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Nam Joo-Cho | Kim Jiyoung, geboren 1982 

Kiepenheuer & Witsch 2022
208 Seiten
18 Euro

ISBN 978-3-462-05328-9

von Josephine Ellermeyer| Download

 

In Kim Jiyoung, geboren 1982 wird die Geschichte einer jungen Frau in Südkorea erzählt. Der Roman beginnt im Herbst 2015 – Jiyoung ist 34 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann Chong Daehyon und ihrer Tochter Ziwon in Seoul. Eines Tages verändert sich ihr Verhalten. Sie beginnt, in die Rolle anderer, aus ihrem Umfeld bekannter, Frauen zu schlüpfen und für kurze Zeit eben eine dieser Frauen zu sein.  Ihr Verhalten und ihre Äußerungen führen immer wieder zu provozierenden und Anstoß erregenden Situationen. Als Jiyoung erneut bei einem Feiertagsessen ihrer Schwiegereltern in die Rolle ihrer Mutter verfällt, eskaliert die Situation, sodass Jiyoungs Mann gemeinsam mit seiner Frau und der Tochter überstürzt das Elternhaus verlässt. Anschließend beginnt die Erzählinstanz Jiyoungs Biografie rückblickend zu erzählen. Über die Zeitspanne von mehreren Jahren werden zentrale Bereiche und Ereignisse aus Jiyoungs Leben skizziert.

Das ungleiche Verhältnis von Männern und Frauen zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Roman und kommt immer wieder zum Vorschein. Dabei wird deutlich, dass Frauen in nahezu allen öffentlichen und privaten Bereichen des Lebens marginalisiert und Männer grundsätzlich bewusst bevorzugt werden. Eine Marginalisierung erfolgt bereits bei der Geburtenkontrolle und dem vermeintlichen Versagen der Frau, was Jiyoungs Mutter erfährt, als sie einen weiblichen Fötus im Bauch trägt, und endet auch nicht mit der eigenen Mutterschaft Jiyoungs.    
Die Protagonistin scheint sich in einer Spirale wiederzufinden. Wie ihre Mutter, deren Leben kurz angeführt wird, findet sich Jiyoung in einem Muster dauerhafter Benachteiligung, Diskriminierung und fehlender Chancengleichheit wieder. Trotz vorgeblicher Veränderungen in Sachen Geschlechtergleichheit scheint sich wenig in Bezug auf die Denkmuster der vorherigen Generation verändert zu haben. Frauen in Jiyoungs Alter müssen sich die Möglichkeit, studieren zu gehen, durch zahlreiche Nebenjobs finanzieren, um anschließend Männern den Vortritt lassen zu müssen und nicht eingestellt zu werden. Jiyoung erfährt Ausgrenzung und Verdrängung; Belästigungen gehören zum alltäglichen ‚guten‘ Ton. Themen, die den weiblichen Körper betreffen, sind Tabu. Misogyne Muster ziehen sich durch den Roman und lassen die in Südkorea spielende Geschichte in vielen Aspekten beim Lesen doch verdächtig bekannt anfühlen.

Kim Jiyoung, geboren 1982 ist die Geschichte einer Frau, die, wie sich herausstellt, als Therapiebericht aus Sicht von Jiyoungs Therapeuten verfasst wurde. Dabei schien es doch bis zum Ende des Romans nur logisch, dass aus einer weiblichen Sicht erzählt wird.   Der Therapeut – ein Mann, der genau dieselben misogynen Muster reproduziert, denen er erst vorgibt, nicht verfallen zu sein.

Es ist die Geschichte einer Frau – erzählt mit dem Blick eines Mannes, der ihre Situation verkennt. Es stellt sich die Frage: Hat sich schlussendlich wirklich etwas geändert?

Nachdem Nicole Seifert Cho Nam-Joos Roman in ihrem Buch FRAUEN LITERATUR: Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt auf der Liste zu lesenden Autorinnen genannt hat, habe ich mich sehr gefreut, den Roman für das LZG lesen zu dürfen. Er hat mir viele neue Erkenntnisse über die südkoreanische Gesellschaft verschafft, Bekanntes bestätigt und mich das eine oder andere Mal verärgert, aufseufzen und den Kopf schütteln lassen – ein sehr lohnender und wichtiger Roman!

Über die Autorin: Cho Nam-Joo wurde 1978 in Seoul geboren und wuchs in einem Außenbezirk der südkoreanischen Hauptstadt auf. 2015 verfasste sie mit Kim Jiyoung, geboren 1982 ihren dritten Roman, der große Bekanntheit erlangte, in Korea eine Debatte um die Geschlechterstellung von Mann und Frau auslöste und 2019 verfilmt wurde. In dem Roman spiegeln sich zum Teil ihre persönlichen Erfahrungen, wie es ist, als Frau in Südkorea aufzuwachsen, wider. Die Autorin lebt heute mit ihrer Familie in Seoul.                                                                                                                                                                                                    Josephine Ellermeyer


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