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Frank Goosen | Sweet Dreams-Rücksturz in die Achtziger 

Kiepenheuer & Witsch 2021
240 Seiten
11 Euro

ISBN 978-3-462-00162-4

von Aenne Frankenberger| Download

In Sweet Dreams skizziert Frank Goosen seine Jugend im Ruhrgebiet, eine Jugend in Zeiten des Umbruchs. Der junge Frank ist ein eingeschworener Beatles-Fan, geplagt von pubertären Selbstzweifeln und dem Zwang, immer cool wirken zu wollen. Obwohl er keiner der archetypischen Jugendkulturen der Achtziger angehört, sind diese in den Roman eingeflochten. Spüli, einer seiner besten Freunde, trägt beispielsweise Polohemden und eine Poppertolle.

Goosens Anekdoten beinhalten oft mindestens eines der zwei Schlüsselelemente einer jeden Jugend: Liebschaften und Alkohol. Die Erzählungen sind hauptsächlich rein autobiographisch und reihen sich chronologisch aneinander. So begleiten die Leser*innen den jungen Frank aus dem Zimmer von Schwarm Nicole zur Skifahrt nach Südtirol und auf ein Konzert in der legendären Zeche. Zusammen mit der Ruhr-Universität versinnbildlicht diese zur Veranstaltungslocation gewordene Schlosserei den Strukturwandel: Frank geht dort zur Uni und auf Konzerte, wo die Generation seiner Großeltern Kohle abbaute. Die Mädchen werden für Frank immer schöner, er und seine Freunde dafür immer verwirrter. Ganz im Stil der Achtziger machen sie Avancen über Mixtapes und bekommen auf gleichem Wege ihre Laufpässe. Mit stetigen Referenzen zur Popkultur der Achtziger spinnen sich die Erzählungen weiter
über die Erfindung des Walkmans und des CD-Players bis hin zu einem Urlaub mit seiner Freundin, der nach einem Eklat über Harry und Sally in ihrer Trennung endet. Seine Achtziger enden mit dem Tag des Mauerfalls, den Frank nicht unmittelbar als historisch erlebt, da er sich als Videotheken-Stammkunde eine VHS anstelle der Tagesthemen anschaut.

Die Chronologie dieser Anekdoten wird immer wieder von Kurzgeschichten über die Charaktere um Förster unterbrochen. Scheinbar ebenfalls autobiographisch inspiriert folgen sie den gleichen Schlüsselelementen wie die Erzählungen des jungen Frank. Das Buch schließt mit dem Klassentreffen dieser Charaktere 30 Jahre später. Obwohl sie zuerst nicht dort hingehen wollten, damit die Erinnerung an die vergleichsweise sorgenfreien Achtziger nicht von der Realität des 21. Jahrhunderts beeinflusst wird, bleiben sie am Ende doch den ganzen Abend.

Goosens kabarettistischer Hintergrund macht sich bemerkbar; als Leser*in muss man immer wieder lachen. Er erzählt seine Anekdoten mit einem zugänglichen, ironischen Humor. Zwar stützt sich dieser teilweise auf Ruhrpott-Klischees, welche jedoch als solche gekennzeichnet werden und somit nicht abgedroschen, sondern authentisch wirken. Dies findet sich in der Sprache des Autors wieder, denn er bedient sich nur einer kleinen Menge an Wörtern im Dialekt des Ruhrpotts.

Der Bezug zur Musik schafft eine Art Soundtrack für das Buch, was zu einer Unmittelbarkeit der Erzählung und unter Umständen zu Ohrwürmern führt. Sicher entfaltet sich diese Wirkung sowie jene einiger ortsbezogener Witze bei Leser*innen aus Goosens Generation beziehungsweise aus dem Ruhrgebiet stärker. Nichtsdestotrotz ist Sweet Dreams auch lesenswert für jüngere Generationen, denn viele Topoi des Erwachsenwerdens, beispielsweise das, worauf »uns Doktor Sommer nicht vorbereitet«, sind zeitlos. Mit seinem Achtziger-Revival liegt das Buch voll im Trend - die Einflüsse dieses Jahrzehnts machen sich gerade in der zeitgenössischen Musikszene bemerkbar.

Für Fußballfans wird das Buch keine Längen haben. Jedoch verliert sich der Autor an einigen Stellen in entsprechenden Schilderungen, die für andere eher unzugänglich sind. Das Gleiche gilt für die Erzählungen um Förster, vor allem für deren unregelmäßige Eingliederung. Die Kurzgeschichten unterbrechen den Lesefluss und die Kohärenz des Buches, verwirren die Leser*innen mitunter. Jedoch spiegelt diese Verwirrung jene der heranwachsenden Charaktere und ist daher letztlich ein funktionierendes Stilmittel. Ganz ohne das »Früher war alles besser« kommt das Buch nicht aus, doch durch den ironischen Ton des Autors findet sich an einigen Stellen Widerstand gegen stereotype Nostalgie.

In seiner Gesamtheit ist Goosens Rücksturz in die Achtziger ein amüsantes, leicht zu lesendes Buch und für alle, die das gröbste Erwachsenwerden bereits hinter sich
haben und dem Revival dieses Jahrzehnts nicht abgeneigt sind, zu empfehlen. Es berührt vor allem aufgrund seines Bezugs zur Musik und hinterlässt Spuren - egal ob man nun, ganz im Sinne des jungen Franks, mal wieder eine alte Platte hervorgeholt oder die erwähnten Lieder in die eigene Playlist aufgenommen hat.

Über den Autor: Frank Goosen wurde 1966 in Bochum geboren und lebt dort nach wie vor mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen. Neben seinen erfolgreichen Büchern, darunter Raketenmänner, Sommerfest und Liegen lernen, hat er zahlreiche Kurzgeschichten und Kolumnen veröffentlicht. Darüber hinaus verarbeitet er seine Texte teilweise zu Soloprogrammen, mit denen er deutschlandweit unterwegs ist. Einige seiner Bücher wurden dramatisiert oder verfilmt.
                                                                                                                                                                                                                Aenne Frankenberger


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