Kurzprosa
Voland & Quist 2010
176 Seiten
14.90 Euro
ISBN 978-3938424520
von Michael Weise | Download
Ein Kosmonaut des Alltags
Das neueste Werk des Berliner Lesebühnenautors Jochen Schmidt ist ein kunterbunter Erzählungsband, der vielfältige Einblicke in den weiten Kosmos seines literarischen Schaffens gewährt. Dieser erstreckt sich von lyrischen Fingerübungen über kurze graphic novels bis ins Zentrum von Schmidts Schaffen – komische Kurzgeschichten, die fast immer von der Spannung zwischen existenzieller Traurigkeit und pointierter Komik leben. Neben dieser Konstante in Schmidts Œuvre findet sich auch auf anderen Ebenen bereits Bekanntes aus dem Universum seiner Kurzprosa. Immer wieder tauchen in Weltall. Erde. Mensch. vertraute Figuren aus seinen früheren Erzählungen auf, beispielsweise das Ehepaar Tatziet, das im Oderbruch lebt und den Erzähler zu Rückblicken auf das Leben in der damals untergehenden DDR inspiriert. Andere Geschichten hingegen stehen in der Tradition seines erfolgreichen Kurzgeschichtenbands Meine wichtigsten Körperfunktionen, in dem der Autor tragikomische Selbstbeschreibungen seiner Neurosen und Ängste präsentiert. Mein Gehen, Meine Unpünktlichkeit und Meine Todesängste stehen in dieser Tradition und variieren das immer wiederkehrende Motiv des Außenseiters, dem insbesondere in der Liebe kein dauerhaftes Glück beschieden ist. Das liegt vor allem daran, dass er seine außergewöhnlichen Fähigkeiten, z.B. seine herausragende Begabung zum Gehen, nur privat, nicht aber vor anderen Menschen zeigen kann: „Was mir allein selbstverständlich gelang, vollendetes, interesseloses, virtuos auf der Klaviatur spielendes Gehen, war unter den Blicken bestimmter Menschen nicht mehr möglich“. Das Motiv des Scheiterns ist omnipräsent. Nicht einmal eine vom Erzähler veranstaltete Party läuft nach Plan. Es kommen zwar Gäste, aber sie interessieren sich nicht im Geringsten für seine künstlerischen Darbietungen, ja sie erkennen ihn nicht mal als Gastgeber, stattdessen verwüsten sie nur seine Wohnung und zischen dann ab, sobald sie ihr Werk vollendet haben. Diese Formen der sozialen Exklusion führen dazu, dass die verschiedenen Erzählerfiguren ihre Umwelt wie Außerirdische beobachten, was eine sehr distanzierte und zugleich komische Erzählweise mit sich bringt. Diese Perspektive verbindet die an sich sehr unterschiedlichen Geschichten und ermöglichen es dem Leser, einen alternativen Blick auf den beschriebenen Alltag zu gewinnen. Exemplarisch verdeutlichen lässt sich dies an der Kurzgeschichte Geschäftsleben, in welcher der Ich-Erzähler verschiedene Firmen gründet, von denen eine ihren Profit damit macht, Produkte nicht herzustellen, eine andere hingegen über eine derart egalitäre Mitarbeiterstruktur verfügt, dass keiner mehr weiß, wer eigentlich Chef ist, sodass es ganz im Ermessen des Einzelnen liegt, wo er sich selbst verortet. Man merkt Schmidts Texten immer wieder an, dass sie auf den Punkt geschrieben sind und am besten vorgetragen wirken. Daher ist es umso erfreulicher, dass der Voland & Quist-Verlag dem Buch, mittlerweile schon fast traditionell, eine Audio-CD beigelegt hat. Ebenso erfreulich ist die Tatsache, dass in Weltall. Erde. Mensch endlich Schmidts Beitrag zum Bachmannwettbewerb 2007 veröffentlicht wird, bei dem er unverständlicherweise leer ausging. Der Text, dem das Buch den Titel verdankt, handelt von einem Kosmonauten, der sich nicht nur räumlich von der Erde entfernt, sondern auch zunehmend das Interesse am Kontakt mit der Bodenstation und schlussendlich an der Welt selbst verliert. Auch wenn Schmidt-Kenner beim Lesen einige schon an anderer Stelle veröffentlichte Texte entdecken werden, lohnt sich dieses Buch, aufgrund der vielen kleinen Perlen komischer Schreibkunst, die Schmidt hier präsentiert.
(von Michael Weise)