Heimat. Nora Krug stellt ihre preisgekrönte Graphic Memoir vor 

Dienstag, 2.2., 18 Uhr (digital über Webex)

GAZ | GA


 

 

Zugang: kostenfrei

Moderation: Thomas Möbius/Nina Hainmüller (Institut für Germanistik)

In Kooperation mit dem Institut für Germanistik

Die Lesung des vergangenen Dienstags war in mehrfacher Hinsicht besonders. Nicht nur konnte die Autorin Nora Krug live aus New York zugeschaltet werden, auch eine Vielzahl von Teilnehmer*innen konnte der Veranstaltung vor ihren Bildschirmen ganz kostenfrei lauschen. Insgesamt 132 Personen fanden im virtuellen Raum zusammen und bildeten somit ein umfangreiches Publikum, welches während Corona-Zeiten in Präsenz nicht möglich gewesen wäre. Das dargebrachte Interesse an Sprache und Kultur wurde mit einer packenden Lesung und einem Autorengespräch belohnt, das nicht nur aufschlussreich war, sondern auch zum Mitdenken und Fühlen einlud.

Nach einer kurzen Vorstellung der Autorin seitens der Moderation begann Nora Krug über ihre 2018 erschienene Graphic Memoir Heimat zu berichten und las ausgewählte Passagen aus selbigem vor. Mittels eines geteilten Bildschirms konnten hierbei einzelne Seiten des Werkes betrachtet und mitgelesen werden. Besonders eindrucksvoll war dies aufgrund der vielfach angebrachten Zeichnungen und Fotos, welche das Werk ausmachen. Von Einträgen über »typisch deutsche« Dinge, die Nostalgie hervorrufen, bis hin zu Erfahrungsberichten, Veränderungen in der Sprache und dem Aufarbeiten der Vergangenheit findet sich vieles in Heimat, über das in Bezug auf Deutschland während des Hitler-Regiments und der nachfolgenden Zeit geschrieben werden kann. Flucht, Leid und Tod werden aufgegriffen, die Perspektive ist jedoch eine weniger distanzierte als in vielen anderen Werken zum Thema. Gefühle spielen eine wichtige Rolle, ebenso wie die Frage, was eigentlich Heimat ist, wodurch diese gekennzeichnet ist und was man mit dem Begriff verbindet.

Mehrfach betont Nora Krug das Verhältnis ihrer eigenen Familie zum Nationalsozialismus, welches weder fanatisch noch revolutionär war. Eine kleine Familie, welche in den Wirren des Krieges und auch danach versucht, ihre Identität zu wahren und ihre Heimat (wieder) zu finden.

Auch über ihren Onkel berichtet die Autorin. Er war ein Anhänger des Nationalsozialismus und starb im Krieg. Seine alten Schulhefte offenbaren, dass er judenfeindliche Texte schrieb und seine Texte gerne mit Hakenkreuzen umrahmte. Krug bemerkt, dass er es auch als Schuljunge schon hätte besser wissen müssen. Dennoch gesteht sie zu, dass von Propaganda ausgelöste Reize, besonders für Kinder, nur schwer bewusst abzulehnen waren. Unabhängig von der politischen Haltung ihres Onkels und der Tatsache, dass sie ihn selbst nie kennenlernte, fühlt sie dennoch den Verlust, den der Tod eines Familienmitglieds bedeutet, als sie zusammen mit ihren Eltern vor dessen Grab steht. Dies ist nur ein kleiner Einblick in die Gefühle, der dem Krieg nachfolgenden Generation, der Geflohenen und der Zurückgekehrten. All diese werden in Heimat behandelt und helfen dabei, die Tragweite der Ereignisse zu verstehen, die mehrere Generationen beeinflussten.

Das abschließende Gespräch mit der Autorin verrät, dass sie insgesamt sechs Jahre an Heimat arbeitete und allein zwei dieser Jahre in Recherche und Archivarbeit flossen. Die Veröffentlichung, die innerhalb des kommenden Jahres in 16 Ländern erfolgte, erforderte die Zusammenarbeit mit mehreren Lektoren und immer wieder neues Abwägen von Begrifflichkeiten. Inhaltlich habe sich kaum etwas geändert, egal wo das Buch erschien. Besonders das Cover variiert jedoch nach Erscheinungsland, da mit vorhandenem Wissen und kulturell typischen Assoziationen gearbeitet wird. Die Autorin gab Einblicke, was ihr beim Schreiben wichtig war und nannte dabei mitunter Ehrlichkeit und eine zeitliche und räumliche Distanz zu den Geschehnissen, die ihr erst ermöglicht habe, die Graphic Memoir fertigzustellen. Sie spricht jedoch auch davon, dass sie viel Unterstützung beim Schreiben hatte und dass sie mit vielen anderen ihrer Generation über deren Familien und individuelle Erfahrungen gesprochen hat und deren Ansichten anhörte. Heimat ist somit nicht nur aus den Erinnerungen und Gefühlen einer Person heraus entstanden, sondern umfasst ein größeres Erinnerungskollektiv, welches mittels Recherche historisch angemessen aufgearbeitet wurde und sowohl umfangreich als auch mit ungewohnt gefühlvoller Perspektive auf bis heute sensibel behandelte Thema wie Nationalsozialismus, Holocaust und Kriegsfolgen eingeht.

(Jannika Kreutz)


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