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Timur Vermes | Er ist wieder da 

Eichborn 2012
396 Seiten
19,33 Euro
ISBN 978-3-8479-0517-2

von Lars Meuser | Download

Everbody’s Darling

Jetzt, da sich Guido Knopp nach populären Dokumentationen zu Hitler, seinen Helfern, seinen Kriegern, seiner Krankenakte und seinen Kindern in den Ruhestand verabschiedet und eine ganze Reihe von Schauspielern in Filmen unterschiedlichster Genres (von Bruno Ganz über Tobias Moretti bis hin zu Helge Schneider) eine mehr oder weniger eigene Darstellung des deutschen Diktators versucht hat, sollte man meinen, dass nichts Neues mehr von ihm erzählt werden könne.

Vor diesem Hintergrund verfolgt Timur Vermes mit seinem Roman Er ist wieder da eine überaus interessante Idee: Er geht nämlich ein, zwei Schritte weiter als Film und Fernsehen und lässt Hitler, der die Ereignisse in diesem Roman durchgehend als Ich-Erzähler schildert, im Berlin der 2010er Jahre wieder auf der Bildfläche erscheinen. Einen geglückten Selbstmord hat es also nie gegeben, auch wenn der Mantel noch nach Benzin riecht. Schnell muss der streng gescheitelte Zweifingerbart-Träger des Buchumschlags aber einsehen, dass Eva, Blondi und die anderen wohl nicht mehr da sind, weswegen er anfangs noch an einer gewissen Orientierungslosigkeit leidet. Doch schafft er es irgendwie, sich, ohne Prügel zu beziehen, bis zu einem Kiosk durchzuschlagen, in Ohnmacht zu fallen und vom freundlichen Besitzer aufgenommen zu werden. Schon bald wird er von einer Produktionsfirma entdeckt, die ihn aufgrund seiner authentischen Hitlerei für eine Comedy-Sendung anheuert. Anfangs sorgt sein konsequentes Auftreten noch für reichlich Irritationen bei den Produzenten, sein Charisma und seine klaren Worte gegen Politiker, Migration (wenn nicht von Deutschen und mit Gewalt vollzogen) und Gutmenschentum ebenso wie seine Forderungen nach mehr Einsatz für das Deutschtum machen ihn aber schon bald zum Heiland der brachliegenden Comedylandschaft. Die Klicks bei Youtube und die Gästebucheinträge auf seiner frisch eingerichteten Homepage steigen schnell ins Unüberschaubare. Ein Lehrstück für Propagandisten also…

Timur Vermes gliedert Er ist wieder da dramaturgisch geschickt in zwei Teile, wobei er vor allem im zweiten seine Qualitäten als Erzähler zur vollen Entfaltung bringt. Im ersten Teil bewegt er sich mit seiner Hitler-Darstellung überwiegend im Humorvollen bis Klamaukigen, wenn er den böhmischen Gefreiten auf die Gegenwart loslässt. So beispielsweise dann, wenn der seine Uniform im „Blitzreinigung’s-Service Yilmaz“ reinigen lassen will und im Gegenzug erst mal Autogramme und Fotos springen lassen muss als „der andere Stromberg. Der aus Switsch“. Oder, wenn Hitler seine Homepage lieber gleich Führerhauptquartier nennt, weil er den Begriff Heimseite als allzu verkrampfte Deutschtümelei empfindet. Das Motiv des Missverständnisses ist hierbei prägendes Stilmittel: Wenn Hitler in einer Comedy-Sendung konstatiert, dass die Deutschen die Mülltrennung mittlerweile ernster nehmen würden als Rassentrennung und -hygiene, meint er das ernst. Zuschauer und Produzenten hingegen halten es für das auf die Spitze getriebene method acting eines Comedy-Phantoms, das als Adolf Hitler auf Lohnsteuerkarte arbeitet. Das sorgt immer mal wieder für Kurzweil beim Lesen, gerät aber auf Dauer zur Redundanz. Manche Witze hinterlassen zudem einen faden Beigeschmack, wirken sie doch wie ein Aufguss der besten Sprüche aus der Stromberg-Obersalzberg-Satire von Switch. Sprachlich greift Vermes dabei zwar treffsicher auf Hitlers Rhetorik und Sprachschatz zurück, dessen Arrangement führt jedoch zumeist dazu, dass seine Weltanschauung in eine begrenzte Zahl ähnlich gestrickter und letztlich oberflächlicher Zoten über politische Gegner, Lager und Juden übertragen wird.

Dass Vermes den vermeintlich aufgeklärten Leser auf den ersten gut 200 Seiten so aber geschickt an der Nase herumgeführt hat, merkt der erst in der zweiten Hälfte des Romans. Dann nämlich und besonders im letzten Viertel kippt die bis dahin eher seicht unterhaltende Hitler-Comedy allmählich, aber unaufhaltsam: Hitlers Plan, an der Spitze einer nationalen Bewegung erneut die Geschicke des deutschen Volkes zu lenken, tritt nun in den Vordergrund. Dabei liegt der Fokus der Darstellung nicht mehr auf Hitler selbst, sondern auf der ihn umgebenden Gesellschaft. Dadurch gewinnt der Roman merklich an erzählerischer Dichte, sodass dem Leser das eben noch schallende Lachen jetzt im Halse stecken bleibt: Dieser Cameo-Hitler politisiert selbst die Unpolitischsten; er studiert seine Gegner akribisch, wartet geduldig ab und hebelt sie zum rechten Zeitpunkt mühelos argumentativ aus. Alles, was dann noch nicht passt, wird mühelos frontbegradigt und auf seine groß(deutsch)en Pläne hin ausgerichtet. Man möchte nicht allzu viel verraten, aber neben Bild-Zeitung und NPD bringt Hitler so einmal mehr breite Teile von Gesellschaft und Politik hinter sich und macht sich selbst zum Stauffenberg der deutschen Gesellschaft.

Welche Erkenntnis aber bleibt nach der Lektüre von Er ist wieder da? Die Frage danach, ob man über Hitler lachen darf, kann, soll oder muss, stellt sich hier nicht. Die nicht immer treffsicheren Zoten in der ersten Buchhälfte wissen niederschwellig zu gefallen, das heißt, wenn man lacht, lacht man mit Hitler, über ihn, seinetwegen, ihm zum Trotz und manchmal auch gar nicht. Lang- und Kurzweil haben hier aber stets Methode und bilden den Nährboden für die zweite Hälfte. Diese ist pechschwarz und weckt die diffuse aber tiefgehende Befürchtung, dass alles (non-)fiktionale Erzählen über Hitler kaum einen ausreichenden Schutz gegenüber charismatischer Herrschaft darstellt. Am Ende bleibt Unbehagen. Wichtig ist aber auch: Die 19,33€ (sic!) sind gut angelegt, denn… und das wird man ja wohl noch sagen dürfen… es war nicht alles schlecht.

Über den Autor
Timur Vermes wurde 1967 in Nürnberg geboren und studierte Geschichte und Politik in Erlangen, bis er sich dem Journalismus zuwandte. Nach seiner Arbeit für verschiedene Zeitungen und Magazine veröffentlicht er seit 2009 als Ghostwriter mehrere Bücher. Er ist wieder da ist sein Romandebüt unter seinem bürgerlichen Namen und 2012 im Eichborn Verlag erschienen.


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