Rosemarie von Erich Kuby. Frankfurt liest ein Buch – Gießen liest mit 

Roman Kurtz und Marina GustRoman Kurtz und Marina Gust

Dienstag, 27.10.2020 – 19:30 Uhr

KiZ (Kongresshalle)
Südanlage 3a
35390 Gießen

 

Gästebuch | GAZ

Moderation: Marina Gust (LZG | hr)
Lesung: Roman Kurtz (Stadttheater Gießen)

Rosemarie Nitribitt führte ein ebenso kurzes wie skandalöses Leben, aber in Erinnerung geblieben ist vor allem ihr Tod. Die Frankfurter Edelprostituierte wurde im Jahr 1957 mit 24 Jahren ermordet. Wegen ihrer Verbindungen zu Männern in bedeutenden Positionen ranken sich bis heute allerlei Mythen und Theorien um ihren Tod.

Dazu beigetragen hat unter anderem Erich Kuby, der in seinem Roman Rosemarie seine ganz eigene Version ihres Lebens und ihres Todes spann. Im Rahmen von »Frankfurt liest ein Buch« wurde Rosemarie, das dieses Jahr vom Verlag Schöffling und Co. neu aufgelegt wurde, im KiZ vorgestellt. Roman Kurtz vom Gießener Stadttheater las einige Passagen vor, während die Moderatorin Marina Gust das Buch und die reale Person Rosemarie Nitribitt in ihren zeitlichen Kontext einordnete. Da das Thema nach Rosemaries Tod so oft verarbeitet wurde, kann es schwer werden, die Geschichten von den tatsächlichen Ereignissen zu trennen. Am Dienstagabend, den 27.10., wurden diese beiden Seiten im KiZ für die Zuhörer*innen aufgedröselt und doch verbunden. In abwechselnden Etappen von Lesung und historischem Kontext wurde deutlich, wo sich Erich Kuby an den Tatsachen orientierte und an welchen Stellen er seine eigenen Theorien strickte.

Interesse scheint das Thema besonders bei Frauen zu wecken. Das Publikum ist fast gänzlich weiblich und zum ersten Mal im Coronajahr die ganze Zeit hinter Masken verborgen. Die etwas gedrückte Stimmung passt zum Thema, denn Rosemarie Nitribitts Leben war nicht nur rosig. Als Tochter einer Prostituierten geboren, früh in eine Pflegefamilie gegeben und mit elf Jahren vergewaltigt, begann ihr Leben so dramatisch, wie es endete. Schon als Heranwachsende prostituierte sie sich, rannte immer wieder fort und wurde schließlich von den Behörden frühzeitig für volljährig erklärt. Danach kam sie nach Frankfurt und arbeitete auch dort als Prostituierte.

An dieser Stelle setzt Erich Kuby mit seinem Roman an. Genauer gesagt an dem Tag, an dem Harold Hartog Rosemarie trifft. Hartog ist Mitglied des sogenannten »Isoliermattenkartells«, einer Gruppe von sieben Männern, die sich ganz sicher nicht mit Isoliermatten beschäftigen. Kuby verwebt an dieser Stelle zeitgeschichtliche Themen wie den Kalten Krieg, den Rüstwettbewerb und den Aufstieg der Atommächte mit Rosemaries Leben. In seinem Roman ist das »Isoliermattenkartell«, das ganz Kubys Phantasie entsprungen ist, in die Produktion von Atomwaffen verwickelt. Bei ihm stirbt Rosemarie, weil sie sich überzeugen lässt, Industriespionage zu betreiben und weil sie irgendwann zu viel weiß.

Bis heute ist nicht klar, ob irgendetwas davon stimmt. Der wahrscheinlichste Grund für ihren Tod ist ernüchternd: Ein Kleinkrimineller, den sie kannte, soll sie erwürgt und ausgeraubt haben, um seine Schulden zu begleichen. Bewiesen werden kann das nicht. Schuld daran sind vor allem etliche Versäumnisse der Polizei, die die Gerüchte um Rosemaries Tod zusätzlich anheizten.

Immer wieder finden sich im Roman Tatsachen, wie das Tonaufnahmegerät, das in Rosemaries Wohnung gefunden wurde. Kuby nutzt diese Details geschickt, um seine eigene Vorstellung darauf aufzubauen. Dabei erkundet er nicht nur die Umstände von Rosemaries Tod und den Weg, der dorthin führte, sondern auch ihren Charakter. Für Kuby war Rosemarie anscheinend eine Frau, die ganz auf sich selbst bezogen lebte und dachte. So kann sie sich nur Dinge merken, die für sie von unmittelbarem Interesse sind, und verstrickt sich aus Gier in Geschäfte, die sie am Ende das Leben kosten. Der Gefahr gegenüber ist sie blind, denn Rosemarie ist getrieben von Gier und Stolz, aber auch von ihrer Liebe zu Harold Hartdog. Kuby gelingt es, ihren Charakter facettenreich zu zeichnen, ihren Weg von dem armen Mädchen zu einer Frau, die es trotz ihrer Herkunft fast schafft, sich der High Society anzuschließen. Dafür ist sie bereit, sich anzupassen, belegt Benimm- und Sprachkurse, kleidet sich neu ein und spielt geschickt mit ihrem eigenen Image. Kuby zeigt aber auch ihre berechnende Seite, ihre Art, Männer als »Fische« zu bezeichnen und ihre Bereitwilligkeit, sie für Geld auszuspionieren.

Ein Urteil über die echte Rosemarie Nitribitt zu fällen ist schwierig. Heute ist sie vor allem bekannt für ihren schicken Opel mit roten Ledersitzen, mit dem sie durch Frankfurt fuhr, und die Umstände ihres Todes. Sicher ist, dass sie ein faszinierender Mensch mit einem Leben war, über das es sich noch heute zu sprechen und lesen lohnt, selbst wenn die Gründe hinter ihrer Ermordung ungeklärt bleiben.

 

(Ronja Wolf)


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