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Andrej Kurkow|Samson und das gestohlene Herz 

Diogenese Verlag
432 Seiten
20 Euro
ISBN 978-3-257-07257-0

von Tessa Schäfer

Exakt ein Jahr, nachdem Andrej Kurkow mit Samson und Nadjeschda den Start für eine neue Buchreihe setzte, gibt es mit Samson und das gestohlene Herz schon den zweiten Teil der historischen Kriminalreihe. Der Band knüpft nahtlos an die Geschehnisse des vorherigen Buches an. Milizionär Samson muss im Kiew des Jahres 1919 einen mysteriösen Fall um illegalen Fleischhandel auflösen, der zwar den roten Faden des Buches bildet, in dem Samson aber über die 430 Seiten nicht wirklich weiterkommt und mit dessen Urteil, das die Miliz letzten Endes selbst fällt, er mehr als unzufrieden ist. Bis dorthin werden ihm viele Steine in den Weg gelegt.

Einerseits stehen die zeitgenössischen Probleme im Vordergrund, darunter Hunger, Gewalt, Armut sowie der Mangel an Strom und Holz. Der Versuch, einen unabhängigen Staat zu gründen, ist in der Ukraine gescheitert. Nun herrscht vorerst die Rote Armee in den Straßen Kiews, doch für wie lange, das weiß niemand. Zu viele Gegenpole versuchen das Beste für sich in den Unsicherheiten der Jahre 1919/1920 herauszuholen. Dabei ändern sich die aktuell geltenden Regeln viel zu schnell, als dass hierbei irgendjemand den Überblick behalten könnte. Zum anderen sind da undurchsichtige Kollegen, bei denen Samson sich nie sicher sein kann, auf welcher Seite sie eigentlich stehen.

In die Rolle des jungen Polizisten, in die er im vorherigen Buch eher zufällig geraten ist, hat sich Samson inzwischen gut eingefügt und versucht seine Arbeit sehr ernst zu nehmen. Mit das Wichtigste für ihn ist jedoch die Beziehung zu Nadjeschda. Obwohl er sie erst vor kurzem kennengelernt hat, lebt sie bereits aufgrund der widrigen Umstände in der Wohnung seiner Eltern. Im Verlauf der Handlung muss Samson in einer dramatischen Rettungsaktion Nadjeschda aus den Fängen der Eisenbahner befreien, die sich der neuen Staatsmacht vehement widersetzen. Selbst wenn die neue Staatsmacht in so sympathischer Erscheinungsform wie der jungen Nadjeschda daherkommt. Während der Suchaktion erhält Samson unvorhergesehene Hilfe von chinesischen Rotarmisten. Diese stoßen in Kiew auf Vorbehalte aufgrund ihrer Fremdartigkeit, die sich durch eine unverständliche Sprache und merkwürdig riechendes Essen äußert. Samson begegnet ihnen aber ganz unvoreingenommen, hat er doch nur die Rettung seiner Geliebten vor Augen.

Neben all den realistischen Elementen in Kurkows Roman gibt es dennoch auch ein fantastisches Element, das dem Hauptprotagonisten Samson Fluch und Segen zugleich ist. So hat er direkt zu Beginn des ersten Bandes der Reihe nicht nur seinen Vater durch den Säbel eines Kosaken verloren, sondern auch sein rechtes Ohr. Dieses Ohr ist zwar fortan von ihm abgetrennt, leistet aber dennoch gute Dienste, denn wo auch immer Samson dieses Ohr versteckt, so hört er doch, was in der unmittelbaren Umgebung geschieht und besprochen wird. Zum Fluch wird ihm dies, wenn seine geliebte Nadjeschda auf das Ohr zufällig und unerwartet stößt, zum Segen allerdings, wenn Samson so Details belauschen kann, die er anders nie erfahren hätte.

Kurkow schafft es geschickt, die Wirrungen und Querelen der Anfänge des 20. Jahrhunderts in Kiew in eine interessante und spannende Handlung zu verstricken, die das Erscheinen des nächsten Bandes schon ungeduldig herbeisehnen lässt. Wer jedoch nach einem rasanten Kriminalroman mit viel Action sucht, für den ist Kurkows neue Reihe wahrscheinlich nichts. Protagonist Samson muss sich, realitätsgetreu, durch viele Befragungen hangeln, die nicht immer erfolgreich verlaufen oder den Fall weiterbringen. Es sind eher die zwischenmenschlichen Interaktionen und besonders die historischen Elemente, die diese Reihe so interessant machen.


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