegt.

Über den Autor:

Roman Simiæ, geb. 1972, ist ein kroatischer Schriftsteller und Herausgeber sowie Organisator und Programmdirektor des renommierten Festival of the European Short Story. Zwei Mal erhielt er den Goran-Preis für junge Dichter, er war Stipendiat des Literarischen Colloquium Berlin und der Stadt Graz. Seine Erzählungen wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

 

(Magdalena Stefanska)


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