FISCHER Kinder- und Jugendbuch 2020
208 Seiten
14 Euro
ISBN: 978-3-7373-4257-5
von Annalina Benner | Download
Die fünfzehnjährige Schilo lebt ein Leben wie viele andere: Sie wohnt mit ihrer Mutter und Großmutter in einem Apartment, verbringt die Freizeit mit ihrer besten Freundin Samira und genießt es, tanzen zu gehen. Dennoch ist ihre Realität eine andere als die Samiras, denn Schilo hält sich im Gegensatz zu ihrer besten Freundin streng an die fünf Gesetze der absoluten Reinheit, die sogenannten GaR, welche vom Ministerium für Reinheit verabschiedet wurden. Die Gesetze besagen, dass Reinheit Schutz bietet, Berührung gefährlich ist, Abstand zu Sicherheit führt, Kontrolle der Gesundheit dient und schließlich, dass Gesundheit wichtiger ist als Freiheit. Schilo folgt diesen Vorgaben bereitwillig, trägt ihren Protector – für ein gesundes Miteinander ©, registriert Samira als ihre offizielle Kontaktperson außerhalb der Familia via Social Health – zu viel macht krank © und nutzt ihren persönlichen Controller – damit jeder weiß, dass es dir gut geht © um ihre Körperwerte im Blick zu haben. Für Schilo sind die Befolgung all dieser Vorgaben und die Nutzung hilfreicher technischer Gadgets selbstverständlich, immerhin arbeitet ihre Mutter im Ministerium für Reinheit! Doch auch wenn ihre Mutter keine Position im Ministerium innehalten würde, so hätte die große Pandemie doch auch den Letzten gezeigt, wie viel wichtiger Gesundheit im Vergleich zur persönlichen Freiheit zu bewerten ist! Basierend auf dieser Überlegung wurde auch das Land aufgebaut, in dem Schilo aufgewachsen ist: Cleanland – das Land der Reinen.
Doch nachdem Schilo miterlebt, wie der kleine Bruder ihrer besten Freundin sowie Samira selbst gegen das Regime zu rebellieren beginnt und sie eines Nachts aufwacht und einen Cleaner bei seiner Arbeit entdeckt, ändert sich Schilos Wahrnehmung ihres Heimatlandes. Zusammen mit Toko, dem Cleaner, erkundet sie die Welt außerhalb ihres Wohnkomplexes, begibt sich auf die Spur derer, die nachts Straßen und Gebäude desinfizieren und stellt sich der Frage, ob Gesundheit wirklich immer wichtiger ist als Freiheit.
Martin Schäuble schafft mit Cleanland einen Roman, welcher Elemente aus renommierten dystopischen Geschichten wie Divergent mit Inventionen verbindet, welche an Marc-Uwe Klings Qualityland erinnern. Durch diese Taktik trifft der Autor den Puls der Zeit und schafft nicht bloß einen Roman, in welchem »die Folgen einer Pandemie konsequent weitergedacht« werden, sondern zudem in Zeiten einer Pandemie eine Möglichkeit zur Reflexion. Dies gelingt durch das Zusammentreffen von Charakteren mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen und Wertvorstellungen, deren Handlungen nicht bloß ihr eigenes Leben prägen, sondern zudem Spuren im Leben der weiteren Protagonisten hinterlassen. Neben der Vorstellung neuer Technologien und diverser Charaktere gelingt es Schäuble, mittels einzelner Ereignisse der drei Generationen, die durch die Protagonist*innen vertreten sind, deren kulturelle Sozialisierung und jeweiligen Prägungen dazustellen
Schäubles Roman regt zum Nachdenken an und gibt Leser*innen die Chance, sich mit den ethischen und anthropologischen Auswirkungen auseinanderzusetzen, welche folgen können, wenn Lebens- und Gesundheitsschutz als absolute Werte über die Würde des Menschen gestellt werden. Damit trifft der Autor den Puls der Zeit, erlaubt ein Eintauchen in eine Zukunft, welche hoffentlich Science-Fiction bleibt und nicht zur neuen Realität wird, und erlaubt einen differenzierten, teils belustigenden, teils sehr ernsten Blick auf das Leben in einer pandemischen und post-pandemischen Gesellschaft. So handelt es sich bei dem Buch um eine spannende Lektüre, welche Leser*innen ab 12 Jahren die Möglichkeit gibt, kritisch nachzufragen oder auch einfach in das fiktionale Geschehen abzutauchen.
Martin Schäuble wurde 1978 geboren und studierte später in Berlin, Israel und Palästina Politik, bevor er sich als Jugendbuchautor mit der Frage beschäftigte, wie sich Lebensläufe radikalisieren können. So bediente sich der Autor mehrfach seiner Kenntnisse zu politischen Themen, um diese als Inspiration für seine dystopischen Welten zu verwenden. Der Autor schreibt nicht nur unter seinem bürgerlichen Namen, sondern nutzt ebenfalls das Pseudonym Robert M. Sonntag, sodass Fans des Autors nach beiden Namen Ausschau halten sollten.
Annalina Benner