Hessische Autoren neu entdeckt. Ein Lesebuch
Societäts-Verlag 2010
160 Seiten
14.80 Euro
ISBN 978-3797311795
von Dagmar Klein
Büchners Schwester und Karl May aus Kassel*
Literaturland Hessen: Bekannte und weniger bekannte Autoren werden mit Originaltexten und Biografie vorgestellt
Es ist nicht das erste Buch, das Hans Sarkowicz zur Literaturgeschichte in Hessen herausgibt. Dies zeugt einerseits von der großen Vielfalt an Literatur in Hessen, das daher gern als »Literaturland« bezeichnet wird, andererseits vom kontinuierlichen Engagement des Programmbereichsleiers Kultur und Hörspiel beim Hessischen Rundfunk. Von hier ging auch die Initiative für den Tag der Literatur aus, der 2006 zum ersten Mal veranstaltet wurde, und es werden eigene Exkursionen zu interessanten Orten der Literaturgeschichte in Hessen organisiert. Zuständig dafür sind die beiden Literaturwissenschaftlerinnen Andrea Enk und Karoline Sinur. (www.literaturland-hessen.de)
Der aktuelle Band zur Literatur in Hessen will hessische Autoren, respektive Autorinnen, einmal mehr neu entdecken. Sprich über ihren zumeist örtlich begrenzten Bekanntheitsgrad hinaus vorstellen. Dies geschieht mit Kurzbiografien, in denen die Orte des literarischen und beruflichen Wirkens genannt sind, mit Fotografien von noch erhaltenen Gedenkorten. Vor allem aber mit einer Auswahl von Originaltexten der vorgestellten Schriftsteller, was neu ist im Vergleich zu vorherigen Publikationen. Auswahlkriterium, so ist im Vorwort zu lesen, war nicht die literarische Qualität, sondern die Bedeutung der Autoren in ihrer Zeit in Hessen. Allerdings darf man dieses Kriterium wohl nicht allzu sehr auf die Waagschale legen, wie das nachfolgende Beispiel zeigt.
Der Gesamttitel Und nun landein! stammt von Hans-Jürgen von der Wense (1894-1966), der als "große Neuentdeckung der deutschen Literatur" bezeichnet wird. Doch von der Wense publizierte zu Lebzeiten nicht mehr als 50 Seiten Text, konnte also kaum bekannt werden, erst sein Nachlass gab 30 000 weitere Blätter frei. Bleibt abzuwarten, was davon publiziert und als bedeutend zur Kenntnis genommen wird.
Die chronologische Reihenfolge orientiert sich an den Geburtsjahren: Der älteste ist Philipp Nicolai (1556-1608) aus dem Waldeckischen, ein Dichter geistlicher Lieder aus der Reformationszeit, der zuletzt Pfarrer in Hamburg war. Die jüngste ist Hilda Stern Cohen (1924-1997) aus Nieder-Ohmen bei Mücke im Vogelsberg, die in Baltimore starb. Ihre Tagebücher wurden erst nach ihrem Tod entdeckt und von der Arbeitsstelle für Holocaustliteratur an der Universität Gießen publiziert. Bekannt sind Karoline von Günderode (1780-1806) aus dem Kreis der Romantiker , ebenso Luise Büchner (1821-1877) und ihre Verdienste um die Ausbildung von Frauen in Darmstadt. Obwohl im Biografietext betont wird, dass Luise Büchner zumeist hinter den Aktivitäten ihrer Brüder verschwindet, wurde doch ein Originaltext ausgewählt, der die Geschichte der Verfolgung und Inhaftierung der Verfasser des Hessischen Landboten vorstellt, mithin also eine indirekte Würdigung ihres jüngeren Bruders Georg darstellt. Auch die vierte vorgestellte Frau zählt zu den frühen Vertreterinnen der Frauenbewegung: Malwida von Meysenburg (1816-1903), die sich als Adlige in Kassel für ein Engagement in der demokratischen Bewegung entschied.
Friedrich Armand Strubberg (1806-1889) aus Kassel gilt als "hessischer Karl May", hat er doch mit seinen Geschichten über den "Wilden Westen" den berühmt gewordenen Kollegen inspiriert. Und im Gegensatz zu diesem hat er selbst in Amerika und zeitweilig bei den Indianern gelebt. Wenig bekannt ist Ernst Koch (1808-1858) aus Nordhessen, dessen wechselhaftes Leben spannender erscheint als seine zu Lebzeiten höchst erfolgreiche Textsammlung Prinz Rosa Stramin.
Ein berühmter Name ist Leopold von Sacher-Masoch (1836-1895), doch in Verbindung mit dem medizinischen Fachbegriff "Masochismus". Noch weniger bekannt als seine Romane dürfte sein Engagement gegen Antisemitismus und für Volksbildung sein. Dies fand statt in Lindheim, heute ein Ortsteil von Altenstadt in der Wetterau, wo er den Oberhessischen Verein für Volksbildung gründete. Adam Karillon (1853-1938) aus Waldmichelbach ist 1923 der erste Georg-Büchner-Preisträger , dessen Schaffen als "Odenwalddichter" beschrieben wird. Auch dem Werk des zweiten Büchner-Preisträgers, Alfred Bock (1859-1932) aus Gießen, wurde ein solches Prädikat angeheftet, gegen das er sich verwahrte: oberhessischer Bauernroman. Literaturwissenschaftler bezeichnen ihn heute als "Erzähler des bürgerlichen Realismus".
Fazit: Ein handliches Buch zum Schmökern und zum Verschenken. (dkl)
*Diese Rezension erschien zuerst in der Gießener Allgemeinen Zeitung vom 24.4.2010