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Sofi Oksanen|Baby Jane 

Kiepenheuer & Witsch 
224 Seiten
22 Euro
ISBN 978-3-462-00409-0
 

von Pauline Donschen| Download

Baby Jane ist eine Anspielung auf den Film what ever happened to Baby Jane? aus dem Jahr 1962. Denn was genau mit Baby Jane passiert, wird sowohl in dem Film, als auch in Oksanens zweitem Roman nicht deutlich. Und es geht eben nicht um zwei alternde Schwestern, die sich gegenseitig im Weg stehen, sondern um zwei junge lesbische Frauen.
Die Ich-Erzählerin stürzt sich zu Beginn in eine Beziehung mit der attraktiven Piki, die mit ihren kurzen Haaren, Springerstiefeln und Piercings nach außen hin tough und unnahbar wirkt. Die beiden ziehen abends oft durch die queeren Bars und Clubs Helsinkis, trinken viel Alkohol und rauchen Gras, bilden zusammen das butch-femme-couple in ihrem Freundeskreis. Sie sind immer zusammen, auch wenn sie noch getrennte Wohnungen haben. Und als das Geld irgendwann knapp wird, gründen sie gemeinsam einen Onlineshop für getragene Höschen und Strumpfhosen. Doch da ist auch Bossa, Pikis Exfreundin, die noch überall ist und neben Pikis Einkäufen auch die Wäsche übernimmt, auch Unterwäsche und Bettlaken. Denn Piki leidet an einer schlimmen Panikstörung, die es ihr immer unmöglicher macht, einfachste Dinge zu erledigen. Die Ich-Erzählerin, selbst depressiv, ist eifersüchtig auf Bossa, auf die intime Verbindung, die sie zu Piki hat, und will sie nicht um sich haben. Der Konflikt spitzt sich zu und entlädt sich schließlich gewaltsam. 
2005 erschienen, aber erst vor kurzem ins Deutsche übersetzt thematisiert der Roman mehr als nur eine – damals noch eine Seltenheit in der Literatur – lesbische Dreiecksbeziehung und Eifersucht. Es ist vielmehr ein Portrait darüber, welchen Einfluss (unbehandelte) psychische Krankheiten auf zwischenmenschliche Beziehung haben können und wie diese einen in die Einsamkeit treiben können. Durch die fortschreitende Krankheit Pikis verengt sich der Handlungsraum immer mehr, die ausschweifenden Barabenden werden weniger und schließlich mutiert der Roman zu einem eindringlichen Kammerspiel.
Toxische Beziehungen, wenn sie denn thematisiert werden, werden doch eher in heterosexuellen Konstellationen ausgeleuchtet und haben meistens auch einen klar markierten Schuldigen. Baby Jane tut einem den Gefallen nicht, sich für eine Seite entscheiden zu können. Die Protagonistinnen sind nicht unbedingt sympathische Figuren, beide sind durch ihre psychischen Probleme beeinflusst. Sie lieben sich - sind jedoch auch so stark abhängig voneinander, dass sie sich gegenseitig nicht guttun. Besonders die Ich-Erzählerin ist, durch ihre eigenen Erinnerungslücken, eine höchst unzuverlässige Erzählerin, sodass die Leser*innen oftmals im Dunkeln gelassen werden.
Der Roman erzählt schonungslos und ungemütlich und schreckt auch nicht vor vermeintlichen Tabus zurück. Sex, Drogen- und Alkoholabhängigkeit, häusliche Gewalt, Suizid, Sexarbeit und psychische Erkrankungen werden alle auf knapp 220 Seiten verhandelt – das macht den Roman sehr dicht und komplex. Und die Gedanken beim Lesen, ob es nicht auch ein bisschen zu viel ist und wie realistisch die Geschichte der beiden ist, drängen sich einem unweigerlich auf. Aber vielleicht ist dieser Leseeindruck auch genau das, was der Roman will: Schockieren, zum Nachdenken anregen, über die Art wie in der Gesellschaft mit psychischen Krankheiten umgegangen wird, über die intensive Stigmatisierung, die dem immer noch anlastet. Denn was passiert wäre, wenn Piki und die Ich-Erzählerin beide nach Hilfe gefragt und diese auch bekommen hätten, bleibt Spekulation. 


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