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Kim Frank | 27 

Roman
rororo 2011
256 Seiten
12.99 Euro
ISBN: 978-3499215773

von Lars Meuser | Download

Cluburlaub

27, aha. Und wer ist das jetzt da vorne drauf? Alle kennt man nicht, aber Wikipedia gibt Auskunft: Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Kurt Cobain. Tod mit 27. Alkohol, verschreibungspflichtige Medikamente, Drogen, eine Schrotflinte. Die Marschroute scheint klar und der Klappentext bestätigt es: Mika, 18 Jahre, Ich-Erzähler, legt es drauf an. Er will Rockstar sein, er will die Sau rauslassen, nur um dem 27-Club beitreten zu können.

Zunächst einmal ist der Protagonist aber ein vom Schicksal Gebeutelter: Nicht nur, dass er Einzelkind ist, nein, er wird auch nur von seiner Mutter, einer vielbeschäftigten Ärztin, großgezogen, so sie denn mal daheim ist. Als er mit 18 Jahren plötzlich das Gefühl hat, sein Herz bliebe stehen, verschreibt man ihm ein Dauer-EKG. Das legt er aber schon bald wieder ab, als sein – für kurze Zeit – bester und einziger Freund Lennart an einer Überdosis Drogen stirbt. Über einige Ecken und Zufälle schafft es Mika dann, mehr mit Glück denn mit Verstand, Sänger in einer Band zu werden, die schon bald das nächste große Ding wird und ihm Genuss in allen Formen möglich macht. Mit großen Schritten nähert er sich dem 27-Club. Immer mit dabei: Lennart aus dem Jenseits, der Hochmut vor dem Fall und seine Angst vor dem Leben, vor dem Tod, vor sich selbst.

In 27 lässt Romandebütant Kim Frank also einen 18jährigen zum Rockstar aufsteigen. Kim Frank, Kim Frank, da war doch was… genau! Wäre man ungerecht, würde man diesen Roman genau mit diesem Wissen und auch nur so lesen. Versucht man sich von diesen Vorverurteilungen frei zu machen, fällt auf: Frank rangiert mit seinem ersten literarischen Großprojekt irgendwo zwischen einer Art von neuem Realismus einerseits und Popliteratur deutschsprachiger Couleur andererseits. In den meisten Fällen schlägt das Pendel jedoch ganz eindeutig in Richtung Popliteratur und darüber hinaus aus. Dadurch verkommt 27 zu einer ungewollten (?) Satire auf die Gattung: Angefangen bei all den Mikas, Lennarts, Joshs, Victors, Jolies und Leos, deren Namen höchstens dann ganz alltäglich wirken, wenn Spitznamen wie Spike (weil gegelte Igelfrisur), Pu (weil Bierbauch) oder der Lord (weil rumkommandiert) fallen. Hinzu kommt die fast schon pathologische Verwendung von Fachtermini aus dem Musik„biz“ und der Musikproduktion. Wer nicht spätestens an diesem Punkt die Frage nach den autobiographischen Anteilen in 27 stellt oder zumindest mal „Kim Frank“ bei Google eingibt, hat möglicherweise nicht mitbekommen, dass der Autor – ganz im Gegenteil zu Barthes – ganz und gar nicht tot ist. Den für die Gattung exzessiven Alkohol-/Drogenkonsum und den vielen Sex möchte man vor diesem Hintergrund schon gar nicht mehr ins Feld der Kritik führen. Und dazwischen? Leider zu oft Langeweile im Angesicht dessen, dass hier neben Gitarren stimmen, Lennart vermissen, Saufen und Sex nichts Bewegendes, geschweige denn Anrührendes geschieht. Und natürlich der immer aufs Neue missglückende Versuch, die schablonenartigen Figuren auseinander zu halten. Mikas Kommentar zum ersten Foto der Band wirkt angesichts der Austauschbarkeit der Figuren und ihrer Konstellation wie ein schlechter Scherz: „Die Aufstellung scheint unsere bandinternen Spannungen widerzuspiegeln“. Ja sollen sie die doch einfach ausleben! Stattdessen der über weite Strecken vorhersehbarer Aufstieg und Niedergang eines sensiblen und dabei überaus hybriden Rockstars in Figurenrede, die als Ausrede aber auch nicht taugt. Damit wird „27“ also bestenfalls zu einem netten Zeitvertreib – nicht mehr, nicht weniger.

Ach ja, fast vergessen: Kim Frank war mal der Sänger der Band „Echt“, deren Cover von „Junimond“ ein absolut würdiges war. Und 2007 vertonte Frank mit Lara einen waschechten Schlagersong aus eigener Feder.

Der Autor:
Kim Frank wurde 1982 in Flensburg geboren und war Mitte und Ende der 1990er Jahre Sänger der Band Echt. Nach deren Auflösung widmet er sich verstärkt der Schauspielerei, dreht Musikvideos und fotografiert. 2007 legte er ein Soloalbum vor und trat mit Lara bei Stefan Raabs Bundesvision Song Contest auf. 27 ist sein literarisches Debüt.

(von Lars Meuser)


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