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Celeste Ng | Was ich euch nicht erzählte 

dtv 2017
292 Seiten
10,90 Euro

ISBN 978-3-423-14559-2

von Lars Bepler | Download

Die ersten Zeilen des Romans beginnen dort, wo eine Familie am Ende ist: Die geliebte Tochter ist tot. Der Leser erfährt es anfangs vom Erzähler, die Familie hört es anschließend von der Polizei und alle teilen bis zum Romanende die Ungewissheit, wie das Mädchen im See ertrunken sein könnte. Celeste Ng beschreibt in ihrem Romandebüt Was ich euch nicht erzählte die Geschichte der chinesisch-amerikanischen Familie Lee aus Ohio und präsentiert ihre Träume, Geheimnisse und Ängste wie Perlen aus einem trüben, stehenden Gewässer.

Während sich der Universitätsprofessor James Lee den Aufstieg in die soziale Oberschicht wünscht und seine Ethnizität seit Kindesalter verteufelt, träumt seine Studentin Marilyn entgegen dem von ihrer Mutter vorgelebten klassischen Hausfrauenbild vom Beruf als Ärztin. Doch das Absolvieren des Studiums bleibt unerreichbar, sobald die US-Amerikanerin von ihrem Dozenten James ein Kind erwartet. Nath, Lydia und Hannah werden geboren, allerdings behält Lydia stets die Rolle als Nummer Eins in der Familie, denn Marilyn überträgt ihren Traum vom Erfolg als Ärztin auf ihre Tochter.

Keinen Gedanken verschwenden die Eltern daran, mit welchen Schwierigkeiten ihre Kinder zu kämpfen haben und auf welchem Stand die Gesellschaft geblieben ist. Nath bleibt dabei Lydias engster Vertrauter, doch zugleich nagen an ihm wie auch an seiner Schwester Hannah der Neid auf die Aufmerksamkeit ihrer Eltern und die Sehnsucht nach einem Ausbruch aus seiner Familie. Als sein Erzfeind Jack eine Beziehung mit seiner Schwester zu beabsichtigen scheint, tauchen die versteckten Gefühle der Kinder und zuletzt auch jene der Eltern auf.

 

Celeste Ng beweist ihr literarisches Können und zeigt die Kunst einer erzählerischen Dynamik: Wie eine Puppenspielerin lässt sie ihre Figuren auf der Bühne erscheinen und präsentiert deren Geschichten, bis die Fäden aufeinandertreffen und immer mehr ein Ganzes ergeben, das nicht mehr aufzulösen ist. Die Wechsel zwischen den Perspektiven ihrer Charaktere sowie die Sprünge zwischen den vergangenen Geschichten aus deren Leben und der gegenwärtigen Situation bleiben fließend wie im Spielfilm, doch einen spannenden Thriller mit überraschenden Wendungen hinter jeder Ecke darf man nicht erwarten, denn eine solche hebt sich die Autorin als Schatz für den Schluss auf.

Migrationshintergrund, Homosexualität, Frauenbilder – Celeste Ng verhandelt diese gesellschaftlichen Stoffe  unter dem Aspekt, dass das Wahrnehmen des eigenen Andersseins in der Sprache seinen Ausdruck finden muss. Die Zusammenführung dieser Themen in einem einzigen Roman erscheint undenkbar und die Vernachlässigung eines Punktes vorprogrammiert. Trotz seiner Konstruiertheit zeigt Was ich euch nicht erzählte, dass sich die Auseinandersetzung mit Rassismus, Homophobie und Sexismus im 21. Jahrhundert nicht in Luft auflösen darf und noch heute eine Familie bis auf den Grund erschüttern kann.

Lars Bepler


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