Die Gespenster von Demmin. Verena Keßler liest aus ihrem Debütroman  

Verena Keßler und Monika Rox-HelmerVerena Keßler und Monika Rox-Helmer

Donnerstag, 18.11., 19 Uhr
Prototyp
Georg-Philipp-Gail-Str. 5
35394 Gießen

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Eintritt: 6 € Ç€ erm. 4 € Ç€ LZG-Mitglieder frei


Moderation: Monika Rox-Helmer (Historisches Institut)

Am Donnerstag, den 18.11., begrüßte das LZG rund 40 Besucher*innen zu der Lesung mit Verena Keßler aus ihrem Debütroman Die Gespenster von Demmin. Dieser handelt von der 15 jährigen Larry, die in einer Stadt mit besonderer Vergangenheit lebt. In Demmin fand zum Ende des Zweiten Weltkriegs der größte Massensuizid in der deutschen Geschichte statt. Fast tausend Menschen suizidierten sich im Frühjahr 1945 mit dem Einzug der Roten Armee aus Verzweiflung, Angst und vor dem Hintergrund des zusammenbrechenden Dritten Reichs. Der Erinnerung dieser Ereignisse verschließen sich die Bewohner*innen Demmins – über allem liegt ein Schleier des Schweigens.         
Die jugendliche Larry findet ihre Heimatstadt langweilig, will schnellstmöglich raus aus Demmin und als Kriegsreporterin arbeiten. Währenddessen fällt es Larrys Nachbarin Frau Dohlberg immer schwerer zu Hause zurecht zu kommen, weshalb die Neunzigjährige in ein Senior*innenheim umziehen soll.

Die Moderatorin Monika Rox-Helmer (Historisches Institut der JLU) bezeichnete Keßlers Romandebüt als einen »erfolgreichen Roman auf dem Literaturmarkt«, der viel besprochen und positiv rezensiert worden sei. Nominiert für den Jugendliteraturpreis, wurde dieser unter anderem mit Stimmen aus dem »Literarischen Quartett« und von Juli Zeh befürwortet.    
Eine Recherche brachte die Autorin auf den Ursprung des Romans. Sie habe das Leben und die Vergangenheit des Ortes interessiert. Auf die Frage, wie sie zum Schreiben kam, antwortete die Autorin, dass sie immer gerne schon geschrieben habe und im Laufe ihres Studiums am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig dieser Roman entstanden sei.

Gezielt führt die Autorin das Publikum zu Beginn der Lesung in die Geschichte ein, indem sie aus einem Kapitel des Romananfangs liest. Larry hängt kopfüber im Baum des Gartens und absolviert ein selbst auferlegtes Training. Ihre Einstellung und Persönlichkeit werden durch die Worte deutlich, mit welchen sie diese Prozedur beschreibt: „Wer aushalten kann, muss vor gar nichts Angst haben“.       
Das Thema Tod und das Motiv des Erinnerns umspannen den gesamten Roman. Menschen kämen auf den Friedhof, um sich zu erinnern, liest die Autorin. Die Figur Larry arbeitet auf dem Demminer Friedhof und verdient sich mit dem Einsammeln von Müll und verwelkten Blumen etwas Geld dazu. Die Tatsache, dass eine große Wiese des Friedhofs als Massengrab fungiert, bedenkt sie ganz nüchtern, nämlich, dass dort die Füße des einen in dem Gesicht des anderen lägen.

Zur Figurenentstehung führt  Keßler an, sie habe zuerst die Protagonistin Larry vor Augen gehabt, aus deren Sicht sie berichten wollte. Genauer gesagt, ginge es dabei vor allem darum, die Sicht einer in Demmin aufwachsenden Jugendlichen herauszuarbeiten.

Jedoch konnte sie mit ihr nicht alles erzählen und baute deshalb noch die Sicht einer Zeitzeugin ein, die eine gewisse Gegenposition zur jugendlichen Larry einnehme, so Keßler. Frau Dohlberg stehe für das fragmentarische Erinnern, das sie immer wieder in Fetzen ereile.               
An einer Stelle des Romans erinnert die Neunzigjährige das Eintreffen sowjetischer Soldaten im Haus. Gemeinsam mit ihren Schwestern wird sie im Keller versteckt und die Mutter von den Soldaten mitgenommen. Das Begehen eines schweren Verbrechens, wie sie zuhauf als Mittel der Kriegsführung eingesetzt wurden, steht hier überdeutlich zwischen den Zeilen geschrieben. Diese Erinnerung überkommt Frau Dohlberg, als sie mit ihrem Sohn ebenjenen Keller entrümpelt. Zu ihrem Sohn argumentiert sie in diesem Zusammenhang, es könne alles weg, sie brauche nichts mehr davon. Die Schwere, die in dieser Situation liegt und das Erinnern bedingt, ist nach der gelesenen Szene auch im Raum spürbar.

Die Anmerkung der Moderation, dass beide Hauptfiguren aber nie miteinander sprächen, begründet die Autorin darin, dass der Austausch und das Sprechen über die Vergangenheit nicht leicht seien. Der Roman jongliere zwischen der Schwere des Todes sowie einer gewissen Leichtigkeit des Erzählens und schaffe es so, einen Zugang zur Geschichte zu erzielen. Die Jugendliche Larry könne sich eine Leichtigkeit erlauben und so der Geschichte eine Hürde nehmen, so die Autorin.

Am Ende von Die Gespenster von Demmin scheint die Sprachlosigkeit mehr überwunden. Larry ist mehr in Kontakt mit den Menschen, die sie umgeben. Eine vorherige »leere Kommunikation«  wie die Fünfzehnjähre sie beispielsweise mit dem Grab ihres toten Bruders führt, wird überwiegend abgelöst und eine Möglichkeit gezeigt, der Sprachlosigkeit zwischen den Generationen entgegenzusteuern. Was bleibt ist, dass die titelgebenden Gespenster des Romans nicht nur im Allgemeinen über der Stadt ruhen, sondern auch als persönliche Gespenster über den Familien und Individuen Demmins verweilen.

Auf den kommenden Roman Verena Keßlers, welchen sie den Besucher*innen an diesem Abend thematisch kurz skizzierte und eine nächste Lesung freuen wir uns sehr und danken der Autorin für den schönen und gelungenen Abend mit einer ausgelassenen Lesungsatmosphäre.

 

Josephine Ellermeyer

 

 

In Kooperation mit dem Institut für Germanistik, dem Institut für Geschichtsdidaktik an der JLU und Zellkultur – Büro für angewandte Kultur und Bildung. Gefördert von der Crespo Foundation im Rahmen der Kampagne #zweiterfrühling des Netzwerks der Literaturhäuser.


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