Dienstag, 18.12.18 – 19:30 Uhr
Netanya-Saal
Brandplatz 2
35390 Gießen
Eintritt frei
Mit freundlicher Unterstützung des Kulturamts der Stadt Gießen.
Wie wurde Weihnachten eigentlich 1870 gefeiert? Oder 1914? Und bei den Nazis? Hat sich da jemand Gedanken gemacht, wie man ein Fest feiert, das eigentlich zu Ehren des Nazi-Feindbildes »Jude« gedacht war? Diese Fragen hat sich Jo van Nelsen gestellt, und hat uns die Antworten wahrlich unterhaltsam und spannend geliefert. Zusammen mit dem Kulturamt Gießen freute sich das LZG, Jo van Nelsens neues Programm »Lametta, Gans und Siegerkranz – Die Grammophon-Weihnachtslesung« im Netanya-Saal präsentieren zu dürfen. Die letzte Veranstaltung dieses Jahres des LZG war nochmal ein ganzer Erfolg: Der Saal war voll und das Publikum mitgerissen von dem geborenen Entertainer. Nicht zu vergessen war auch die wahrhaft weihnachtliche Stimmung, die durch die dekorative Arbeit des LZG und den Vorstandsmitgliedern entstanden ist, der dem Publikum ein ganzes Buffet an Keksen gebacken hat – Vanillekipferl, Nussecken, Buchstabenkekse, … ; es wurde nicht gespart. Mit allen Sinnen konnten die Gäste Weihnachten nochmal anders, und doch wiederum vertraut bei Gebäckduft, erfahren.
Während das Publikum sich also an den Keksen labte, entführte van Nelsen es in die längst vergangene Weihnachtswelt der Deutschen von 1854 bis 1945, und in die Welt des Grammophons – eine Welt, die wahrscheinlich nicht jeder Gast gut kannte. Mit vielen Anekdoten, aber auch super spannenden Fakten zeigte van Nelsen, wie Weihnachten in früheren deutschen Familien gefeiert wurde. Dafür projizierte er nicht nur untermalende Bilder an eine Leinwand, wie zum Beispiel Postkarten, Werbeanzeigen oder alte Fotos von Familien oder Häusern, sondern erschuf nochmal eine ganz eigene Stimmung mit seinem waschechten Grammophon. Er klärte zum Beispiel, welche alten Weihnachtslieder damals gespielt wurden (wie O du Fröhliche, der »Hit des Jahres 1914«) oder welche Marschmusik in einem dunklen Kapitel der deutschen Geschichte – zur Zeit des Nationalsozialismus – besonders gut ankam. Und, was natürlich ganz wichtig ist: Was kam unter den Weihnachtsbaum damals? Komikertalent van Nelsen hat für sein Publikum die lustigsten Geschenke ausgesucht: Neben den »Schweißsocken mit patentiertem Rand« und der passenden »Schweißseife« durfte die »tragbare Kopfdusche« natürlich nicht fehlen. Dazu las und schauspielerte van Nelsen unter anderem alte Melodramen oder Gedichte von ausgewählten Künstlern wie Rainer Maria Rilke oder von den Nationalsozialisten umgebrachten Erich Mühsam bis hin zu dem Satiriker Kurt Tucholsky. Besonderes Highlight war hier die »Himmlische Nothilfe« von Kurt Tucholsky: »Weihnachtsmann A erfüllt den Wunsch. Weihnachtsmann B bringt das Gegenteil. Zum Exempel: Weihnachtsmann A bringt dem deutschen Volke den gesunden Menschenverstand – Weihnachtsmann B die Presse«.
Aber teilweise zeigte van Nelsen auch sehr tragische oder traurige Werke auf: Zur Zeit des Ersten Weltkriegs kamen Kinderbücher unter den Weihnachtsbaum wie Wir spielen Weltkrieg! oder Max und Moritz, wie sie ins Feld ziehen. Die nächste Generation erschuf dann eine Geschicht' »wie ein Zombie-Film unter der Regie von Leni Riefenstahl«. Doch bei so viel Geschichte schaffte van Nelsen es trotzdem, das Publikum regelmäßig mit einzubeziehen und es bei bester Laune zu halten. Wer ein bisschen Nachhilfe in der deutschen Weihnachtsgeschichte haben möchte, darf »Lametta, Gans und Siegerkranz« jedenfalls nicht verpassen! Uns bleibt am Ende des Jahres nur, Ihnen allen frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr zu wünschen!
(Sabrina Stünkel)