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Sabine Peters | Narrengarten 

Wallstein 2013
237 Seiten
19,90 Euro
ISBN 978-3-8353-1345-3

von Kathy Gareis | Download

„Es wachsen Narren unbegossen, lasst mich bloß nach Haus.“

Sabine Peters erzählt in ihrem Roman Narrengarten kurze, eindrückliche Geschichten aus unserer heutigen Gesellschaft. 28 Personen werden in 26 Geschichten vorgestellt, von einem „Unbehausten“ bis zur gutbetuchten Dame aus der Mittelschicht ist alles vertreten. Zunächst mag einen die Beschreibung „Roman“ verwirren, da das Buch aus einzelnen Kurzgeschichten mit je einem eigenen Titel zu bestehen scheint. Am Ende ist dem Leser jedoch klar: Die einzelnen Episoden können zwar für sich stehen, gehören aber trotzdem auf besondere Art und Weise zusammen. Denn nach jeder einzelnen Geschichte bleibt man mit Fragen zurück, die dann oftmals in einer der folgenden aufgeklärt werden. Die Figuren begegnen sich teilweise flüchtig im Vorbeigehen auf der Straße, ein kurzes Registrieren des Gegenübers und weiter geht’s. Dann gibt es aber auch wieder sehr enge Verknüpfungen: Es geht um Familienbande und Freundschaft.

Alle Geschichten spielen in Hamburg und Umgebung. Der Roman beginnt mit Gerlinde, um die 60 Jahre alt, Bibliothekarin. Sie beobachtet die Menschen, die zu ihr in die Bücherhalle kommen und wieder gehen, macht sich Gedanken, auch über ihr eigenes Leben. Dann ist da „Die Heimat“, eine Geschichte, in der Sabine Peters besonders feinfühlig die Sehnsucht einer Frau nach ihrem verstorbenen Mann beschreibt. Der Narrengarten zeigt einen Querschnitt unserer Gesellschaft, es geht um langjährige Ehen, die nicht mehr das sind, was sie einmal waren, um Geschwisterbeziehungen, die eigentlich nur ein Tauschgeschäft sind. Der Leser erhält einen tiefen Einblick in die Gedankenwelten von alleinerziehenden Müttern, Psychotherapeuten, pflegebedürftigen alten Damen, Obdachlosen, Ruheständlern, pubertierenden Jugendlichen und stolzen Rössern. Was mache ich aus meinem Leben? Alle Figuren kreisen um diese Frage und alle suchen auf ihre eigene Weisen nach der Antwort. Die einsame alte Frau Kaiser, die mal einen Vornamen hatte, die 18-jährige Insa, die ihre Antwort in der virtuellen Welt zu finden glaubt, sowie Heiko, der seine Frau mit einer schönen Fremden betrügt und sich quasi ein zweites Leben aufbaut. Die Künstlerin Lino fühlt sich als eine Außenseiterin da und dort und Elena aus Kasachstan hat das Gefühl, ihre Tochter mehr und mehr zu verlieren. Sabine Peters schafft es, jede einzelne Figur, ihre Besonderheit und Eigenart für den Leser feinfühlig nachzuzeichnen. „Jeder Mensch hat einen Heimweg“ – konstatiert der Obdachlose Fritz, aber ob auch jeder seinen Heimweg findet, ist fraglich.

Die Liebe zu Büchern spielt in Narrengarten eine große Rolle. Rupert war Schriftsteller, Frau Kaiser war so wie Gerlinde Bibliothekarin und sie gibt dem Leser einen Ratschlag mit auf den Weg: „Handarbeiten verderben die Augen. Besser, man ruiniert sie sich mit Lesen.“ Außerdem sind im Roman viele intertextuelle Anspielungen auf Märchen zu finden, die Figuren ziehen Vergleiche zwischen ihrem Leben und dem von Aschenputtel, Schneewittchen, Hänsel und Gretel oder Rapunzel. Flüchten sie sich in die Märchenwelt, um sich nicht mit ihren eigenen Problemen beschäftigen zu müssen? Oder hoffen sie dort auf Antworten?

In Anspielung auf den Titel des Romans findet man in jeder Geschichte in irgendeiner Form das Wort „Narr“ eingebaut: Die Figuren setzen sich die „Narrenkappe“ auf, sprechen über „Narrenhände“, „Narrheiten“ oder die heitere „Narrenbande“. Sie haben in manchen Dingen „Narrenfreiheit“ und fühlen sich oftmals „genarrt“, wie im „Narrengarten“ oder im „Narrenhaus“.

Sabine Peters zeichnet mit Hilfe ihrer poetischen Sprache ein vielfältiges, detailreiches Bild der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Einfühlsam beschreibt sie die Schnelllebigkeit, die Unsicherheit und die Unbeständigkeit, die heutzutage herrscht. Für jede Figur findet sie einen eigenen, besonderen Ton und lässt sie so in ihrer ganz eigenen Sprache sprechen. Man kann resümieren: Sie gibt unserer Gesellschaft eine Stimme.

Über die Autorin
Sabine Peters, geb. 1961, studierte Literaturwissenschaft, Politikwissenschaft und Philosophie in Hamburg. Nach einigen Jahren im Rheiderland lebt sie seit 2004 wieder in Hamburg. Neben Romanen, Erzählungen, Hörspielen schreibt Sabine Peters auch Essays und Kritiken. Sie wurde ausgezeichnet u.a. mit dem Ernst-Willner-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, dem Clemens-Brentano-Preis, dem Evangelischen Buchpreis und dem Georg-K.-Glaser-Preis.


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