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Christoph Poschenrieder | Ein Leben lang 

Diogenes
304 Seiten

25 Euro
ISBN 978-3-257-07195-5




von Pluto Sobolewski

»Kann ein Mörder unser Freund sein und bleiben? […] Können wir es mit unserem Selbstverständnis vereinbaren, dass einer von uns einen Mord begangen hat? Ist das überhaupt vorstellbar? Sind seine Lügen unsere Lügen? Seine Wahrheit unsere Wahrheit? Und geht uns die Wahrheit überhaupt irgendetwas an, solange wir Freunde bleiben wollen?« (S. 221)

Schon seit ihrer Kindheit sind sie beste Freunde – Astronomin, Lehrerin, Musikkaufmann, Anwalt, Unternehmer – eine Gruppe, die unzertrennlich scheint. Doch ihr Leben gerät aus den Fugen, als einer von ihnen plötzlich wegen Mordes angeklagt wird. Er soll seinen Onkel aus Habgier erschlagen haben. Die Beweise sind belastend: ein lückenhaftes Alibi, Blutspuren auf Geldscheinen und Gegenstände des Opfers, die in seiner Wohnung gefunden werden.

Doch trotz all dieser erdrückenden Hinweise stellen sich die Freunde bedingungslos hinter den Angeklagten. Für sie ist klar: Er kann kein Mörder sein. Während eines zweijährigen Prozesses kämpfen sie gegen die Justiz und die Zweifel von außen, aber auch gegen ihre eigenen inneren Unsicherheiten. Sie klammern sich an ihre Überzeugung und an die Loyalität, die die Freundesgruppe seit Jahren verbindet.

15 Jahre nach dem Urteil werden die alten Wunden jedoch wieder aufgerissen. Eine Journalistin nimmt den Fall erneut unter die Lupe und bringt unbequeme Fragen mit sich: Haben sich die Freunde damals geirrt? War ihre Loyalität stärker als die Wahrheit? Stück für Stück kommen Details ans Licht, die sie dazu zwingen, nicht nur den Angeklagten, sondern auch sich selbst und ihre Freundschaft infrage zu stellen.

Christoph Poschenrieder setzt in Ein Leben lang auf eine innovative Erzähltechnik: Der gesamte Roman besteht aus einer Montage von Interviews, E-Mails, Notizen und Kriminalistik-Texten, die von der Journalistin gesammelt und zu einem chronologischen Gesamtbild geordnet wurden. Die multiperspektivische Darstellung erlaubt es, die Ereignisse aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, wobei jede Figur ihre eigene Stimme und Wahrnehmung einbringt.

Die Freunde, der Angeklagte und der Anwalt gewinnen durch diese Struktur eine bemerkenswerte Tiefe. Ihre unterschiedlichen Perspektiven und Emotionen – von kämpferischer Loyalität bis hin zu schleichenden Zweifeln – machen sie lebendig und nahbar. Besonders gelungen ist, wie die Erzählweise den Leser dazu einlädt, selbst zum Ermittler zu werden, die widersprüchlichen Aussagen zu deuten und eigene Schlüsse zu ziehen.

Dabei setzt Poschenrieder dem klassischen Kriminalroman eine ungewöhnliche Herangehensweise entgegen: Statt sich auf die Aufklärung der Tat zu konzentrieren, widmet sich der Roman den psychologischen und zwischenmenschlichen Aspekten des Falls. Der Angeklagte, der im Buch nie beim Namen genannt wird, bleibt dabei bewusst eine schwer zu greifende Figur – ein Puzzle, das sich nie vollständig zusammensetzen lässt.

„Die nennen ihn nie beim Namen. Sie sind die Gruppe, er ist er, oder »unser Freund«. Einer von ihnen und doch nicht. Oder nicht mehr.“ (S. 47)

 


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