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Minka Pradelski | Es wird wieder Tag 

Frankfurter Verlagsanstalt 2021
384 Seiten
24 Euro

ISBN 978-3-627-00277-0

von Mareike Uhlmann| Download

»Am Tag meiner Geburt hatte ich bereits verloren« – so lautet der erste Satz des Romans, geschrieben aus der Perspektive des jüdischen Säuglings, der nach Kriegsende 1945 in einem katholischen Krankenhaus in Frankfurt geboren wurde. Was tiefgründig und dramatisch zu werden verspricht, nimmt im Fortgang jedoch erst einmal nahezu bizarre Züge an: Monierend über den ungebührenden Empfang auf der Welt erscheint das Neugeborene als überheblich, manipulativ und daher als gänzlich unsympathisch. Absurd, wenn man bedenkt, dass dieser Roman dem Klappentext nach doch ein »bewegendes Bild der Zeit während und nach dem Zweiten Weltkrieg« zeichnen soll, denn davon ist zumindest in den ersten Seiten nichts zu sehen. Schließlich wird jedoch offenbar: Aus der aufmerksamen und feinspürenden Perspektive des Säuglings heraus wird sich dem angenähert, was die Eltern umtreibt und bewegt. Dass beide Elternteile mit der Aufarbeitung des Zweiten Weltkrieges und ihrer Zeit im Konzentrationslager zu kämpfen haben, zeigt sich, als die Mutter Klara der ehemaligen KZ-Oberaufseherin Liliput auf der Straße begegnet. Zurückgeworfen in die damalige Zeit versinkt sie in dem dunklen Loch ihrer Seele, sodass ihr Mann schließlich nur noch eine Lösung sieht: »Schreibe, Klara, schreibe. Bann das Böse auf das Papier! Fessele es mit deinen Worten!«

Und Klara beginnt zu schreiben. Von ihrer Kindheit. Von der Zeit im Ghetto mit ihren Eltern und von der Zeit im Konzentrationslager. Von der Übernahme einer neuen Identität. Von dem Leben auf der Flucht und dem unaufhörlichen Verstecken. Von Misstrauen, Verrat, Täuschungen und der Frage, ob sich lohnt, in einer so grausamen Welt zu überleben. Gedanklich eingekerkert in diesen Erinnerungen und Schuldgefühlen verhilft ihr schließlich das Schreiben zum Ausbruch. Vermehrt verschiebt sich die Sicht hin zur Gegenwart, Erinnerungen fließen bruchstückhaft ein, bilden jedoch immer weniger das Zentrum. Und so setzen sich die Erinnerungsstücke und die Stücke der Gegenwart immer mehr und mehr als ein Ganzes zusammen und vervollständigen nach und nach das Puzzle, dass das Leben von Klara abbildet. Ihr gegenwärtiges Verhalten und ihr Charakter ergeben sich aus der Summe dieser Stücke, welche aus der Perspektive des Kindes und des Mannes ergänzt werden. Gerade diese Multiperspektivität verhilft dazu, Puzzlestücke an die richtige Stelle zu setzen und ein umfassendes Bild nicht nur von Klara, sondern von der ganzen Familie zu zeichnen: Von ihrem Leben im Nachkriegsdeutschland, von tiefsitzenden Traumata, von dem Bedürfnis nach einem Neuanfang und den Schwierigkeiten, das Schweigen zu durchbrechen. Es ist ein Bild, das nicht weichgezeichnet ist, sondern nüchtern und klar, undramatisch und doch bewegend; ein Panorama verlorener Zeit, aufrichtiger Reue, erkalteter Gefühle und erstarkender Bindungen. Minka Pradelski trägt mit ihrem Roman eindrucksvoll dazu bei, das Bild einer solch prägenden Zeit nicht verblassen zu lassen.

Über die Autorin: Minka Pradelski wurde 1947 als Tochter Überlebender in einem Camp für »Displaced Persons« in Zeilsheim/ Frankfurt geboren. Sie studierte Soziologie in Frankfurt am Main und arbeitete danach als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Clemens de Boor im Sigmund-Freud-Institut an dem Projekt »Nachwirkungen massiver Traumatisierungen bei jüdischen Überlebenden der NS-Zeit«. Darüber hinaus war sie viele Jahre ehrenamtlich für die »Steven Spielberg Shoah Foundation« tätig. Nach ihrem erfolgreichen Roman Und da kam Frau Kugelmann ist Es wird wieder Tag ihr zweiter Roman.

                                                                                                                                                                                                                           

Mareike Uhlmann


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