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Dina Nayeri | Wem geglaubt wird. Warum die Wahrheit nicht genug ist 

Kein & Aber Verlag
352 Seiten
25 €
ISBN: 978-3-0369-5005-1

von Sandra Binnert| Download

Es gibt Ereignisse, die so schrecklich sind, dass sie kaum in Worte zu fassen sind. Es gibt unmenschliche Taten, die doch von Menschen begangen werden. Dinge, die man gerne verdrängt, wenn man eine Bilanz der derzeitigen Verhältnisse auf unserer Erde ziehen möchte. Diese Ereignisse werden zu Berichten, die manchmal auf Ohren treffen, die für diese Art von Gewalt und Vorfällen nicht geschult sind, sie kaum greifen können. Mit genau so einem Fall beginnt Dina Nayeris Buch »Wem geglaubt wird«. Geschildert wird die Folter von KV, der in einem Militärlager in Sri Lanka festgehalten wird. Der gebrandmarkt und mit Benzin überschüttet wird, der es schafft zu fliehen und sich dann in den kafkaesken Mühlen der Asylbehörden in Großbritannien befindet. 


Dina Nayeri kennt das Asylsystem, ihre Familie ist aus dem Iran geflohen. Als Tochter einer gläubigen Christin kommt sie in Oklahoma an und verbringt dort ihre Kindheit. In der Gemeinde sind Evangelistenprediger unterwegs, die den Gemeindemitgliedern göttliche Ekstase versprechen. In Zungen sprechen ist hier ein religiöser Ritus, der für Nayeri schon im Kindesalter schwer zu begreifen ist. Sie glaubt den Menschen nicht, dass sie in Zungen sprechen können, bezweifelt alles, auch den ihrer Mutter heiligen Glauben und stellt die These auf, dass alle Menschen Betrüger seien. 


Diese Überzeugung ist so tief in ihr verwurzelt, dass sie auch ihrem Schwager Josch nicht glauben konnte, dass er wirklich psychisch krank ist. Als eine Geflüchtete aus dem Iran sieht sie die Versuche von Josch, seine psychischen Probleme zu überwinden, als Handlungen eines verwöhnten weißen Jungen an. Josch versucht sich an verschiedenen Therapieformen und sucht als Nachfahre von Holocaustüberlebenden den Ursprung seiner Probleme auch im transgenerationellen Trauma seiner Familie. Sein Heilungsprozess scheitert immer wieder. Hier wird Nayeri klar, dass auch sie ein Teil einer Geschichte sein kann, in der einer Person nicht geglaubt wird. Das schlechte Gewissen und die schrecklichen Folgen, die Ablehnung oder Zweifel bei anderen auslösen können, werden in dem Buch an vielen Stellen reflektiert. 


Die Frage, was man glauben kann, was nicht und vor allem die Frage, wem geglaubt wird, wird für Nayeri zum Lebensprojekt. Obsessiv recherchiert sie Polizeiberichte, Asylanträge, Interviews und Videomaterial, die ihr Situationen zeigen, in denen Opfern und Unschuldigen nicht geglaubt wird. Dieses Material findet Eingang in den teilweise autobiographisch angelegten Text und mithilfe der eigenen Erfahrungen analysiert Nayeri die Situation der Opfer. Dabei werden einige Gruppen dargestellt, Menschen mit einer Lerneinschränkung, Frauen aus unterdrückten Minderheiten oder auch junge Männer, bei denen fälschlicherweise angenommen wird, sie seien in Clans. Hier deutet sich die große Besonderheit an dem Text an. Er lässt sich schwer in eine Kategorie einordnen und enthält Elemente aus Anekdoten und Gefängnis-, Polizei- bzw. Gerichtsberichten, die eine sehr lose Verbindung zueinander haben. Was folgt, sind verdeckte Parallelen in Geschichten, die an der Oberfläche nichts gemeinsam zu haben scheinen, die mit Erzählungen aus dem Privatleben angereichert und immer wieder behutsam zueinander geführt werden und dadurch Irritationen hervorrufen.


Nayeri macht ihren Gedankenprozess transparent und wirft einen Blick auf diejenigen, die in Systemen untergehen und von ihnen nicht nur nicht gestützt, sondern von ihnen strukturell ausgegrenzt werden. Sie zeigt Organisationen auf, die unschuldig Verurteilten helfen, Gerechtigkeit zu erfahren, Folteropfern helfen, dass ihnen im Asylverfahren geglaubt wird. Aus diesem Grund ist Nayeris Buch ein wichtiges, aufrüttelndes Buch, das den Lesenden nahegeht, das noch lange nachwirkt und dessen Wichtigkeit besonders betont werden muss.    


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