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Necati Öziri|Vatermal 

Claassen
304 Seiten
25 Euro
ISBN 978-3-546-10061-8

von Tessa Schäfer

Dem buchpreisnominierten Debütroman Vatermal von Necati Öziri merkt man den Theaterhintergrund des Autors deutlich an. Öziri erzählt in seinem Werk die Geschichte von Arda, der schwer erkrankt im Krankenhaus liegt und einen Brief an seinen Vater verfasst. Ardas Problem ist, dass er seinen Vater, im Gegensatz zu seiner älteren Schwester, nie kennengelernt hat, da er die Familie kurz vor Ardas Geburt verließ. Doch wie soll Arda diesen Menschen eigentlich ansprechen – Papa, Vater, Baba oder doch einfach Erzeuger? Er entscheidet sich schließlich für den Vornamen dieses Mannes – Metin. Nicht wissend, ob er seine plötzlich auftretende Krankheit überleben wird, strebt Arda danach, seinem Vater von sich und seinem Leben zu erzählen. Auf diese Weise möchte er ihm die Möglichkeit nehmen, nicht zu wissen, wer sein Sohn ist und war. Die Geschichte wird kapitelweise über viele Perspektiven- und Zeitwechsel erzählt, sodass die Leser*innen am Ende des Romans nicht nur Ardas eigene, sondern auch die Geschichte seiner Mutter Ümran und seiner Schwester Aylin kennen.

Metin kam als politisch Verfolgter nach Deutschland, in der Türkei drohte ihm das Gefängnis. Ümran kam nach Deutschland, da bei einem Erdbeben ihr Elternhaus zerstört wurde. Einige Jahre später folgte sie mit ihren Geschwistern ihren Eltern, die als Gastarbeitende zunächst allein in die Fremde gingen. Für Ümran und Metin und auch für viele der Nebenfiguren bedeutet die Migration einen sozialen Abstieg – eine fremde Sprache muss erlernt werden, Abschlüsse werden nicht anerkannt und das Einleben in eine andere, neue Gesellschaft fällt schwer und wird durch andere Personen und/oder unvorhersehbare Umstände noch mehr erschwert.

Arda wurde zwar in Deutschland geboren, sein Vater wurde jedoch in der Heimat politisch verfolgt, dadurch besitzt er weder einen türkischen noch einen deutschen Pass, was ihm bei den stetigen Terminen auf dem Ausländeramt und den immer wiederkehrenden Polizeikontrollen stets viel Zeit raubt. Wohingegen sein Freund Bojan gleich sieben Pässe besitzt, die ihm jedoch alle nichts bringen und ihn nicht vor einer Abschiebung bewahren können. Gemeinsam mit seinen Freunden verbringt Arda seine Jugend an Orten wie dem Bahnhof und dealt dort mit Gras. Er möchte später aber ein Literaturstudium absolvieren, da er der Meinung ist, dass seine Freunde und er mehr zu erzählen haben als andere Jugendliche und junge Erwachsene. Arda ist aber letztlich in seinem Freundeskreis, genau wie in seiner Familie, der Einzige, der übrig bleibt, während seine Kumpels andere Schicksale ereilen.

Gemeinsam haben die Freunde aber auch, dass sie nie auf die Idee kommen, zu den jeweils anderen nach Hause gehen zu wollen, denn die familiären Hintergründe sind bei allen schwierig. Ardas Mutter Ümran, die über den Verlust ihres Mannes und die verpasste Chance mit ihrer anderen, vielleicht wahren Liebe zu leben, nie hinwegkam, ernährt sich von Alkohol und Zigaretten, flüchtet sich in immer neue Affären und ist mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert. Für Aylin, Ardas ältere Schwester, wird die häusliche Situation schließlich so unzumutbar, dass sie flieht und bei einer sehr deutschen Pflegefamilie landet. Ihr Bruder ist Aylin aber enorm wichtig, sodass es keine Frage für sie ist, dass sie ihn beinahe täglich im Krankenhaus besucht, auch wenn sie Gefahr läuft, dort ihrer Mutter zu begegnen, mit der sie schon seit Jahren nicht mehr spricht.

Vatermal ist ein berührender, kurzweiliger Roman, der sich gut und schnell lesen lässt und einnehmend an Orte entführt, die die Mehrheitsgesellschaft aus dieser Perspektive eher weniger kennt – wie etwa das Ausländeramt. Dabei nutzt Öziri eine Sprache, die bei anderen Stoffen und Autor*innen leicht aufgesetzt wirken kann, hier aber maßgeschneidert für die Figuren scheint und authentisch wirkt. Necati Öziri zeigt mit Vatermal, dass Migration nicht innerhalb einer Generation abgeschlossen ist, sondern auch die nachfolgenden Generationen maßgeblich durch sie beeinflusst werden.


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