Neue Zwiegespräche mit Gott
Voland & Quist 2011
128 Seiten
14.90 Euro
ISBN: 978-3938424414
Was war eigentlich morgen
Voland & Quist 2008
159 Seiten
13,90 Euro
ISBN: 978-3938424254
von Lars Meuser | Download
Seit einigen Jahren erlebt das mutmaßlich so neue Genre der performativen Literatur einen wahren Höhenflug: Die Reformbühne Heim & Welt, die Surfpoeten oder auch die Chaussee der Enthusiasten ziehen wöchentlich wahre Zuschauermassen in Berliner Szene-Lokale, wo sich das Publikum bei Wein, Bier und fair gehandeltem Latte Macchiato (aber bitte mit Sojamilch) an immer neuen Texten der jeweiligen Teilnehmer erfreuen kann. Und wenn die wider Erwarten nicht zu zünden wissen, feiern die anwesenden Berlin-Mitte-Hipster einfach sich selbst, weil sie den Trend nicht verschlafen haben.
Ahne, um dessen Werke es hier gehen soll, hat sich schon auf einigen Lesebühnen präsentiert, gehört gewissermaßen zu den alten Damen und Herren der Szene und wird von seinem Verlag als „einer der bekanntesten Lesebühnenautoren der Welt“ vorgestellt. Im Netz kursieren einige Videoclips von ihm: Er, auf einer Bühne stehend, in der Hand ein Buch, und in seiner Fred-Perry-geschwängerten Ästhetik viel stärker an den hintersten Westerwald erinnernd als an einen Vater dreier Kinder und Partner einer Frau, die zusammen gerne und ganz bieder in Schweden urlauben. Er gibt seine Texte zum Besten, vornehmlich mit Berliner Schnauze vorgetragene Dispute mit einem Herrn namens Gott. Thematisch drehen sich diese um selbigen und um den Rest der Welt. Dabei steht er, je nachdem, wer gerade spricht, mal links, mal rechts vom Mikro. Das ist lustig anzuschauen und weckt freudige Erwartungen beim Rezensenten, als der Was war eigentlich morgen und Neue Zwiegespräche mit Gott“ in die Hände gedrückt bekommt.
Mit erstgenanntem Band liegen seit nunmehr zwei Jahren ausgewählte Kurzprosastücke von Ahne vor, die z.T. mit skurrilen Strichzeichnungen versehen sind. Darin äußert der sich zu eigentlich jedem Thema, das ihn betrifft oder irgendwann mal betroffen hat: Ahne in einer Talkshow, Ahne wird ein amouröses Angebot per E-Mail gemacht, Ahne spielt Fußball mit Falko und anderen Autoren, Ahne sucht seinen Rucksack, Ahne will durch die Zeit reisen und seine Armbanduhr in einer Sauna suchen, Ahne usw. Weapon of choice des Surfpoeten für diese kurzprosaischen Versatzstücke ist das Abschweifen, das vornehmlich dazu dient, einen meistens durchaus gelungenen, wenn auch abstrusen Wortwitz zu platzieren oder absurd anmutende Bilder beim Leser zu beschwören. Eigentlich immer führt das aber auch dazu, dass man am Ende überhaupt nicht mehr weiß, was Ahne am Anfang eigentlich noch wollte – eben dies scheint der aber auch zu wollen. Oder will er damit bloß kaschieren, dass er partout nicht auf den Punkt schreiben kann? Manchmal durchbricht der Berliner das gewohnte Schema aber auch und erzählt eine Geschichte mit nahezu stringentem Handlungsverlauf. Das sind dann auch die stärksten Momente in diesem Erzählband: Dazu gehören allen voran die unterhaltsamen Reiseberichte von Ahne gemeinsam mit seinen anderen Saufpoeten in die brandenburgische Provinz oder zum G8-Gipfel nach Rostock. Und vor allem Abschied lässt etwas von der literarischen Finesse aufblitzen, die Ahne vornehmlich auf der Bühne auszeichnet. Hier geht es um Trauerarbeit, die in einer Berliner Kneipe zwischen Pils und Tofugulasch, zwischen der verzweifelten Wut auf alles und jeden und der Trauer um den alten Freund Michael Stein – Mitbegründer des Benno-Ohnesorg-Theaters, der Reformbühne Heim & Welt sowie der Surfpoeten – geleistet werden muss. Gerade in seiner Einfachheit ist dieser Text unglaublich treffsicher geschrieben und zutiefst berührend.
Bleiben noch die „Zwiegespräche“ mit dem Allmächtigen. Diese entwickeln durch die Dialogform eine stärkere Dynamik als so manches von Ahnes Kurzprosa. Er schweift zwar auch hier ab, und das zuhauf. Durch seinen Gesprächspartner geraten die Dispute aber ungleich kurzweiliger und pointierter als die prosaischen Ausflüge. Einzig zu bemängeln ist, dass sie komplett in Berliner Schnauze abgefasst und dadurch von den meisten Lesern – zumindest anfangs – wahrscheinlich nur schwer zu verstehen sind. Ob da ein Doktor der Varietätenlinguistik oder eine Ex-Berliner Mitbewohnerin von Vorteil wäre? Sei’s drum, denn an das ungewohnte Lautbild gewöhnt man sich dann doch recht schnell und es wird noch überaus amüsant mit dem bierseligen Berliner.
Und wem die Ahne-Clips bei Youtube nicht reichen, dem sei mitgegeben, dass viele Texte der beiden Bände und einige neue jeweils auf einer CD beiliegen. So kann man andere für sich berlinern lassen und den verzwirbelten Handlungsfäden um einiges entspannter folgen, auch wenn eine Lese-DVD hier sicher ein noch größerer Zugewinn gewesen wäre.
(von Lars Meuser)
Zum Autor
Ahne, mit bürgerl. Namen Arne Seidel, ist eigentlich gelernter Offset-Drucker und war zeitweise Arbeitsloser, Hausbesetzer, Stammmitglied der Reformbühne Heim & Welt sowie der Surfpoeten und ist noch immer Familienvater. Seine Zwiegespräche mit Gott (2007) haben es nicht nur auf Youtube, sondern auch ins Programm von Radio Eins geschafft. Neben Zwiegespräche mit Gott ist Ahne vor allem mit Erzählbanden wie Ich fang noch mal von vorne an (2003) und Wie ich einmal die Welt rettete (2001) bekannt geworden.