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Lana Bastaáiæ | Fang den Hasen 

S. Fischer Verlage 2021
332 Seiten
22 Euro

ISBN 978-3-10-397032-6

von Tessa Schäfer| Download

Fang den Hasen ist die Geschichte zweier ungleicher Freundinnen, die sich zwar aus den Augen, aber nie ganz aus dem Herzen verloren haben. Es ist eine Reise in die Vergangenheit des zerfallenen Jugoslawiens und eines Krieges, der im Buch zwar nicht offen erwähnt wird, aber zwischen den Zeilen und auch in der Gegenwart der Geschichte immer wieder durchscheint.

Bastašiæs erster Roman handelt von den jungen Frauen Sara und Lejla. Sie wachsen zusammen im bosnischen Banja Luka auf, sind vom ersten Schultag an beste Freundinnen, geeint in der Ungleichheit, und erleben alle prägenden Erlebnisse gemeinsam – vom ersten Verliebtsein, dem plötzlichen Verschwinden von Lejlas Bruder Armin, dem Schulabschluss bis hin zu den ersten sexuellen Erfahrungen. Doch während eines Urlaubs in den Semesterferien kommt es zum Bruch zwischen den ungleichen Frauen und sie hören 12 Jahre lang nichts voneinander.

Während Lejla scheinbar mühelos alles und jeden ohne große Anstrengungen bekommt und für alle anziehend wirkt, ist die Ich-Erzählerin und Polizistentochter Sara mehr wie ein vernünftiges Anhängsel, das zwar immer dabei ist, aber, bis auf wenige Ausnahmen, nie so glänzen kann wie Lejla, was bei Sara zu einem gewissen Neid auf Lejla führt. Sara bricht im Verlauf der Geschichte nur selten aus dieser Rollenverteilung aus – sie hat beispielsweise vor Lejla ihren ersten Freund oder ist diejenige, die auf einem Markt einen Hasen für Lejla klaut. Nach dem Uniabschluss geht Sara nach Irland und fängt dort ein völlig neues Leben an, hat einen Job, schreibt Gedichte, wohnt mit ihrem Freund Michael zusammen und hat nach 12 Jahren eigentlich keine Bezugspunkte zur bosnischen Heimat mehr – sie hat sich in einer anderen Sprache eingelebt und spricht auch nie über ihre Vergangenheit, auch aus dem Wissen heraus, dass diese in Irland niemand so richtig nachvollziehen kann. Nicht einmal zur Beerdigung ihres Vaters kehrt sie zurück. Doch
dann ruft aus dem Nichts Lejla an und sagt, sie sei in Mostar und Sara müsse sie unbedingt abholen. Anfänglich abweisend, bringt die Behauptung, dass Lejlas Bruder Armin in Wien sei, Sara dann doch dazu, ein überteuertes Flugticket nach Zagreb zu kaufen, um von dort mit dem Bus nach Mostar zu fahren. Sara hofft auf das Wunder, dass der seit Jahrzehnten verschwundene Armin am Leben und auffindbar ist.

Im bosnischen Mostar treffen Sara und Lejla dann nach Jahren ohne Kontakt wieder
aufeinander. Lejla möchte sich sofort auf den Weg machen, verabschiedet sich kurz von ihrem Mann und bittet Sara loszufahren, nur weg von ihrem alten Leben. Schnell zeigt sich, dass Lejla im sonnenverwöhnten Mostar als Kellnerin und Ehefrau ein keineswegs
beneidenswertes Leben führt, was nicht nur durch die vielen blauen Flecken an ihrem Körper deutlich wird.

Lejlas bosniakische und damit muslimische Religionszugehörigkeit wird im Buch zwar nicht direkt ausgesprochen, da sie für die Freundschaft der beiden schlichtweg keine Rolle
spielt, ist aber dennoch offensichtlich und genau das, was die Geschichte so historisch wertvoll und auch knapp 30 Jahre nach dem Bosnienkrieg noch immer aktuell macht.
Während Lejla ihre Kindheit relativ wohlbehütet mit ihrer Mutter und ihrem Bruder Armin verbringt, muss sie im Alter von 11 Jahren plötzlich ihren Namen ändern und heißt nun nicht mehr bosniakisch Lejla Begiæ sondern serbisch Lela Beriæ und auch ihr Bruder
Armin heißt nun offiziell Marko. Dann verschwindet eben jener Armin/Marko mit einigen anderen Jungs über Nacht spurlos und taucht nicht mehr auf. Das Verschwinden wird im Dorf damit abgetan, dass die Jungs einige Hunde vergiftet hätten und dafür jetzt gerecht bestraft worden oder vor der Strafe geflüchtet seien. Lejlas Mutter versucht zunächst verzweifelt, Armin zu finden und erhofft sich Hilfe durch das Verteilen von Flyern oder die Polizei, doch die zeigt sich, wie selbst Saras Vater, nicht sehr hilfsbereit. So wird sich
mit der Abwesenheit der geliebten Menschen nach und nach abgefunden, dennoch immer in der unerfüllten Hoffnung, die Vermissten wie durch ein Wunder eines Tages doch noch
lebendig wiederzusehen. Sowohl die Kriegsverbrechen als auch die Täter werden in Fang den Hasen nicht explizit beschrieben und werden doch, auch im Kleinen, sichtbar, beispielsweise wenn die anderen Kinder von einem auf den anderen Tag nicht mehr mit Lejla spielen wollen und sie mobben und marginalisieren. Bastašiæ nutzt das Motiv der Dunkelheit, um die Vorgänge der frühen 90er-Jahre zu beschreiben: »Die Dunkelheit breitete sich aus, als ob ein boshaftes Kind sie über uns ausgeschüttet hätte«. Die Dunkelheit zieht sich durch die komplette Reise durch die Länder des ehemaligen Jugoslawiens, keiner der Orte, die Sara und Lejla auf ihrem Weg passieren, birgt Fröhlichkeit und Farbe.

Zwischen den Kapiteln, die die Jetzt-Zeit und den Roadtrip von Sara und Lejla beschreiben, sind immer wieder Kapitel ohne Nummerierung eingeflochten, die die Freundschaftsbiographie aus Saras Sicht und ihre Erinnerungen an die Vergangenheit beschreiben. Diese Erinnerungen fließen irgendwann auch in die zunehmenden Gespräche zwischen Sara und Lejla ein und Lejla bekommt die Möglichkeit, diese zu korrigieren. Denn nach 12 Jahren Funkstille, stillen Vorwürfen und viel Unausgesprochenem müssen die beiden erst eine neue Kommunikationsebene finden.

Einer der zentralen Sätze des Buches ist »Wir sind immer in Bosnien«, denn auch wenn Sara mittlerweile seit vielen Jahren in einem anderen Land lebt und sich eine andere Sprache zu Eigen gemacht hat, ihre Herkunft, Vergangenheit und ihre Muttersprache sind für sie trotzdem in jeder Faser ihres Lebens gegenwärtig, was sie vielleicht auch erst durch diese Reise ohne Happy End realisiert. Fang den Hasen lässt sich gut, schnell und flüssig lesen, die Wucht von Bastašiæs Worten schwingt hingegen noch lange nach.

Über die Autorin: Lana Bastašiæ ist eine junge bosnische Schriftstellerin. Geboren 1986 in Zagreb, wuchs sie nach dem Zerfall Jugoslawiens im bosnischen Banja Luka auf, was auch in ihrem Roman Fang den Hasen eine Rolle spielt, studierte Englisch und Kommunikation und lebte zuletzt in Barcelona. Bisher veröffentlichte sie zwei Erzählbände und einen Lyrikband, wofür sie diverse Preise und Auszeichnungen erhielt. Mit ihrem Debütroman Uhvati zeca (2018), der nun auch in deutscher Übersetzung (Fang den Hasen) vorliegt, erhielt sie 2020 den Literaturpreis der Europäischen Union und stand auf der Shortlist des renommiertesten serbischen Literaturpreises.
                                                                                                                                                                                                                              Tessa Schäfer


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