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Flix | Faust. Der Tragödie erster Teil 

Graphic Novel
Carlsen 2010
96 Seiten
14.90 Euro
ISBN 978-3551789778

von Chris Krizsak | Download

§ 6.6.F.: Bei erfolgreicher Erfüllung des vom "Opfer" genannten Wunsches innerhalb des vereinbarten Erfüllungszeitraums überträgt das "Opfer" der Firma "Happy Life" automatisch für die Zeit nach seinem Tod die exklusiven Nutzungsrechte an seiner unsterblichen Seele.

Eine Comicadaption des Standardwerkes der deutschen Literatur schlechthin, kann das funktionieren? Bedenkt man, dass es sich hierbei nicht um eine wortgetreue Umsetzung von Goethes Klassiker handelt, sondern eher mit dessen Motiven gespielt wird, die zudem allesamt in die Gegenwart verfrachtet wurden, gelingt dies sogar erstaunlich gut. Mit allerhand Wirklichkeitspartikeln aufgeladen, erreicht Flix' Neuinterpretation damit eine Identifikationsgrundlage, die dem Original womöglich insbesondere für ein jüngeres Publikum teilweise abgeht. So arbeitet Gott zusammen mit seinen Kollegen Allah und Buddha als Manager im himmlischen Callcenter und tüftelt gerade an seiner Myspace-Seite herum, die konsequenterweise das Universum abbildet. Da stolpert der tollpatschige Praktikant Mephisto herein, um dem Chef als "Lichtbringer" eine neue Schreibtischlampe, Marke "lux aeterna", zu überreichen. Als er dabei unglücklicherweise die Stromversorgung des Computers kappt, entspinnt sich daraus allmählich die berühmte Wette um Fausts Seele. Der Wetteinsatz: Zwei Kisten Ramazotti. Per google-earth-Teleskop machen die beiden Kontrahenten den ziemlich ausgebrannten Faust ausfindig, der sich als ewiger Student zahlreicher Fächer in Berlin mit Taxifahren über Wasser hält. Sein Mitbewohner Wagner ist ein schwarzer Rollstuhlfahrer, der Faust für den Tod seines Pudels Charlotte von Stein verantwortlich macht und auch prompt Loriot zitiert: "Ein Leben ohne Pudel ist vorstellbar, aber sinnlos!" Daraufhin stellt Mephisto, natürlich im Pudelsgewand, sich bei den beiden als Coach der Agentur "Happy Life" vor, welche ihm für die Abtretung sämtlicher Nutzungsrechte an seiner unsterblichen Seele die Erfüllung seines größten Wunsches verspricht. Dieser größte Wunsch ist für Faust ein Kuss von Margarethe, die eigentlich Özlem heißt und in einem türkischen Bioladen ihrer herrischen Mutter zur Hand geht.

Flix' Faust-Adaption, die 2009 zunächst in der FAZ erschien und 2010 in überarbeiteter Form bei Carlsen als Graphic Novel veröffentlicht wurde, kommt im unverkennbaren Reclam-Design nebst gründlichen Gebrauchsspuren daher, was schon an sich den überaus humorvollen Umgang mit der hehren Vorlage unterstreicht. Doch auch der Comic selbst spart nicht mit einfallsreichen Effekten, um seine Leser immer wieder zum Schmunzeln zu bringen. Dazu tragen zum einen die in typisch „verflixter“ Manier mit Quadratnasen ausstaffierten Figuren bei, die in schreiend komischen Situationen fortwährend aneinandergeraten. Zudem sorgen die abwechslungsreichen Panelanordnungen für ein enormes Lesevergnügen, etwa wenn die Handlung auf den beiden Ebenen Himmel und Erde parallel geschaltet wird, woraus sich so mancherlei Verstrickung ergibt. Auch zieht Flix alle Register der Typographie, was sich in den ständig anders modellierten Sprechblasen bemerkbar macht. Dazu gesellt sich ein gekonntes Spiel mit der Goetheschen Vorlage, etwa wenn Mephisto in der Bibliothek des Taxifahrers den "Faust" liest. Der Comic ist übervoll von solchen Anspielungen und Zitaten, was von Andreas Platthaus treffend als "Inzesttextualität" bezeichnet worden ist.

Natürlich stellt sich die Frage, ob man eine abermalige Faust-Adaption überhaupt nötig hat. Einige werden sagen, es gibt doch deren schon so viele. Das stimmt. Sogar sehr viele. Aber die wenigsten davon sind wirklich gut. Flix versucht daher zum Glück gar nicht erst, sich mit der Goetheschen Vorlage zu messen, sondern verlässt sich auf seinen ganz eigenen, skurrilen Humor, um das alte Thema neu zu interpretieren. Allerdings sollte die Adaptation nicht als bloßer Klamauk verstanden werden, sondern eher als eine Art Ergänzung, die vor allem jüngeren Leuten einen möglichen ersten Zugang zum Ausgangstext bieten kann, indem sie den Stoff auf sein Wesentliches herunter bricht und, ja warum eigentlich nicht, daher getrost zur Schullektüre erhoben werden sollte.

 

Der Autor
Flix , eigentlich Felix Görmann, wurde 1976 in Münster (Westfalen) geboren. Nach dem Studium im Fach Kommunikationsdesign an der Hochschule der Bildenden Künste in Saarbrücken veröffentlichte er seine als Comic eingereichte Diplomarbeit unter dem Titel "held" und gewann mehrere Auszeichnungen. Mittlerweile sind mehr als zehn Graphic Novels, Cartoonbände und Comictagebücher von ihm erschienen. Zudem hatte der Autor eine Dozentenstelle für Zeichnerei an der Hochschule Saarbrücken inne und leitet immer wieder Comicworkshops im In- und Ausland. Flix lebt zur Zeit in Berlin-Mitte.

(von Chris Krizsak)


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