Fräulein Nettes kurzer Sommer. Karen Duve liest im Rahmen des Kultursommers Mittelhessen aus ihrem neuesten Roman 

Karen Duve Karen Duve

Dienstag, 18.6., 19 Uhr

Netanya-Saal (Altes Schloss)
Brandplatz 2
35390 Gießen

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Eintritt: 7 € | 5 € erm. | LZG-Mitglieder 3 €

VVK: Tourist-Info Gießen
Für LZG-Mitglieder über das LZG-Büro

Moderation: Marina Gust (LZG | hr)

Passend zum Ambiente des Alten Schlosses nahm Karen Duve bei der Lesung ihres neuen Romans Fräulein Nettes kurzer Sommer das Publikum mit zu einer Adelsfamilie, die ebenso gut in diesem Schloss hätte residieren können.

Die Droste-Hülshoffs sind nicht mit der Tochter gesegnet, die sie sich erhofft haben, zumal sie sich in erster Linie nicht einmal eine Tochter, sondern das »stärkere, ausdauerndere« Geschlecht eines Sohnes erhofft hatten, um das Erbe zu sichern.
Nun hatten die Eltern schon Pech mit dem Geschlecht des Kindes, da kam auch noch die Manier jener Tochter hinzu: störrisch und vorlaut, nervig und nicht zu bändigen – eben so gar nicht adelig.

Schon mit der Einleitung über die Figur der Anette von Droste-Hülshoff hatte Karen Duve alle Anwesenden am Dienstagabend in ihren Bann gelesen.

Die Mutter gibt sich selbst die Schuld an dem Fehlverhalten ihrer Tochter, denn hätte sie ihr nicht das Duzen erlaubt, oder sie gar gelobt, wäre sie sicher nicht so störrisch gewesen.
Vorgestellt wird Anette als wildes junges Mädchen, das nicht gern in die Schule geht, denn Frömmigkeit und Sanftmut und das Nähen und Stricken entziehen sich ihrem Interessenfeld. Wieso bloß, könne sie nicht wie die Männer unterrichtet werden?

In einer Textpassage, die mindestens genauso viel Witz und Humor beinhaltet und das Publikum somit nicht selten zum Lachen bringt, erzählt Duve von dem Erwachsenendasein Annettes. Die ersten Umschreibungen ihres Äußeren sind so direkt, so unverhofft trocken, dass sofort ein klares Bild geschaffen wird. So war das einzig Schöne an ihr die Fülle ihres langen blonden Haares. Als sei solch ein abstoßendes Aussehen nicht schlimm genug für die Normen jener Zeit, hatte die Adelige dazu noch eine dunkle und laute Stimme, ganz im Gegenteil zu den anderen Frauen in ihrer Familie oder dem Bekanntenkreis: Denn es gehörte sich für eine Dame ihres Ranges, mit hoher Stimme zu sprechen, wenn überhaupt geredet werden durfte. Kontrastiert wird auch hier das Verhalten der jungen Dichterin mit dem der anderen Frauen des Biedermeiers. Eine Ausnahme in der von Regeln dominierten Zeit: Aufdringlich und befreit von jeglicher Angst und Scham, mischt sich Anette in jedes Gespräch der Männer ein, und schreckt nicht davor zurück, ihre Meinung offen kundzutun. Mit ihrer Eigenschaft, oft krank zu sein, ähnelte Droste-Hülshoff den anderen Frauen jener Zeit.

1818 war das Jahr, in dem die Dichterin zum ersten Mal auf Heinrich Straube, bei dessen Beschreibung Karen Duve ebenso wenig ein Blatt vor den Mund nimmt wie bei Anette selbst, trifft. Bei ihrem ersten Aufeinandertreffen verhält sich Anette so, wie sie bisher vorgestellt wurde und stellt Straube höhnisch und willentlich sogar bloß. Er löst die Situation souverän und sogar liebevoll ihr gegenüber auf, während sie sich selbst die Schuld zuweist. Straube lobt sie für ihre Gedichte und erwähnt das Potenzial, das er in ihr sieht.

Zwei Jahre nach dieser Szene begegnet der*die Leser*in Anette in einem verwirrten Zustand, denn trotz Verabredung erscheint Straube nicht. Dieser ist mit August von Haxthausen unterwegs. Die revolutionäre Seite Anettes wird in dem Moment wieder ersichtlich, als sie die anderen Frauen, die ebenfalls vor Ort im Haus sind, beobachtet, wie diese ihren häuslichen Pflichten nachgehen. Denn im Gegensatz dazu träumt Anette davon, draußen zu sein, zu reiten und ein Gewehr bei sich zu tragen – ganz wie die Männer. Gedankenverloren an Straube, malt sie sich aus, dass er sicher nichts mehr mit ihr zu tun habe wolle, da er denke, dass ihre Gedichte genau so schlecht seien wie die anderer Dichterinnen. Zweifel kommen auf, doch gleichzeitig macht sie sich nichts aus den Meinungen der Frauen in ihrer Familie, die das traditionelle für Gut heißen.

Als Arnswaldt schließlich doch ankommt, so erzählt Duve, eskaliert ein Streit zwischen Anette und Arnswaldt, woraufhin dieser nach Göttingen zu Straube fährt, um ihm zu sagen, dass sie es mit jedem »treiben« würde. Sie beschließen einen Brief an Anette zu schreiben, in dem die Wahrheit über ihre parallelen Beziehungen zu Männern steht. »Man glaubt nicht, dass sie erwachsen sind«, kommentiert Duve.

So passiert es, dass alle Verwandten den Inhalt des Briefes erfahren und sich um eins sorgen: den Ruf ihres Namens, denn schließlich, so die Mutter, müsse man auf diesen Acht geben. Anette gibt in diesen Moment keinem der beiden Männer die Schuld, da sie sich darüber bewusst ist, was sie getan hat. Eine neue, eingeschüchterte und ruhige Seite der Anette von Droste-Hülshoffs zeigt sich dem Publikum in diesem Moment. Sie nimmt die Schuld auf sich und schreibt ab diesem Zeitpunkt acht Jahre lang nicht mehr, berichtet Karen Duve nach dem Vortrag des letzten Abschnittes.

Am Ende der Lesung verspricht die Autorin, dass sie bald schon einen neuen historischen Roman schreiben wird, da die Gattung sie gefesselt habe. Bei der großen Zahl an Zuhörer*innen wird es auch für das nächste Werk sicher zahlreiche Interessent*innen geben.

(Inga Movsisyan)


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