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Anna Baar | Divân mit Schonbezug 

Wallstein-Verlag
151 Seiten
20 Euro
ISBN: 978-3-8353-5194-3

 

von Angelina Isak

 

 

      

Anna Baar schreibt in Divân mit Schonbezug mannigfaltige Essays. Ihre kleinen, sprachlich sehr verspielten Erzählungen über die Bedeutung von Heimat und das Fremde laden ein, die eigenen tieferen Empfindungen zu diesen Begriffen zu hinterfragen. Sie spricht aus, was im Hineinversetzen in den anderen mitsamt möglicher Empathie oftmals verloren geht, gar unaussprechlich wirkt: »Wo immer ich war, blieb ich fern, dachte, es gäbe nicht Ankunft für einen Fremdling wie mich, nur ewiges Unterwegssein, als ob das ganze Leben eine lange Heimreise sei, ein einziges Sichgedulden im Schauen wie die Räder sich drehen« (S. 10). In dem Versuch einer Perspektivübernahme in jemanden, der uns zunächst als fremd erscheint, vergessen wir in unserem Alltag schnell, was der Begriff ›Heimat‹ für unser Gegenüber eigentlich bedeuten kann. Wo befindet sich diese Heimat und wann fühlt sich jemand angekommen oder noch auf der Reise? Gibt es diesen Ort zum Da-Sein eigentlich oder ist es nur ein Gefühl von Glück, Trauer oder Wut, das jemand verspürt?

Es geht um das Anderssein, das Sich-Erkennen zwischen Kind- und Erwachsensein und immer um Kontraste, die Baar in ihren schonungs- und grenzenlosen Gedanken über Heimatstolz und Heimatscham, Angst und Sicherheit oder Gehorsam und Verbrechen ausleuchtet. Die Lektüre mancher Essays lässt einen an den eigenen Kindheitsduft süßer Mandeln erinnern und über die eigene mögliche Beantwortung der Aufforderung Sage mir, wer du bist! nachdenken. Anna Baar lässt verschneite Winterlandschaften vor dem geistigen Auge der Rezipient*innen entstehen. Vor allem aber erzählt sie von Freundschaften und tiefen Verbundenheiten, in denen das Sich-Wiederfinden im Anderen Bedeutung erhält.

Mal schreibt sie von André Heller, der Angst und Mut zugleich darstelle, mal sitzt sie bei der Orest-Premiere in der wienerischen Staatsoper und schreibt über die Werkzeuge eines Gottes, über ihn als Richter, der zwischen Unrecht und Recht entscheidet, und ein anderes Mal grüßt sie Gert Jonke in einem Essay in der Auffassung, dass wir Menschen ja irgendwie alle einander über sechs Ecken kennen, was einen zum Schmunzeln bringen mag.

In ihren Erzählungen springt sie von Zagreb, Klagenfurt oder Wien nach Teheran und blickt nicht nur auf die dortigen Schauplätze ihrer Kindheitsorte und Andenken zurück, sondern macht vielmehr das Unsichtbare, das Verheimlichte sichtbar und geht über Schmerzgrenzen hinweg, indem sie von Trauer und Tod schreibt. Auch die Zeit, als neben dem kalten Schnee auch Bomben auf Zagreb herunterfielen, findet in ihren Texten Erwähnung. Woanders schreibt sie darüber, dass der Mensch, obwohl er wisse, dass es ein Abschied für immer sein könne, dennoch nicht viel Aufhebens mache und den Abschied zwischen Tür und Angel vollziehe. Sie regt hiermit zum Nachdenken über das eigene Handeln und Behandeln der Liebsten an.

Immer wieder merkt Anna Baar in ihren Essays gehemmt an, dass manche Menschen die Auffassung haben, den sicher Entfernten stünde keine Beklemmung zu, dass das Offenzeigen der eigenen Unzufriedenheit oder gar des Kummers als unangebracht gelte, weil immer schlimmere Beispiele in solchen Situationen aufgezeigt werden können. Allenfalls würden diese Empfindsamkeiten als wehleidig und Ausdruck der Undankbarkeit verübelt werden. Wenn es aber um das eigene Wohlbefinden und den Ausdruck dessen geht, fühlen wir uns ertappt und begründen unser Schweigen mit genau denselben Gedanken. »Der Mensch, wir wissen das alle, hat eine Sehnsucht nach Heil. Etwas in uns sträubt sich dagegen, Verdrängtes zutage zu bringen. Und wenn es schon sein muss, reden wir lieber aus scheinbar sicherer Entfernung, reden wie Unbeteiligte von den Senkgruben des Vergessens, in Art der Berichterstatter und Kommentatoren.« (S. 127)

    Divân mit Schonbezug von Anna Baar ist ein wunderschöner Sammelband von sprachlich kreativen Essays mit einem unverwechselbaren musikalischen Erzählton und regt zum Nachdenken über die eigenen Lebenserfahrungen, Werte und Handlungen an.


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