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Eva Lohmann | Acht Wochen verrückt 

Roman
Piper Verlag 2011
208 Seiten
16.95 Euro
ISBN 978-3492054393

von Matthias Kremp | Download

Eva Lohmanns autobiographisches Romandebüt erzählt von der 27-jährigen Mila Winter, die unter den Bedingungen ihres Lebens zusammenbrach und acht Wochen in einer psychosomatischen Klinik verbringt – und wie sie dort neuen Mut und Kraft für ein anderes Leben schöpft.

Nach außen scheint alles perfekt: Mila ist jung, hat einen kreativen und gut bezahlten Job, eine schöne Wohnung und eine feste Beziehung. „Man sollte doch meinen, ich sei das blühende Leben“, so die Ich-Erzählerin. Aber dieses Leben ist ihr bereits entglitten, ohne dass sie eine Ursache dafür ausfindig machen könnte. Mila ist einfach nur noch müde, so unendlich müde und erschöpft. Partys, das war einmal. Freunde trifft sie schon lange nicht mehr. Ihre Tage sind ihr eine Qual. Mit lähmendem Gefühl im Kopf und trägem Körper hatte sie sich noch morgens aus dem Bett gequält, sich ins Büro geschleppt, wie auch sonst jeden Tag zuvor, hatte dort einige Dinge erledigt, die ihr „einfach nur lächerlich und bedeutungslos erschienen“ und vor lauter Sinnlosigkeit irgendwann abgeschaltet. Noch zwei Stunden blieb ihr ausdrucksloser Blick auf die animierten Aquariumsfische ihres Rechners gerichtet. „Und das war’s“. Ihr war plötzlich klar, dass es nicht mehr geht, nicht mehr so weitergeht: „Ich wusste, dass ich einfach nicht mehr funktioniere“. Es sollte vorerst ihr letzter Arbeitstag sein. Mila leidet an Depression und Burnout. Noch am selben Tag kam sie mit einer Akuteinweisung in eine psychosomatische Klinik, in die „Klapse“, zu „den Verrückten“, wie Mila die Klinik bezeichnet.

„Klapse“, „Klapsmühle“ oder „Irrenhaus“, das lässt jene, die nichts bis wenig darüber wissen, zunächst ein durch Medien geprägtes Schreckbild der Psychiatrie assoziieren, eine Casa de Locos (Gemälde v. Goya; 1812-19), ein Haus voller Verrückter, Wahnsinniger, die ans Bett gefesselt oder in sogenannte „Gummizellen“ gesteckt werden, entmündigte Patienten, die zwar nicht mehr unbedingt mit Elektroschocks oder Lobotomie, aber mit jegliche innerliche Empfindung abstumpfenden Medikamenten, d.h. mit hochpotenten Neuroleptika ruhig gestellt werden (müssen) – man erinnere sich an Ken Keseys One Flew Over The Cuckoo's Nest (1962), das von Miloš Forman mit Jack Nicholson in der Hauptrolle so großartig verfilmt wurde (1975), oder an Sarah Kanes herausragendes, den Zuschauer wie Leser aufwühlendes Seelendrama Psychosis 4.48. Doch eine psychosomatische Klinik ist keine Psychiatrie mit „geschlossener“ Station und eine Akuteinweisung keine Zwangseinweisung, die eine Zwangsmedikalisierung zur Folge hätte. Ein Bild, das auch Mila anfangs noch durch den Kopf geisterte. Was soll sie hier bei all den Verrückten und Kranken, den essgestörten Bulimikerinnen und Anorektikerinnen, den Zwangsneurotikern? Sie ist ausgelaugt, erschöpft, lustlos, aber nicht verrückt. Oder doch?

Acht Wochen verrückt ist zwar nicht gerade ein literarisches Kunstwerk von origineller Form oder Sprache. Dennoch besticht der Roman durch eine dem Leser nahe gehende Authentizität, durch die unverstellte und präzise Betrachtung des Gefühlslebens psychischer Kranker und des Mikrokosmos einer psychosomatischen Klinik, erzählt in einem sensiblen, klaren und gleichfalls ironischen Tonfall. Und genau dies macht den Roman so lesenswert. Er ist ernst und unterhaltend zugleich. Die „Welt der Verrückten”, die Mila beobachtet – von der magersüchtigen Zimmergenossin Clara, „ein hübscher, aber hungriger Alien”, von Tamara, deren Haut durch die zahlreichen Selbstverletzungen eine „Landkarte des Schmerzes” zeichnet, von Ron, der hin- und hergerissen ist vom Familienvaterdasein und der Sehnsucht endlich als Frau zu leben – beschreibt sie ironisch gebrochen, so dass man immer wieder Schmunzeln muss, ohne sich jedoch über die Figuren lustig zu machen. Gerade diese Distanz verschafft den nötigen Raum, in den der Leser eingeladen wird, um innehalten zu können. Dort wird man unweigerlich mit der Frage konfrontiert, die sich durch das gesamte Buch wie ein roter Faden zieht : Wo ist eigentlich die Grenze zwischen „normal” und „verrückt”? Zunächst scheint diese Frage allzu naiv. Natürlich gibt es eminente Unterschiede zwischen einer Psychose wie Schizophrenie und einem Anfall von Traurigkeit, den jeder ab und an erlebt. Doch die Frage zielt vielmehr auf die eigenen Grenzen, die Befindlichkeiten des Lesers. Wo fangen Depression und Burnout eigentlich an? Wie lange noch bis man derart niedergeschlagen und ausgebrannt ist, dass man sein Leben nicht mehr souverän führen kann und will?

Gerade „Burnout” mag zwar ein Modebegriff sein, jedoch zeichnet das Syndrom den immer aktiven und arbeitenden Menschen in der konkurrierenden Übung in der Vertikalspannung, bis zur Selbstverbiegung flexibel und mit hohen Selbst- und Fremdansprüchen. Nur, viele Menschen, die ein Burnout erleiden – also wirklich krank werden - hätten nie damit gerechnet, da der Punkt nicht klar markierbar ist. Hier sind die Grenzen fließend. Wie auch immer die Begrifflichkeiten sein mögen, es „beschreibt alles das gleiche, und es kommt nicht von ungefähr, dass so viele unter so was leiden”, sagt Eva Lohmann in einem Interview mit dem NDR. Psychischer Stress ist laut der WHO eine der größten Gefahren postmoderner Gesellschaften. Und Depression ist zu einem wahren Volksleiden geworden, von dem in Deutschland ca. vier Millionen Menschen betroffen sind. Auch Lohman ist es so ergangen. Die Geschichte von Mila Winter ist ihre eigene. Entstanden ist der Roman ausgehend von Tagebuchnotizen, die Lohmann während ihres Klinikaufenthaltens aufgezeichnet hatte. Allerdings hat sie Mila nicht einfach als ihr alter ego entworfen, um ihre eigenen Erfahrungen zu verarbeiten, sondern geschrieben hat sie den Roman auch um anderen Mut zu machen, wie sie in mehreren Gesprächen betont. Depression und Burnout sind zwar Massenphänomene, allerdings paradoxer Natur. Auch der Selbstmord des Fußballtorhüters Robert Enke hat an der Tabuisierung v.a. depressiver Erkrankungen nachhaltig nicht viel geändert. Exemplarisch für dieses Missverhältnis steht im Roman Milas Klinik-Bekanntschaft Katharina, die ihren Freunden die Lüge auftischte, dass sie für ihre Firma einige Zeit nach Paris müsse. Nun quält sie sich mit der Frage, wie sie die versprochenen Postkarten aus der Stadt der Liebe verschicken soll, da sie doch als „Verrückte” in der Klinik sitzt.

Das Buch, so Lohmann, soll Mut machen, Mut zu seiner Krankheit zu stehen, denn nur auf diese Weise, könne eine Therapie greifen. Nach und nach hat dies auch Mila akzeptiert. In mehreren Gesprächen mit dem Sandalen und Batik-Shirt tragenden Klischeepsychologen Dr. Hennings kamen nicht nur verdrängte Konflikte aus ihrer Kindheit und familiäre Spannungen zum Vorschein. Letztlich ging es darum, was Mila nicht will, sich aber – mitunter durch sozialen Druck - vorher nie getraut hätte zuzugestehen, nämlich ihren Job zu kündigen. Nach acht Wochen Klinikaufenthalt und der schwierigen Auseinandersetzung mit sich selbst wagte Mila den Schritt in ein neues Leben. Wie sie in diesem Leben besteht, darüber steht nichts im Roman. Aber Eva Lohmann, die wie Mila ihren „Job” gekündigt hat und inzwischen als freie Werbetexterin arbeitet, sitzt bereits an ihrem zweiten Buch. Nur dieses soll reine Fiktion werden.

Acht Wochen verrückt ist ein leichthändig erzählter Roman von tiefgehender Substanz – und auf jeden Fall empfehlenswert. Erschienen ist er im Februar 2011 bei Piper.

(von Matthias Kremp)


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