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Daniela Danz | Lange Fluchten – Über das Scheitern am Leben 

Wallstein 2016
146 Seiten
18.90 Euro

ISBN 978-3-8353-1841-0

von Lisa Scheffler | Download

Wenn man beginnt, eine Rezension über einen Roman zu schreiben, dominiert in den allermeisten Fällen zunächst die Frage: „Wie hat mir das Buch gefallen?“. Bei Daniela Danz’ zweitem Roman Lange Fluchten scheint diese Herangehensweise unangebracht. Der Roman will nicht gefallen – er will, so scheint es, verstören und auf keinen Fall eine einfache Geschichte erzählen.

Nachdem der Zeitsoldat Cons (eigentlich Constantin), ohne im Einsatz gewesen zu sein, vom Dienst befreit wird, gibt er sich und das Leben auf. Mit seiner Frau Anne und den beiden Söhnen lebt er in einem Containeranbau, der direkt neben dem Rohbau des nie fertig gestellten Hauses steht. Der Containeranbau ist zweistöckig – oben wohnen Anne und die Kinder, unten wohnt er. Der geschickt mehrdeutig angelegte Titel Lange Fluchten suggeriert das bloße Nebeneinander der beiden Wohneinheiten und somit das bloße Nebeneinander-Herleben der Figuren.

Das Interessante an dieser Konstellation ist, dass Cons sich zwar zurückzieht und verschließt, aber physisch stets präsent ist. Die Kinder wissen, dass er da ist. Anne weiß, dass er da ist. Es könnte nur eine Art Durchhänger sein. Die Familie ist theoretisch intakt. Cons weiß um seine Pflichten, wie das Stellen des Antrags zur Anerkennung der Wehrdienstbeschädigung, wie den Hausbau und das Versorgen der Kinder; ja, er pflegt sogar soziale Kontakte. Es könnte alles wieder gut werden. Cons ist zwar da – aber meilenweit entfernt.

Die Lektüre des – mit 146 Seiten eher schmalen – Buches macht den Leser in diesem Sinne nicht zum Zeugen eines Wieder-gut-Werdens. Danz hat mit Cons eine männliche Hauptfigur kreiert, die das Leben aussitzt und die lernresistent ist. Als sein bester Freund Henning an Krebs erkrankt, fühlt er sich in seiner Gegenwart lebendig. Im Angesicht des Todes scheint er neue Kraft zu schöpfen, der Wert seines Lebens scheint ihm bewusst zu werden. Es entsteht Hoffnung.  Doch sobald er Hennings Wohnung verlässt, verfällt er augenblicklich in den alten Trott. Es ist ein Sog des Scheiterns, der den Leser zermürbt. Lange Fluchten ist in 27 Kapitel unterteilt, die eine vermeintliche Struktur vorgeben. Doch die Kapitel strukturieren die Handlung nicht. Mit ihnen ist es wie mit der Hauptfigur Cons: Es wird immer wieder Anlauf genommen, es gibt immer wieder Momente, die den Leser hoffen lassen, dass er aufwachen, dass er es hinbekommen wird. Genauso wirken die Kapitel als Punkte der Ordnung in einem Text, der vom Chaos durchwühlt ist. Es ist nur ein Anschein, der erweckt wird.

Am Ende der Lektüre tritt eben nicht der allseits bekannte und heiß ersehnte Moment der Erleichterung ein. Wir Lesenden werden auch am Ende im Dickicht unzähliger Fragen gelassen. Doch genau durch diesen Aufbau der Handlung zeigt Danz in beeindruckender Konsequenz eine grausame, aber echte Facette des Lebens.

Daniela Danz (* 1976 in Eisenach) studierte Kunstgeschichte und Deutsche Literatur in Tübingen, Prag, Berlin und Halle, wo sie über den Krankenhauskirchenbau in der Weimarer Republik promovierte. Sie arbeitet als Autorin und Leiterin des Schillerhauses in Rudolstadt. Zusätzlich lehrt sie an der Universität Hildesheim und lebt mit ihrer Familie in Kranichfeld. 2012 und 2013 erhielt Daniela Danz das Arbeitsstipendium des Deutschen Literaturfonds e.V. sowie das Thüringer Literaturstipendium.

(Lisa Scheffler)


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