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Uljana Wolf | falsche freunde 

Gedichte
kookbooks 2009
85 Seiten
19.90 Euro
ISBN 978-3937445380

von Daniel Randau | Download

Uljana Wolfs zweiter Gedichtband thematisiert die Tücken der Übersetzung. Zwischen Deutschland und Amerika als Heimats- oder Sehnsuchtsorten, Fern- und Heimweh präsentiert sich das schmale Bändchen als Kommentar zur identitätsstiftenden Funktion der Sprache. Englischkenntnisse werden beim Leser vorausgesetzt; wer über das Niveau „sänk ju for träwelling“ nicht hinauskommt, wird schwerlich viel Freude an diesem Bändchen haben – und damit den Beweis erbringen, daß Wolfs Konzept ein durchaus stimmiges, ihr Thema relevant und aussagekräftig bearbeitet ist.

Auf die herkömmliche graphische Markierung von Versen, den linksbündigen Zeilenstil, verzichtet Wolf zugunsten knapper Texte in Blocksatz; auf den schmalen Seiten bleibt so viel Raum für andere graphische Spielereien, Experimente mit unterschiedlichen Schriftgrößen und -arten, schematische Anordnungen und Diagramme. Bei einem Vortrag der Gedichte bleiben diese Elemente der Texte freilich auf der Strecke; in diesem Sinne ist falsche freunde eher ein unillustriertes Bilderbuch als eine Sammlung lyrischer Texte.

Gegliedert ist das Werk in drei Kapitel, denen ein knapper, aber aussagekräftiger Text voransteht, der durchaus alle Anforderungen einer Exposition erfüllt; den Schluß bildet eine einzelne, völlig unergiebige, durch kryptisch prätentiöse Eitelkeit verärgernde Seite mit Anmerkungen.

Der erste Teil, der den Löwenanteil des Büchleins für sich beansprucht, ist den falschen Freunden gewidmet, den vermeintlichen Verwandtschaftsbeziehungen zwischen ähnlich klingenden Wörtern unterschiedlicher Sprachen. Mit verblüffender semiotischer Findigkeit etabliert Wolf aberwitzige Beziehungen zwischen so unterschiedlichen Morphemen wie „kau“ und cow, die, einmal auf ihre phonetische Erscheinungsform (oder, genauer, ihre Erschallungsform) reduziert, nicht zu unterscheiden sind. Diese Reduktion von Sprache auf ihre Lautlichkeit – unterstützt durch den konsequenten Verzicht auf Satzzeichen oder Groß- und Kleinschreibung – gestattet lustvolles lautes Lesen und ermöglicht ein reizvolles Spiel mit den dadurch aufgeworfenen semantischen Ebenen, eignet sich aber nicht für ausgefeilte Bedeutungshuberei: Die den jeweiligen Texten vorangestellten Schemata, die eine Relation zwischen den verwendeten Homophonen implizieren sollen, sind schwerlich ernst zu nehmen; ebensowenig können die Texte selbst eine wirklich stringente Semantik offerieren. Ein kurzes Tändeln mit dem gefundenen Phänomen, wenns hochkommt eine – bisweilen urkomische – Pointe, Danke, weiterblättern. Hier sind nicht nur Englischkenntnisse, sondern auch eine passable englische Aussprache gefragt (wer weiß aus dem Stehgreif, was im Englischen qualm bedeutet, und wie man es ausspricht?) und darüber hinaus die Fähigkeit zu schnellem Registerwechsel auf akustischer und semantischer Ebene. Unkonzentrierten Lesern oder solchen auf der Suche nach zerstreuender Lektüre sei eine spärliche Dosierung dieses Kapitels bei wiederholter Einnahme ans Herz gelegt.

Das zweite Kapitel, subsisters, präsentiert sieben kurze Texte in jeweils zwei Versionen, einem „Original“ und einem „Original mit Untertiteln“. Durch pointierte Veränderungen einzelner Wörter oder syntaktischer Zuordnungen entstehen drastische Bedeutungsänderungen, alle angesiedelt auf einem Metaphernfeld von Hollywoods Traumfabrik aus Schwarzweiß-Zeiten. Wer auf diesem ge4biet bewandert ist, mag die Texte mit Gewinn lesen, allen Übrigen bleibt eine Auseinandersetzung mit dem weiten Feld von Bedeutungsnuancen, die schon in kleinsten Abweichungen einer Übersetzung vom Original Platz finden. Wem dieses nicht gerade originelle Thema bereits wohlvertraut ist, wird das kleine Kapitel schnell durchblättern.

Im letzten Teil des Bändchens vollzieht Wolf einen semantischen Schritt vom sprachlichen Übersetzen zum physikalischen Übersetzen, zum Überqueren eines Gewässers. Eine Liste körperlicher Symptome, mittels derer Sanitäter auf Ellis Island die Einwanderer auf Geisteskrankheit prüften, wird zum Inhaltsverzeichnis einer Reihe wiederum sehr kurzer Texte aus der Sicht der Immigranten zu ihren jeweiligen Körperteilen. Konsequent wird diese biologische Zergliederung im letzten Teil weitergeführt. Komplexe Schachtelsätze voll syntaktischer Ambiguitäten werden solcherart in einzelne Worte zerlegt und über die Seite verstreut, daß der verblüffende Eindruck entsteht, ein imaginärer und viel umfangreicherer Text sei durch Zensur und Ausradierung zu einer aleatorischen Aussage reduziert worden. Reduktion und Ausradierung als sinnstiftendes Element einer Rekonstruktion, einer Zerlegung nicht aufs Wesentliche, sondern auf das, was rentablerweise lesbar bleiben darf: Ein ergiebiger Umgang mit den Konventionen graphischer Verserzeugung, der sich darüber hinaus zu der Abwicklung der „Aliens“ auf treffliche Weise fügt, allerdings auf Kosten des Textumfangs. Neun Sätze auf ebenso vielen Seiten zu verteilen, kann von kritischen Konsumenten auch als Seitenschinderei mißverstanden werden. Bei aller Prägnanz und Aussagefähigkeit der graphischen Eigenarten, mit denen das Bändchen prangt, muß erwähnt werden, daß die Zeichenmenge insgesamt ein wenig zu kurz kommt. Sicherlich kein geeignetes Kriterium, die Güte des Inhalts zu bewerten – dennoch: Es dürfte ein wenig mehr sein. Knapp 20 Euro für deutlich weniger als hundert unterm Strich spärlich bedruckte Seiten ist ein reichlich stolzer Preis.

(von Daniel Randau)


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