Café der Unsichtbaren. Lesung und Gespräch mit Judith Kuckart 

Judith Kuckart und Christina HohenemserJudith Kuckart und Christina Hohenemser

Mittwoch, 23.11., 18:30 Uhr
KiZ (Kongresshalle)
Südanlage 3a
35390 Gießen

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Eintritt: 8 € | erm. 6 € | LZG-Mitglieder 4 €


Moderation: Christina Hohenemser (LZG)

Am Mittwoch, den 24.11., führte Judith Kuckart mit ihrem neusten Roman Café der Unsichtbaren die begeisterten Zuhörer*innen im KiZ hinter die Kulissen einer telefonischen Seelsorge und sprach über Einsamkeit als präsentes und aktuelles Thema.

Zu Beginn stellte Christina Hohenemser, die Moderatorin des Abends, fest, dass der Stil des Romans an das Theater erinnere. Dies dürfte die Zuhörer*innen nicht verwundern, denn zum Schreiben gelang Kuckart durch das Theater und den Tanz. Die Ästhetik dieser Kunstformen überträgt sie auch auf ihre literarischen Texte. Die bekannte Welt des Theaters helfe Kuckart, Geschichten zu erfinden und zu erzählen, so die Autorin im Gespräch.

Als Kuckart 50 Jahre alt wurde, wollte sie neben ihren künstlerischen Tätigkeiten zusätzlich eine soziale Beschäftigung ausführen. Ein Studium der Theologie sollte daher als Grundlage für die Gemeindearbeit dienen, scheiterte allerdings an der Dauer des Studiums und den notwendigen, insbesondere aufwendig zu lernenden Sprachen. Daher folgte Kuckart dem Rat einer befreundeten Pastorin und absolvierte die Ausbildung bei einer Telefonseelsorge, wo sie dann für vier Jahre in Berlin tätig war. Und von dieser Arbeit handelt auch ihr aktueller Roman.

Café der Unsichtbaren, 2022 erschienen, gliedert sich in fünf Kapitel. Die Geschichte offenbart kurze, szenenhafte Einblicke in die Arbeit der sieben Protagonist*innen bei Sorgentelefon e. V. Die fünf Kapitel stehen gleichzeitig für den Zeitraum, in dem die Handlung sich entwickelt, da Kapitelaufteilung und Anzahl den fünf Ostertagen entsprechen: Von Gründonnerstag bis Ostermontag. Durch die Erlebnisse und Anrufe während der Ostertage bei der telefonischen Seelsorge, gespickt von Erinnerungsfragmenten und Rückblicken in die letzten vier Jahre, erzählt Frau von Schrey als selbstreflektierte und empathische Ich-Erzählerin die Geschichten von Rieke, Wanda, Matthias, Emilia, Dr. Lorentz, Marianne und sich selbst.

Ohne ausführliche Vorstellung der Figuren steigt der Roman in das Geschehen um die Osterfeiertage ein. Kuckarts eigene Erfahrungen, die sie im Rahmen ihrer Tätigkeit bei der Telefonseelsorge machte, dienten ihr im Schreibprozess als Inspiration. Als besonders schwierig in der seelsorgerischen Arbeit empfand die Autorin es, die Anrufenden nicht sehen zu können. Eine Lösung war für sie schnell gefunden: Sie stellte sich die Gesichter der regelmäßigen Besucher*innen eines Sozialcafés in London als Anrufende vor. Aus dieser Idee entstand schließlich sogar der Titel des Romans, da Rieke, eine der Protagonistinnen, eben dieses Sozialcafé für ihre Übungspredigt als Theologiestudentin nutzt. So war der Name Café der Unsichtbaren geboren. Es entsteht der Eindruck, dass Kuckart das Schreiben als ein Ventil nutzt, um eigene Erfahrungen zu verarbeiten, auch wenn die Autorin betonte, dass der vorliegende Roman kein besonderer Fall sei, da das Schreiben allgemein zur Verarbeitung diene.

Als eines der großen Themen im Roman geht Kuckart auf die Problematik der Einsamkeit ein und trifft damit nach zwei Jahren Pandemie und Kontaktbeschränkungen den Zeitgeist. Das Gefühl von Einsamkeit hat sich einer Studie des wissenschaftlichen Dienstes der EU-Kommission zufolge nach Ausbruch von COVID-19 verdoppelt und scheint demnach ein Zustand zu sein, den viele Leser*innen nachvollziehen können.

Einsamkeit ist nicht nur für die Anrufenden beim Sorgentelefon von Bedeutung, sondern spielt auch für die sieben Protagonist*innen eine signifikante Rolle, denn alle scheinen auf der Suche nach persönlichen Verbindungen zu sein. Gerade für die Anrufenden sei es, laut Kuckart, von besonderer Bedeutung, dass ihnen zugehört werde, Ratschläge seien hingegen, zumindest ihrer Erfahrung nach, oftmals weniger hilfreich.

Die Einsamkeit führt die Charaktere, sowohl die Mitarbeitenden als auch die Anruferenden, zusammen und so verliebt sich zum Beispiel Matthias in Emilia, während Rieke außerhalb der Telefonseelsorge-Gruppe jemanden findet, der ihr eine Stütze ist.

In Bezug auf die Auseinandersetzung mit der Einsamkeit der Anrufenden betonte Kuckart, dass eine gewisse Leichtigkeit notwendig sei, um gegen die Traurigkeit ankämpfen zu können, denn »es gibt nichts, warum die Menschen nicht anrufen« (Café der Unsichtbaren, S. 15). Dies zeigt sich gleich im ersten Abschnitt, aus dem Kuckart liest. Hier wird Rieke mit einem Anrufer konfrontiert, der ihr seinen Kampf mit Pädophilie offenbart, während die nächste Anruferin von ihrer Arbeitslosigkeit, Armut und drohender Obdachlosigkeit klagt. Die Autorin habe vor allem gelernt, dass die Anrufenden sich jemanden wünschten, der sich ihre Probleme anhöre. Der Schwerpunkt des Romans liegt allerdings nicht bei den Hilfesuchenden. Kuckart wollte deren Probleme nicht in den Fokus stellen, sondern die der ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen. Schlussendlich würde jeder, der bei der Telefonseelsorge arbeite, seine eigenen Mechanismen aufbauen, mit denen die Anrufe und das Erzählte verarbeitet werden können. Bei Kuckart war es der lange Nachhauseweg im Nachtbus, der ihr die Zeit gab, Gehörtes aufzuarbeiten.

Nach drei verschiedenen Leseabschnitten aus dem Roman, die Lust auf mehr machten, konnten die Zuhörer*innen anschließend noch Fragen stellen. Das Publikum bedankte sich bei Judith Kuckart mit starkem Applaus für die spannende und interessante Lesung und der Abend nahm nach einer kleinen Signierstunde ein erfolgreiches Ende.

 

                                                                 Tabea Färber-Schwert

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