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Mercedes Spannagel | Das Palais muss brennen 

Kiepenheuer & Witsch 2020
189 Seiten
18 Euro

ISBN 978-3-462-05509-2

von Isabelle Otto | Download

Luise ist die Tochter von Österreichs rechtskonservativer Bundespräsidentin. Schön und gut, möchte man meinen, da hat Luise es wahrscheinlich nicht leicht. Und das hat es Luise tatsächlich nicht – denn sie ist eine junge Frau, die ihren Mops Marx genannt und das Teezimmer im titelgebenden Palais, dem Wohnsitz der Bundespräsidentin und ihrer Familie, einfach mal so mit Artikeln über Verbrechen der chinesischen Regierung zugekleistert hat. Über sich selber sagt Luise: »Ich hatte früh eine Abscheu in mir. Ich hatte früh Revolution in mir. Ich war antiautoritär verwahrlost. Ich war verwöhnt. Ich war schwierig, von Anfang an.« Und damit bringt sie ihren eigenen Charakter – und damit zwangsläufig einhergehend auch das Verhältnis zu ihrer Mutter – auf den Punkt.

So wenig Luise mit der Bundespräsidentin und ihrer »türkisen« Partei anfangen kann, so wichtig sind ihr gleichzeitig doch ihre Freunde. Da ist ihr Immer-mal-wieder-Ex-oder-doch-Geliebter Jo mit einer Vorliebe für Marihuana und Stalin. Da ist Lili, nie um einen Konter verlegen, wenn Luise mit ihrer doch recht unverblümten Art mal wieder über die Stränge schlägt. Da ist Theodor Thies, liebevoll TT genannt, dessen Vater ebenfalls rechtskonservativ ist und der deswegen wohl ein besonderes Verständnis für Luises Situation besitzt. Und nicht zuletzt ist da Yara, Luises Schwester, die heimlich ihr Kunststudium abgebrochen hat und nun als Tattoo-Artist arbeitet. Zusammen ziehen die Freunde durch das Wiener Nachtleben, lassen wenig aus, was Drogenkonsum anbelangt, haben Sex (natürlich auch miteinander) und überlegen, wie sie das Regime der Bundespräsidentin (die von Luise zumeist auch genau so genannt wird) untergraben können. Geplant war da eigentlich eine Kunstaktion auf dem Wiener Opernball, doch es kommt alles anders: Yara, die mit ihrem Liebhaber eigentlich einen Porno drehen wollte und dafür im türkisfarbenen Zimmer des Palais eine versteckte Kamera aufgestellt hatte, filmte unwissentlich danach gleich noch ein geheimes Gespräch ihrer Mutter mit, die mit TTs Vater in eine Korruptionsaffäre verwickelt ist. Durch eine Verkettung (un)glücklicher Umstände wird besagter Videobeweis während des Opernballs öffentlich abgespielt. Die Bundespräsidentin wird im Zuge dessen vom Parlament abgesetzt. Aber bloß nicht zu früh freuen: Die tatsächliche Katharsis bleibt aus und ein bitterer Nachgeschmack bleibt, erhält sie doch am Ende ein veritables Jobangebot aus Russland - »Irgendwas mit Öl oder Krieg«.

Mercedes Spannagel präsentiert hier eine durchaus interessante Mischung aus »bitterbösem Sprachwitz«, wie der Klappentext zu Recht verkündet, Zynismus, Provokation. Kein Tabu wird ausgelassen, es geht explizit um Sex und Konsum diverser Drogen. Die Art des Erzählens stellt in der Hinsicht ein stilistisches Experiment dar, weil die Autorin komplett auf An- und Abführungszeichen verzichtet hat obwohl der Text  sehr viel direkte Rede enthält. Dieses Stilelement führt interessanterweise trotzdem zu einer Unmittelbarkeit. Die einzelnen Szenen scheinen oft etwas aneinandergereiht, tatsächlich mag man auf den ersten Blick gar Kohärenz vermissen; dieser Stil führt aber bei näherer Betrachtung umso mehr zu einem genauen Abbild des echten Lebens, wobei der sog. rote Faden nicht unbedingt stringent deutlich wird.

Vielleicht sind es aber genau die Ungereimtheiten des stilistischen Experiments, die die inhaltlichen Schwächen des Buches umso mehr betonen: Luise versucht zwar mit allen Mitteln, sich von ihrer Mutter abzugrenzen, wirkt dabei jedoch oft nur verzogen und naiv. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sie ihren Mops nach dem Vater der Kapitalismuskritik benennt, zeitgleich jedoch in Prada gewandet durchs nächtliche Wien flaniert und munter die Oberschichtsdroge Kokain konsumiert, während sie sich von ihrer Mutter letztlich doch finanziell aushalten lässt. Vielleicht lässt sich dies jedoch auch als Allegorie auf den Instagram-Aktivismus unserer Tage deuten – Wasser predigen, aber Wein trinken. Den aktuellen Post des liebsten Nachhaltigkeits-Accounts reposten, abends aber im Strudel der Langeweile doch wieder bei H&M bestellen.

Trotz der negativen Aspekte bleibt nach Mercedes Spannagels Buch im Leser jedoch etwas zurück; ein Funken, eine Lust auf Anarchie, aufs Rebellieren, ein Drang danach, von der alten Frau in der U-Bahn schräg angeschaut zu werden. Und natürlich wünscht man jedem rechtskonservativen Politiker, sich mit einer Tochter wie Luise herumschlagen zu müssen.

Über die Autorin:

Die Autorin Mercedes Spannagel wurde 1995 geboren und studierte zuerst Maschinenbau, bevor sie mit Das Palais muss brennen ihr Romandebüt veröffentlichte. Für ihre Texte in Literaturzeitschriften und Anthologien, etwa Mosaik, LICHTUNGEN, Volltext und BELLA triste, wurde sie mit dem exil-literaturpreis Wien (2014) und dem Rauriser Förderungspreis (2017) ausgezeichnet. Auch gewann sie 2018 den FM4 Wortlaut Kurzgeschichtenwettbewerb.          

                                                                                                 Isabelle Otto


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