Fritz Bauer: oder Auschwitz vor Gericht. Lesung und Diskussion mit dem Fritz Bauer-Biographen Ronen Steinke. 

KiZ (Kongresshalle)
Südanlage 3a
35390 Gießen
Dienstag, 9.10.18 – 19 Uhr

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Eintritt frei

Moderation: Heidrun Helwig (Gießener Anzeiger)
In Kooperation mit der Arbeitsstelle Holocaustliteratur und Criminalium e.V.

 

Ein voller Erfolg war auch die zweite Veranstaltung des LZG-Herbstprogramms: Ronen Steinke, Journalist bei der Süddeutschen Zeitung, stellte sein neuestes Werk, die Biografie Fritz Bauers, am Dienstag, den 09. 10., im Kultur im Zentrum (KiZ) in Gießen vor. Die vielen Besucher*innen sprengten nahezu den Ausstellungsraum. Daher konnten Steinke, Moderatorin Heidrun Helwig (Gießener Anzeiger) und Strafrechts-Professor Bernhard Kretschmer für besonders viele Menschen die Vergangenheit wieder aufleben lassen. Bauer war schließlich derjenige, der die Auschwitz-Prozesse in den 60er Jahren in Gang brachte. »Es ging darum, das Schweigen aufzubrechen«, betonte Steinke. Und das Schweigen war da: Die erste Generation war befangen und wollte nicht darüber sprechen und schreiben, die nachfolgende Generation sei nicht dabei gewesen und könne deshalb nicht darüber sprechen und schreiben, so verdeutlicht ein älterer Gast die Problematik. Dabei sei es Bauer darum gegangen, »ein klares Wort zum Verbrechen zu erreichen. Wenn diese Botschaft einmal klar geworden wäre, dann hätte man nach Bauer auch aufhören können«, erklärte Steinke.

Dass Bauer selbst Jude gewesen war, sei für ihn ständig Thema gewesen. „Und als Jude wagte er sich in den »braunsten« Teil Deutschlands: Der Justiz. Seine Arbeit müsse wieder lebendig werden, beteuerte Steinke, weswegen er sich entschlossen habe, eine neue Biografie über den bekannten Generalstaatsanwalt auf den Markt zu bringen. Bei der Lesung habe er sich entschlossen, »nicht Fakten und Zahlen« herunterzubrechen, sondern sein Lebenswerk mit szenischen Beiträgen zu vermitteln: So las er zum Beispiel aus Sicht eines jungen Schriftstellers, der einen Prozesstag 1964 besucht. Anhand dessen befasste Steinke sich mit der schwierigen Frage, wie man ein solches Verbrechen wie den Holocaust bestrafen könne. Denn »was macht man juristisch? Pickt man sich nur einen einzelnen raus oder bestraft man alle?«, fragte Steinke. Doch wen? Der Vorsitzende, der alles im Büro sitzend angeordnet hatte? Oder denjenigen, der nur Befehle befolgte, aber die Türen zu den Gaskammern geöffnet und die Opfer hineingeordert hatte? Und muss auch derjenige bestraft werden, der die Kleidung, die Schuhe, die Mitbringsel, die persönlichen Gegenstände konfisziert hatte, aber nie direkt mit der Vergasung in Berührung gekommen war? Bauer habe entschieden, einen Querschnitt aus hohen und niedrigen Graden auf die Anklagebank zu setzen, exemplarisch für alle. Dabei versuchte Bauer, stets das Thema von sich selbst wegzulenken, denn auch er war ein Opfer des nationalsozialistischen Faschismus gewesen.

So arg Bauer die Feind*innen bekämpfte, so fern war er wiederum seinen Freund*innen. Wie ein Gast in der anschließenden Diskussion berichtete, wendete sich schließlich ein junger Staatsanwalt gegen Bauer, indem er zum Verteidiger der angeklagten Deutschen wurde. »Die Juristen haben Bauer ihre ganze Loyalität gegeben, aber sie hatten das Gefühl, dass da nie genug zurückkam«, bestätigt auch Steinke. »Er konnte die Brücke zur jungen Generation nicht bauen.« Beispielsweise habe Bauer auch keine Liebesbeziehung geführt. In der Biografie schreibt Steinke, dass Bauer mindestens einmal Kontakt zu einem männlichen Prostituierten gehabt habe. Die Kritik, die Steinke deshalb über sein neues Werk erntet, fällt hart aus. So heißt es, die Unterstellung, Bauer sei homosexuell gewesen, »beschädige« das gute Bild von Bauer. Doch Steinke stellt sich klar dagegen. Er habe nichts unterstellt, sondern lediglich die Fakten genannt, und im 21. Jahrhundert sollten die sexuellen Vorlieben nicht mehr ein Anlitz »beschädigen« oder aufwerten. »Und wir wissen nicht, ob Bauer homosexuell war.«

Bauer war lange vergessen und gering gewürdigt. Hat sich das mittlerweile geändert? Steinke sagt ja: »Ich finde das ganz toll, was sich da mittlerweile entwickelt hat. Wer Jura studiert, kommt schnell mit dem Namen in Berührung.« Doch Strafrechts-Professor Kretschmer muss bedauerlich zugeben: »Rechtsgeschichte hat im Jura-Studium leider nur eine randständige Bedeutung.« Umso schöner und wichtiger, dass so zahlreiche Gäste am LZG-Lesungsabend da waren und Bauers Erbe weiterverbreiten können. Denn, so sagte Steinke: »Nach vorne schauen. Das war Fritz Bauers juristische Philosophie.«

(Sabrina Stünkel)


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