Donnerstag, 21.2., 19 Uhr
KiZ (Kongresshalle)
Südanlage 3a
35390 Gießen
Eintritt frei
Moderation: Daniel Schneider (LZG)
Mit gleich sieben Ehrendoktortiteln wurde der britische Dichter Philip Larkin für die Veröffentlichung seiner drei Gedichtbände gewürdigt und stieg damit zu einer nationalen Ikone auf. Ulrich Horstmann ermöglicht durch seine Übersetzungen einem deutschsprachigen Publikum nun einen ganz neuen Zugang zum Werk des Briten. Am Donnerstag, den 21.2., las Horstmann im KiZ aus seinem Buch Nachwelt, für das er die besten Gedichte Larkins ausgewählt, übersetzt und kommentiert hat. Larkin und Horstmann verbindet ihre Verwurzelung sowohl im akademischen als auch im literarischen Feld. Ulrich Horstmann ist emeritierter Professor und lehrte bis 2014 an der JLU Englische und Amerikanische Literatur, während Larkins Leben geprägt war von seiner Arbeit als Direktor der Universitätsbibliothek im nordenglischen Hull. Auch Horstmann wurde für sein eigenes literarisches Werk geehrt, unter anderem wurde er 1988 mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet. Neben Larkin übersetzte er auch dessen lyrischen Antagonisten Ted Hughes.
Von Hughes und anderen zeitgenössischen Dichter*innen hob sich Larkin besonders durch eine aus dem Alltag gegriffene Sprache ab, in der er seine Gedichte verfasste. Er behauptete sich gegen den akademischen Anspruch, der ihn in der Universitätsstadt und im Literaturbetrieb umgab und wählte für seine Lyrik stattdessen eine alltägliche Sprache, die sein Werk einem sehr breiten Publikum zugänglich macht. Auch inhaltlich beschäftigt Larkin sich in seinen Gedichten mit der ganzen Bandbreite des alltäglichen Lebens.
Da sind die alten Rennpferde, die, befreit vom ständigen Wettkampf, beginnen, das Galoppieren zu genießen. Da ist der Mann, der mit der falschen Frau ausgeht, obwohl er doch jahrelang die Fotografie ihrer wunderschönen Freundin im Portemonnaie trägt. Da ist die Beschreibung eines Fotoalbums, das jeden Makel festhält. In »This be the verse« schreibt er vom Ballast, den jedes Kind von seinen Eltern mitbekommt und schließt mit der ironischen Bemerkung »And don't have any kids yourself«. Dieser leichte Schalk, der in vielen Gedichten mitschwingt, lockert die oft düsteren Bilder auf, in denen sich die Trostlosigkeit der Nachkriegszeit und die Zweifel am Modernismus widerspiegeln. Deshalb betont Horstmann auch, dass es sich keinesfalls um »Depressionslyrik« handele. Vielmehr verstehe er die Beschreibungen des scheinbar Trivialen auch wie eine Beschreibung des Überlebens im Alltag. Horstmann greift dafür auf das Bild vom Krötenschlucken zurück. Denn Kröten spielten für Larkin eine wichtige Rolle. Die übergroße Porzellankröte, die auf Larkins Schreibtisch wohnte, ist noch heute in Hull zu besichtigen und wurde zu seinem Markenzeichen. Zum 25. Todestag des Dichters, im Jahr 2010, feierte Hull den Dichter, indem überall in der Stadt überlebensgroße bunte Krötenfiguren aufgestellt wurden. Eine solche ziert nun auch das Cover von Horstmanns Buch. In Larkins Gedicht »Toads« (dt.: Kröten) wird die Kröte zu einer Metapher für die täglich wiederkehrende hässliche lästige Arbeit und doch hat das lyrische Ich selbst etwas Krötenähnliches und braucht die Arbeit zum Leben.
Larkins Arbeitsleben war durch seine Aufgaben als Bibliotheksdirektor bestimmt. Nur in den Abendstunden hatte er Zeit, sich dem Schreiben zu widmen. Seine Tätigkeit als Dichter und seine schriftstellerische Berufung standen jedoch in starker Konkurrenz zu seinen beiden anderen Lieblingsbeschäftigungen: Jazz und Alkohol. Horstmann sieht darin den Grund, warum Larkin wenige, aber dafür umso herausragendere Gedichte schrieb: Das Bedürfnis Larkins, ein Gedicht zu beenden, musste nach einem langen Arbeitstag größer sein als die Lust auf die Musik und das Trinken, deshalb widmete er nur den besten, durchsetzungsstärksten Texten seine Zeit.
Lebhaft las Horstmann diese durchsetzungsfähigen Gedichte und flocht dabei auch Hinweise auf Larkins Lebenslauf ein. So las er bestimmte Verse stotternd und verwies damit auf Larkins Sprachfehler, den er erst im Erwachsenenalter ablegte. Sein Wissen teilte der Larkin-Kenner in amüsanten Anekdoten mit dem Publikum und beschrieb eindringlich das ambivalente Verhältnis des Dichters zur Lyrik. Erst nach einem Fehlstart als Romancier fand Larkin zur Lyrik und betonte »I didn't chose poetry, poetry chose me«. Mit ebensolcher Ergebenheit beendete er sein Schaffen in späteren Jahren mit der Begründung »poetry gave me up«. Eine der höchsten britischen Auszeichnungen, poet laureate, lehnte er nach Beenden seiner aktiven Schaffenszeit sogar ab und empfahl stattdessen seinen Konkurrenten Ted Hughes.
Die Gedichte trug Horstmann zum Teil auf Englisch und zum Teil in der deutschen Übersetzung vor. Dadurch konnte er das Publikum auch mit den Schwierigkeiten vertraut machen, denen er beim Übersetzen immer wieder begegnete. Besonders das Reimschema sei zum Teil gerade zu heimtückisch gewesen. Den Reiz beim Übersetzen mache für ihn die Herausforderung aus, eine Stimme für die übersetzten Gedichte zu finden, die zum Original passt, aber sich trotzdem eine gewissen Eigenständigkeit erhält. So gelingt es Horstmann durch Wortspiele, die nur im Deutschen möglich sind, zusätzlichen Sinn zu generieren. Er musste sich aber auch der Einsicht stellen, dass dies nicht immer möglich ist und mancher Sinn in seiner Doppeldeutigkeit kaum aus dem Englischen übertragbar ist. Wie bei dem Titel des Gedichts »church going«, das zu Deutsch schlicht Kirchgang heißt, im Englischen jedoch gleichzeitig auch auf den Niedergang der Kirche und deren zunehmenden Bedeutungsverlust anspielt. Immer neue Wege suchte Horstmann dabei, um eine Balance zwischen Rivalität und Synergie von Vorlage und Übersetzung zu finden und schafft dadurch ein stimmiges Gesamtbild. Während die Übersetzung nur drei Jahre in Anspruch nahm, war es ein langwieriger Prozess, der sich über sechzehn Jahre hinzog, um die Lizenzen der ursprünglichen Verleger zu erhalten und die Veröffentlichung zu ermöglichen. Umso größer ist die Freude, dass es nun endlich gelungen ist.
(Annabelle Schwager)