NordSüd Verlag 2016
56 Seiten
16.99 Euro
ISBN: 978-3-314-10338-4
Ab 4 Jahren
von Yvonne Castrup-Joeres | Download
Der Drehbuchautor, Schauspieler und Regisseur Jacques Tati (1907-1982) gilt nicht nur unter französischen Cineasten als Legende, auch über die Grenzen seines Landes hinaus schrieb er mit seiner bekanntesten Figur, Monsieur Hulot, Filmgeschichte. In insgesamt vier Filmen hat Tati zwischen 1953 und 1971 sein Alter Ego auf die Leinwand geschickt und das Publikum begeistert. Tatsächlich erinnern seine Filme dabei an mit Hintergrundgeräuschen unterlegte Bildergeschichten: Mit wenigen Worten, dafür einem scharfen Blick fürs Detail, viel Gefühl für Stimmungen und jeder Menge Charme hat Tati einen Antihelden geschaffen, der trotz guter Absichten immer wieder die unglücklichsten Verwicklungen heraufbeschwört. Hulot, dargestellt von Tati selbst, ist zu einer Kultfigur geworden, durch seine schlaksige Gestalt, seinen Hut und die Pfeife bereits unverwechselbar in der Silhouette und dabei unnachahmlich in seiner liebenswerten Tollpatschigkeit.
David Merveille, ein belgischer Illustrator, ehrte Hulot schon in zwei früheren Büchern, Le Jacquot de Monsieur Hulot (Éditions du Rouergue, 2006) und Hello Monsieur Hulot (Éditions du Rouergue, 2010; Hallo Monsieur Hulot, NordSüd 2013). Auch eine eigene Ausstellung hat Merveilles Monsieur Hulot bereits bekommen, der Katalog zur Ausstellung erschien 2012 (Éditions du Rouergue, Monsieur Hulot s’expose). In seinem aktuellen Buch, Monsieur Hulot am Strand (Éditions du Rouergue, Monsieur Hulot à la plage, 2015), das in der deutschen Version 2016 im NordSüd-Verlag erschien, schickt Merveille seinen Monsieur Hulot in den Strandurlaub – und wer Tatis ersten Hulot-Film gesehen hat, erkennt dabei in Merveilles Kulisse sofort den Strand von Saint-Marc-sur-Mer, eben jenen Strand, an dem auch Tati seinen Protagonisten 1953 Ferien machen ließ. Welchen Eindruck Hulot in dem kleinen bretonischen Badeort hinterlassen hat, lässt sich unschwer an der Tatsache erkennen, dass der Strand von Saint-Marc-sur-Mer mittlerweile offiziell ‚la plage de Monsieur Hulot‘ getauft wurde, ‚der Strand des Monsieur Hulot‘.
Nun ist Monsieur Hulot zurückgekehrt. Merveille imitiert aber nicht plump die Handlung von Tatis Film, er fühlt sich in Film und Figur ein und kreiert eigene Szenen, die nicht in Tatis Film vorkommen, wohl aber vorkommen könnten und die dabei immer wieder bestimmte Details von Tati aufnehmen. Dabei kommt auch Merveille ohne Dialoge aus und hält im Gegensatz zu den oft allzu bunten Bilderbüchern der heutigen Zeit seine Bildergeschichte beinahe vollkommen in Grautönen – ganz im Sinne des zwar zunächst in Farbe gedrehten, letztlich aber in schwarz-weiß veröffentlichten Originals. Wer Tatis Monsieur Hulot liebt, wird begeistert sein, denn Merveilles Hulot ist nicht etwa ein fader Abklatsch einer in die Jahre gekommenen Filmfigur, die für ein Kinderbuch rekrutiert wurde.
Merveilles Hulot ist eine Hommage an Tatis Original und wird somit Hulot-Fans gleichermaßen verzaubern wie Kinder, die weder Hulot noch Tati kennen, die aber einen unnachahmlichen Sinn für Situationskomik haben und oftmals reduzierte und klar konturierte Bilder einem Überangebot an Wimmelbildern vorziehen. Schon Umschlag und Vorsatz sind liebevoll gestaltet und ganz in Hulot’scher Manier gehalten. Das Titelblatt dann schubst den Leser mitten hinein in die Stimmung, die Tati einst schuf: Der Blick des Monsieur Hulot aus dem Dachfenster seines Zimmers im ‚Hôtel de la plage‘, eine Szene, die tatsächlich genauso in Tatis Les vacances de Monsieur Hulot zu sehen ist. So stellt Merveilles Buch ein echtes Juwel im Kinderbuchregal dar, das nicht nur frankophile Eltern schätzen werden.
David Merveille (geb. 1968 in Brüssel) arbeitet als Illustrator für Kinderbuchverlage, Werbung und Presse. Er sagt von sich selbst, er habe sich 2004 mit dem Hulot-Virus angesteckt, woraufhin seine Arbeiten zu Hulot entstanden.
(Yvonne Castrup-Joeres)