Navigation

Lucas Grimm | Nach dem Schmerz 

Piper 2017
320 Seiten
16.99 Euro

ISBN 978-3-492-05778-3

von Lilli Peters | Download

Wie ist es, keine Schmerzen zu empfinden? Es nicht zu spüren, wenn jemand einem Zahnstocher unter die Fingernägel bohrt oder Zigarettenstummel auf der Haut ausdrückt?

Die gefeierte Cellistin Hannah Gold spürt keine Schmerzen, jedoch verzaubert sie Menschen mit ihrer Musik. Sobald sie sich an ihr Cello setzt, wirkt es auf ihre Zuhörer so, als vergesse sie alles um sich herum und lebe in diesem Augenblick allein für die Musik. In Wahrheit aber versucht Hannah durch ihre Musik zu fliehen und ihre Dämonen der Vergangenheit zum Schweigen zu bringen. Im Alter von sieben Jahren wurde sie nämlich Opfer brutalter Folter, durch Mitarbeiter des KGB. Ihr Vater, Walter Gold, damaliger Staatssekretär des Wirtschaftsministeriums der DDR, sollte so zu der Herausgabe eines Codes für empfindliche Dateien der DDR, den sogenannten Rosenholz-Dateien, gezwungen werden. An diesem Abend sah Hannah ihren Vater zum letzten Mal. Ihm wurde danach der Mord an einem KGB Mitarbeiter zur Last gelegt, woraufhin er für sechs Jahre in ein Straflager nach Sibirien gebracht wurde und 1995 dort verstorben sein soll. Dieser Abend in der russischen Botschaft 1989 und das Verschwinden ihres Vaters lassen Hannah, auch zwei Jahrzehnte später, nicht los. Sie kann nicht nachvollziehen, was damals geschehen ist, warum ihr diese Qualen widerfahren mussten und wie sich ihr Leben danach so schlagartig ändern konnte. Wusste ihr Vater wirklich nichts von den Rosenholz-Dateien und deren Entschlüsselungscode, den die KGB Mitarbeiter so unerbittlich und ohne jede Gnade von ihm gefordert haben? Oder war Walter Gold doch kein Opfer und nahm Hannahs Folter zum Schutze der Dateien mutwillig in Kauf?

Der Reporter David Berkoff beschäftigt sich schon lange mit dem Verschwinden der Rosenholz-Dateien und ist sich sicher, dass sich dahinter nicht nur eine großartige Titelstory verbirgt, sondern auch ein Berg von Lügen, Verrat und Intrigen. Auf den 381 CD-ROM befinden sich nämlich 350.000 Dateien der Hauptverwaltung Aufklärung des Auslandsnachrichtendienstes der DDR, von denen sich seit 2003 374 CD-ROM in den Händen der Bundesrepublik befinden. Jedoch fehlen nach wie vor sieben CD-ROM, auf denen sich Namen von mehr als 1000 westdeutschen Journalisten, Unternehmern und Künstlern befinden, die als inoffizielle Mitarbeiter für die Stasi spioniert haben sollen. Das Verschwinden von Walter Gold erscheint Berkoff dadurch nur plausibel, da es Gold, nach dem Mauerfall und dem Zerfall der DDR, möglich gewesen wäre, hochrangige Persönlichkeiten der BRD mit ihrer Vergangenheit zu erpressen. Doch leider sind mit Golds Verschwinden auch jegliche Möglichkeiten ausgelöscht worden, die verbleibenden sieben CD-ROM zu finden, geschweige denn zu entschlüsseln. Aber David ist der Meinung, dass das nicht alles gewesen sein kann und begibt sich auf die Suche nach den Rosenholz-Dateien und Walter Gold. Augenzeugenberichte lassen nämlich den Schluss zu, dass Gold, entgegen der Aussage des russischen Innenministeriums, noch gar nicht tot, sondern all die Jahre bloß untergetaucht ist. Hannah wird für Berkoff, auf der Suche nach der Wahrheit, zur Schlüsselfigur, denn sie weiß mehr über die Rosenholz-Dateien und deren Entschlüsselungscode, als sie selbst ahnt. Als Walter Gold nach zwei Jahrzehnten schließlich wieder auf der Bildfläche erscheint, werden nicht nur Hannahs Dämonen entfesselt, sondern auch das Interesse von Geheimdienstmitarbeitern der BRD und ehemaligen Mitarbeitern der DDR geweckt. Schon bald schweben Hannah und David in höchster Gefahr.

Der 2017 erschienene Thriller Nach dem Schmerz ist der erste Roman von Lucas Grimm, dessen bürgerlicher Name Uwe Wilhelm ist und der 25 Jahre lang Drehbücher für Film und Fernsehen geschrieben hat, darunter Tatort: Heimatfront und Marienhof. Eindrücklich, detailliert und packend beschreibt Grimm Hannahs und Davids Leben. Es sind zwei Charaktere, die unterschiedlicher nicht sein könnten, jedoch beide ein ähnlich trauriges Leben führen, welches von Taubheit und Verbitterung geprägt ist. Ein wesentlicher Teil des Romans handelt aber auch von Hannahs Musik, die im Roman eng mit ihrem Leben verknüpft wird. Grimm beschreibt Johann Sebastian Bachs Cellosuite Nummer eins, das Musikstück, welches sich wie ein roter Faden durch den gesamten Roman zieht, und immer wieder von Hannah gespielt wird, eingehend. Während Hannah sich durch ihre Musik ausdrückt und mit ihr ihre Vergangenheit immer wieder durchlebt, steht sie damit im völligen Kontrast zu David Berkoff, der seine Empfindungen und Emotionen mittels vulgärer Sprache zum Ausdruck bringt. Lucas Grimm gelingt es, beide Protagonisten im Laufe des Romans zu einer Einheit werden zu lassen: Das Wechselspiel zwischen Musik und Sprache ist bemerkenswert und zieht den Leser in seinen Bann.

Mit Nach dem Schmerz ist Lucas Grimm ein erfolgreicher Debütroman gelungen, der sich ohne Weiteres in die Riege spannender Thriller einreihen kann und der, durch eine überraschende und schlüssige Wendung, überzeugt.

(Lilli Peters)


Drucken

TOP

Literarisches Zentrum Gießen e.V.
Südanlage 3a (Kongresshalle)
35390 Gießen

Telefon: 0641 972 825 17
Telefax:  0641 972 825 19
E-Mail:    info@lz-giessen.de

ÖFFNUNGSZEITEN BÜRO:

MO  10.00 - 14.00 Uhr
DI    15.00 - 19.00 Uhr
DO  10.00 - 14.00 Uhr

SOCIAL NETWORKS & KONTAKT

© Copyright 2024 Literarisches Zentrum Gießen e.V. Alle Rechte vorbehalten.