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Susanne Röckel | Kentauren im Stadtpark 

Jung und Jung Verlag 2019
221 Seiten
22 Euro

ISBN 978-3-99027-235-0

von Jannika Kreutz | Download

»Ich weiß: Mythen lehren nichts. Aber sie können den Glauben an die Unverrückbarkeit des Bestehenden untergraben.«

Röckel behandelt in Kentauren im Stadtpark Mythen, die sie in je eine Erzählung aufbereitet. Ihre Charaktere sind weitgehend losgelöst von ihren Vorlagen. Sie teilen Eigenschaften und Erfahrungen mit ihren mythischen Gegenstücken, finden sich jedoch in einem modernen Umfeld wieder und ihr Dasein als fantastische Figuren bleibt uneindeutig. Kentauren, Sirenen und Dryaden bewegen sich durch die von Röckel konstruierte Welt, doch auch wenn die Fabelwesen den unterschiedlichen Protagonisten direkt erscheinen oder gar entsprechen, bleiben Zweifel daran, inwiefern sie tatsächlich anwesend sind. Für die Hauptfiguren sind sie aber eindeutig sichtbar. Sie sind real, solange sie als solche wahrgenommen werden; doch Leser*innen könnten daran zweifeln, was Traum und was Wirklichkeit ist. Ist Tabea einem Kentauren begegnet oder unterlag sie einer Sinnestäuschung, hervorgerufen durch widrige äußere Umstände? Hört Albert die Sirenen oder sind es nur die auffliegenden Vögel? Ist Uta eine Dryade, verloren in der Stadt und in den Wirren der Gesellschaft? Die Antwort auf diese Fragen bleibt den Leser*innen überlassen, die mittels geschickt eingearbeiteter Beschreibungen und Aussagen das nötige Grundwissen vorgelegt bekommen, um sich eine eigene Meinung zu bilden.

Röckels Stil besticht durch ihre fließende Sprache. Ereignisse und Beschreibungen sind nahezu übergangslos miteinander verknüpft. Sie verschwimmen ineinander, begleitet durch Eindrücke und Gefühlswelten der Protagonisten. Beides wird gekonnt in die Erzählungen eingewoben, ohne dass die Sicht eines außenstehenden Erzählers aufgegeben wird. Man kann sich gut in die Figuren hineinversetzen und wird in das Geschehen wie ein Sog in die Strömung eines Flusses gezogen, der den Lauf der Erzählung bestimmt. Zeitgleich behalten die Leser*innen durch die Erzählperspektive das Gefühl, die Lage objektiv bewerten zu können, mehr zu wissen als die offensichtlich subjektiv denkenden Charaktere, obwohl dies im Hinblick auf die Informationslage nicht der Fall ist.

Die Charaktere wirken lebendig, nicht zuletzt dadurch, dass sie sich Stereotypen widersetzen und somit an Tiefe gewinnen. Das trifft nicht nur auf die Hauptfiguren zu, selbst Charaktere, die nur kurz auftreten, scheinen schon nach wenigen Zeilen ein Eigenleben zu entwickeln. Sie handeln so, dass die Leser*innen ihre Reaktionen und Handlungen erahnen könnte, ohne dass explizit über sie geschrieben wird. Die Gefühle der Charaktere sind meist glaubwürdig. Egal wie sehr sie etwas lieben, sie können trotzdem kritisch darauf blicken. Ihr Handeln folgt nicht unbedingt nur rationalen Erwägungen, sondern oft einfach nur Neigungen und Bedürfnissen. Röckels Figuren bedienen keine einfachen Muster, sie haben Fehler, Ecken und Kanten, die sie umso natürlicher wirken lassen. Sie entführen jeden Leser/jede Leserin, der es ihnen erlaubt, in eine Welt voller Eigenarten und Probleme, aber auch voller Wunder und überraschender Wendungen. Durch Kritik an sich selbst und anderen weisen sie nicht nur auf Fehler hin, sondern schaffen es mitunter auch zu urteilen, ohne zu verurteilen. Sie finden Lösungen auf nicht wahrgenommene Probleme und beantworten nicht gestellte Fragen.

Über die Autorin:

Die mehrfach mit unterschiedlichen Buchpreisen ausgezeichnete Autorin Susanne Röckel (*1953 Darmstadt) debütierte 1989 mit der Erzählung Palladion. Zwischen ihrem ersten Werk und ihrer jüngsten Erscheinung Kentauren im Stadtpark veröffentlichte sie nicht nur weitere Erzählungen, sondern auch Romane. Neben der Arbeit in ihrer neuen Heimatstadt München arbeitete sie unter anderem auch in Shanghai.

                                                                                                 Jannika Kreutz


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