Kiepenheuer & Witsch
112 Seiten
22 €
ISBN: 978-3-86971-261-1
von Sandra Binnert| Download
Psychoaktive Illustrationen
Wer bei Jakob Heins und Kat Menschiks illustriertem Kompendium der Psychoaktiven Pflanzen an ein kleines botanisches Lexikon denkt, wird überrascht sein. Fakten wie Stamm, Klasse, Ordnung, Familie, Gattung und Art werden in diesem liebevoll gestalteten Büchlein selten bis gar nicht berücksichtigt und wenn, dann kommen sie in einer humorvollen Beschreibung zum Vorschein.
Bei einem Kuchen im Garten, umringt von Pflanzen, sei die Idee aufgekommen, gemeinsam ein Buch über Pflanzen zu gestalten, da es in Menschiks Reihe „Illustrierte Lieblingsbücher“ bereits das „Kat Menschiks und des Diplom-Biologen Doctor Rerum Medicinalium Mark Beneckes Illustrirtes Thierleben“ gibt. Die Reihe sollte um ein pflanzliches Pendant ergänzt werden. Hein sieht sich hierbei in „der Rolle eines Background-Sängers, der hoffentlich die Hauptattraktion gekonnt zu unterstützen weiß“ (S. 13). Doch diese Beschreibung erscheint allzu bescheiden im Hinblick auf die gelungene Pflanzenauswahl und Textgestaltung.
Das Büchlein mutet wie eine moderne Märchenerzählung an, die Kapitel tragen Titel wie „Die grüne Fee“, „Die heimische Hexenküche“, „Betrunkene Affen“ oder „Geile Ziegen und gepfefferte Mönche“. Was sich hinter diesen Bezeichnungen verbirgt, wird dem einen oder anderen schon auf den ersten Blick klar.
Als „Grüne Fee“ wird gemeinhin der giftgrüne hochprozentige Absinth bezeichnet, dessen Zusammensetzung und Vertrieb sich aus politischen Gründen über die Jahrzehnte immer etwas gewandelt hat. Was den Absinth von anderen alkoholischen Getränken unterscheidet, ist das Thujon, das ein Inhaltsstoff der ätherischen Öle der Wermutpflanze ist. Es wurde erstmals vom Göttinger Professor Otto Wallach erforscht und beschrieben. Absinth wurde zunächst in recht kleinen Mengen hergestellt und wurde dann französischen Truppen im Algerienfeldzug 1870 als ein Teil des Proviants mitgegeben, weil es die Stimmung der Soldaten hob. Kurz darauf erlebte Absinth einen rasanten Aufschwung in der Kulturszene in Paris und weit darüber hinaus.
Alkoholische Getränke sind jedoch nicht nur für Menschen eine verlockende und weit verbreitete Art des Eskapismus, auch Primaten trinken gerne einmal unbeaufsichtigte Cocktails von Tourist:innen oder haben einen ausgeprägten Spürsinn für vergorenes Obst. In Guinea wurden Schimpansen dabei beobachtet, wie sie mit Hilfe von Blättern vergorenen Saft aus Raphia-Pflanzen angeln.
Wer wissen möchte, was es mit der Muskatnuss, einem tödlichen Blumenstrauß und dem Kauverhalten verschiedener Kulturen auf sich hat, ist mit dem Buch bestens versorgt. Was das Buch so gelungen erscheinen lässt, ist die Kunst, aufzuzeigen, wie viel und wie wenig wir zugleich über psychoaktive Wirkungen in Pflanzen wissen. Während Menschen es zu allen Zeiten geschafft haben, berauschende Wirkungen aus Pflanzen zu holen, ist die psychoaktive Natur von Pflanzen schwer zu untersuchen. Die verantwortlichen Stoffe können zwar chemisch isoliert werden (z.B. beim Thujon oder Kokain), doch die psychoaktive Wirkung kann durch die isolierten Stoffe nicht vollständig im Laborversuch hervorgerufen werden. Es wird davon ausgegangen, dass andere Bestandteile der Pflanze in Wechselwirkung mit den psychoaktiven Stoffen sowie ein Placebo-Effekt mit für die Intensität des Rauschs verantwortlich sind.
Das Kompendium wurde mit sechs leuchtenden Farben gedruckt, die sich überlappen, ergänzen und eine schöne Hommage an das sind, was in der Popkultur mit psychoaktiven Trips verbunden wird. Menschiks knallige und kreative Illustrationen ragen in den Text hinein, überlappen ihn und die Augen lassen die zwei Ebenen zu einer verschmelzen, sodass Inhalt und Gestaltung sich perfekt ergänzen.
Von Sandra Binnert