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Judith Zander | Dinge, die wir heute sagten 

Roman
dtv premium 2010
480 Seiten
16.90 Euro
ISBN 978-3423247948

von Karina Fenner | Download

Ich denk, man schreibt es auf, um es loszuwerden. [… ] Wenn ich was aufschreibe, dann will ich es richtig loswerden. Ich schreibe es auf, aus mir heraus, und dann kommt es weg. Das gehört doch dazu. Das ist ein gutes Gefühl: ein weißes Blatt. Etwas ganz und gar geschafft zu haben, fertiggebracht. [418]

Alles andere als ein weißes Blatt hat Judith Zander mit ihrem Debütroman Dinge, die wir heute sagten fertiggebracht. Auf 500 Seiten voller Poesie lässt sie die Geschichte von drei Generationen eines kleinen Dorfes in Vorpommern durch neun Perspektiven erzählen. Zander schafft damit einen fulminanten Generationenroman, der weit über die Beschreibung der Tristesse des vergessenen Dorfes hinausgeht.

Jede Menge Nichts, das beschreibt das Setting des Romans Dinge die wir heute sagten wohl ganz treffend. Schauplatz von Judith Zanders Roman ist das kleine Örtchen Bresekow, irgendwo im Nirgendwo zwischen Rostock und Berlin. Der Brennpunkt der Handlung ist der Tod der alten Anna Hanske, zu deren Beerdigung ihre Tochter Ingrid samt Familie aus dem fernen Irland anreist. Wie ein Geist schwebt die nicht zu Wort kommende Figur der Verstorbenen durch den kompletten Roman. Der Tod der alten Frau Hanske und die aus Irland angereiste Familie wecken alte Erinnerungen, nicht zuletzt an Skandale, bringen das verschwiegene Dorf zum Sprechen und sind die Voraussetzungen für die mannigfachen Geschichten, die im Roman arrangiert sind.

Die Themen, die Zander dabei verhandelt, sind überaus vielfältig. Von der Aufarbeitung verschiedener DDR Erfahrungen über Gewalt und Sexualität bis zur Liebe werden die unterschiedlichsten Vergangenheiten und Gegenwarten, aber auch zeitlos scheinende Gedanken, inszeniert. Dabei schafft es die junge Autorin trotz klischeeeinladender Situationen frei von jedem Kitsch zu bleiben.

Was die 1980 in Anklam geborene Schriftstellerin den Lesern erzähltechnisch bietet ist ein großes, multiperspektivisches Puzzel innerer Monologe. So verzichtet sie auf einen eindeutigen Handlungsstrang und liefert stattdessen ein Sammelsurium verschiedener Perspektiven, denen die unterschiedlichsten Menschen zugehörig sind. Erst beim Zusammenfügen dieser Bewusstseinsströme wird die Verbindung der einzelnen Figuren klar. So muss man sich als Leser in den Dialog mit dem Roman begeben und ständig neu kombinieren – eine Aufgabe, die zwar keinesfalls eine leichte, wohl aber eine spannende Lektüre bereitet.

Zander gelingt es überzeugend die sprachlichen Eigenheiten der unterschiedlichen Sprecher, die stets von deren Alter, Lebenseinstellung und Laune abhängig sind, vorzuführen. Als eine Art Chor kommt mitunter auch die Gemeinde des Dorfes zu Wort. Diese Klatsch-Frequenzen dürften zwar gerade für Leser, die des Plattdeutschen nicht mächtig sind, mitunter verstörend wirken, doch gerade hier zeigt sich, wie komplex und detailliert der sprachliche Kosmos des Romans gestaltet ist.

Dass es sich bei diesem Roman um das Debüt einer Dichterin handelt, spürt der Leser auf jeder einzelnen Seite, denn immer wieder ist die Prosa auf beeindruckende Weise auch lyrisch. Nicht zuletzt diese Sprachgewalt zeichnet den Roman aus und rechtfertigt den Platz des Romans auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2010 absolut.

(von Karina Fenner)


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