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Teshome Damtew | Der Graf von Motta 

Buchverlag Damtew 2013
300 Seiten
13,80 Euro
ISBN 978-3000421457

von Antonia Graichen  | Download

Äthiopien in den 1970er Jahren: Ben, der Graf von Motta, ist ein Bauer. Er zieht mit seiner kleinen Familie aus seinem Heimatdorf in die Stadt, um seiner schwangeren Frau medizinische Hilfe und seinem Sohn Bildung zu ermöglichen. Dass das Leben in der Stadt keineswegs nur Annehmlichkeiten mit sich bringt und der Kampf gegen die Armut sich dort eher noch schwieriger gestaltet, merkt Ben bald. Doch im Laufe seines Aufenthalts in der Stadt Motta wird aus dem jungen Bauern zunächst ein Steinhauer, dann ein Brunnenbauer und Schatzsucher. Ein Bauer bleibt der Mann, der der neue Graf Mottas werden möchte, trotzdem. Werden Witze gegen Bauern gemacht, will er noch immer am liebsten seinen „gutgeölten“ Knüppel schwingen.

Teshome Damtews Protagonist ist eine Figur, für die man schnell Sympathie empfindet, so fremd dem Leser deren Lebenswelt auch ist. Den ganzen, 300 Seiten umfassenden Roman über erlebt der Leser aus Bens Perspektive eine Geschichte, die die Entwicklung eines Menschen zeigt und dabei Themen wie Freundschaft, Einsamkeit, Identität, Assimilation und Wertvorstellungen anspricht. Zahlreiche Aphorismen, Lebensratschläge und Weisheiten erhält Ben durch die Sprüche seines Freundes und Geschäftspartners, den alle nur „Professor“ nennen, aber auch durch die Redewendungen seiner Familie.

Über die Figur des Professors, der sich des Neulings Ben in der Stadt annimmt und ihm mit seinen Ideen zunächst zu Geld und Ruhm zu verhelfen scheint, schafft Damtew es, seinem Protagonisten eine Kontrastfigur gegenüberzustellen. In den Dialogen und in der Freundschaft der beiden Männer prallen die äthiopische und die europäische Kultur aufeinander, gleichzeitig verbinden sich durch die Pläne des Professors und die harte Arbeit, die Ben leistet, Verstand und Tatkräftigkeit. Ben lernt durch den Umgang mit seinem gebildeten Geschäftspartner sogar die „Solatosprache“ und nimmt immer mehr englische Wörter in seinen Sprachgebrauch auf.

Der Roman spiegelt in seiner Sprache so die Entwicklung des Protagonisten. Aus den einfachen Sätzen Bens, die vor allem Überlebenssorgen thematisieren, werden mit der Zeit komplexere Gedankenspiele. Eine Mischung aus englischen Worten, Redewendungen – auf deren Menge sich der Leser zunächst einstellen muss –, vielen Dialogen und inneren Monologen Bens bestimmt Damtews Duktus.

Die Schilderung der äußeren Welt, der Stadt und der Lebensumstände der Menschen in Motta geschieht in vielen Farben, aber eben nur aus Bens Perspektive, der sich sowohl an die modernen Neuerungen als auch an die Armut in der Stadt gewöhnen muss und bis zum Schluss am Rande der Gesellschaft steht. So bleibt die Stadt dem Leser ein wenig fremd – ebenso wie auch dem Protagonisten: Immer wieder schüttelt Ben, mal ungläubig oder ärgerlich, mal schmunzelnd mit den Worten „Motta, Motta“ den Kopf.

Ben ist nicht der Klügste, das weiß er selbst, und das schmerzt den mitfühlenden Leser manchmal so sehr, dass er den Protagonisten am liebsten in die richtige Richtung stoßen möchte. Neben seiner Ehrlichkeit und seinem Verantwortungsbewusstsein macht Ben aber vor allem auch sein Wissensdrang sympathisch, er hat einen „Durst, der von vornherein nicht so leicht löschbar zu sein“ scheint. Er weiß, und in diesem Wissen scheint ihm bereits sein kleiner Sohn ein mächtiger Mann zu sein, Wissen ist Macht.
Dass ein Buch, als Transportmittel von Wissen und hier auch von impliziter Gesellschaftskritik, nicht nur Macht hat, sondern auch Mächtige sich dadurch bedroht fühlen können, erlebte der Autor Damtew am eigenen Leib. Wegen „Der Graf von Motta“ musste der äthiopische Schriftsteller sein Heimatland verlassen. Erst Jahre später in Deutschland schreibt er den Roman neu.

„Der Graf von Motta“ ist also ein Buch, hinter dem sich noch eine zweite Geschichte verbirgt. Es überzeugt damit nicht in erster Linie durch Spannungsbögen oder die Handlungsstruktur (auch wenn das Ende, soviel sei verraten, doch überraschend ist), sondern vielmehr durch die Thematik, die einerseits zeit- und ortsungebunden scheint, andererseits aber durch die authentische Erzählweise in eine völlig fremde Lebenswelt entführt.

Zum Autor:
Teshome Damtew verließ sein Heimatland Äthiopien, nachdem ein Mitarbeiter der Staatszensur auf die Einreichung seines Romans Der Graf von Motta mit den Worten „Du verschwindest freiwillig oder unfreiwillig“ reagiert hatte, und suchte 1991 um Asyl in Deutschland an. Er studierte an der Justus-Liebig-Universität Gießen und lebt heute in Lahnau.


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